Shakespeare
verliert offensichtlich nicht an Reiz für Opernkomponisten. So gab es
allein in den letzten drei Jahren mindestens drei Vertonungen des "Sturms",
Luca Lombardis "Prospero", Helmut Oehrings "Unsichtbar Land" und Thomas
ADÈS' "The Tempest", das nach seiner Uraufführung 2004 in London nun die
erste Wiederaufnahme erlebte.
Meredith
Oakes zitiert in ihrem Libretto nicht eine Zeile Shakespeare, greift bestenfalls
einzelne Worte heraus, um diese in ihrem gereimten Text zu verwenden.
Heraus kommt eine vertraute Geschichte, die sehr eigenständig ist und
große Wirkung zeigt. Außerdem gewährt sie dem Komponisten alle Freiheit,
die der Opernkomponist gegenüber dem Stückeschreiber braucht. So kann
Adès z. B. einen Chor einsetzen, indem er alle Schiffbrüchigen (schließlich
reisen Könige und Herzöge nicht nur mit zwei Seeleuten und ohne Hofstaat)
präsentiert, die bei Shakespeare aus bühnenökonomischen Gründen nicht
auftauchen, und für diesen effektvolle Szenen komponieren.
Effektvoll,
nicht im oberflächlichen Sinne, sondern in guter Theatertradition sind
Stück und Inszenierung. Bereits der Sturm zu Beginn leitet dies ein. Bläserstarke
Musik mit vollem Orchester werden begleitet von neonfarbenem Licht vor
dunklem Hintergrund und einem gelb leuchtenden Ariel, der bzw. die wild
durch die Luft wirbelt (Regie wie auch Bühne: Tom CAIRNS). Als sich der
Sturm legt, sehen wir die Insel als aufgeschlagenes Buch, es könnte aber
auch ein aufgeklappter Laptop sein.
Hier
tummeln sich die Protagonisten, ganz wie bei Shakespeare. Prospero, ein
souverän singender Simon KEENLYSIDE, der allerdings von der Regie zum
etwas starr agierenden Stabschwinger degradiert wird. Er hat seinen absoluten
Höhepunkt am Schlßs, wenn er die Bücher zerrissen, seinen Zauberstab zerbrochen
und Ariel entlassen hat. Da überkommt ihn eine große Einsamkeit, fast
Sehnsucht schon jetzt nach seinem alten Inselleben, und er sinkt in sich
zusammen.
Ariel
(eine wunderbare Cyndia SIEDEN, die ihre Rolle mit ihren extrem hohen
Lagen perfekt meistert) fliegt derweil in die Freiheit. Nur das Monster
Caliban bleibt zurück. Dieses ist in Form eines bleichen dünnen Ian BOSTRIDGE
so gar nicht Furcht einflößend, sondern eher eine traurige Gestalt, wenn
er versucht Stefano (Stephen RICHARDSON) und Trinculo (Countertenor David
CORDIER) zum Mord an Prospero zu bewegen, und auch der Hofstaat ist bei
seinem Anblick eher amüsiert. So werden bei Adès die humorigen Szenen
zusammengestrichen zugunsten der Läuterung der Verräter Sebastian (Jonathan
SUMMERS), Antonio (Donald KAASCH) und des Königs von Neapel (Philip LANGRIDGE).
Dafür
wird nochmals die ganze Bühnentechnik aufgefahren und ein riesiges Fischmaul
und ein Höllenfeuer sehr realistisch in den Raum projiziert. Märchenhaft,
daß solch ein Zauber die Menschen bessern soll. So bleibt Prosperos Bruder
Antonio auch nach alle dem voller Haß, und man kann ahnen, daß er noch
einmal seinem Bruder nach dem Leben trachten wird. Er hat sonst nichts,
was sein Leben ausmacht. Keine Tochter wie Prosperos Miranda (eine mädchenhafte
Kate ROYAL), die sein Erbe als Frau von Ferdinand (Toby SPENCE) antreten
wird. Wie immer bei Shakespeares späten Werken herrscht am Ende Melancholie,
die Zukunft ist ungewiß. Vielleicht dies ein Reiz, die Geschichten immer
wieder neu zu erzählen.
Adès'
Musik wird all den Ansprüchen gerecht. Große Orchesterausbrüche stehen
wirkungsvoll neben leisen, lyrischen Passagen, die Musik ist schroff,
ohne sperrig oder unmelodiös zu werden. Das ORCHESTER DES ROYAL OPERA
HOUSES wird vom Komponisten mit viel Energie und großen Gesten durch das
Werk geführt. Das Haus war an diesem Abend fast ausverkauft, und das Publikum
dankte mit großem Jubel, besonders für den Londoner Komponisten. KS
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