In
Köln waren "Aida"-Wochen. Aufgrund der eigentlich ab dieser Spielzeit
geplanten Sanierung des Kölner Opernhauses ist man hier zu einer Art Stagione-Prinzip
übergegangen und spielt verschiedene Produktionen am Stück. Weshalb also
nicht die Chance nutzen, sich Verdis ägyptische Oper mit zwei sehr unterschiedlichen
Besetzungen zu Gemüte zu führen. Zwei Besetzungen, die sich in den Hauptpartien
an Qualität in nichts nachstanden.
Besetzung
22. Januar 2011
Dalia SCHAECHTER trieb Amneris' Leidenschaft und Liebe bis hin zum Wahnsinn.
Anfangs noch Schwärmerei für den Helden und Heerführer glitt ihre Figur
immer tiefer in einen Wahnzustand, aus dem sie schlußendlich nicht mehr
hinausfindet. Mit viel Mut zur Häßlichkeit nutzte der Mezzo gerade seine
vielseitigen vokalen Möglichkeiten aus, um dieser darstellerischen Entwicklung
auch eine musikalische Entsprechung zu geben. Das war, schlicht gesagt,
ganz großes Kino - leidenschaftlich, inspirierend, einfach großartig.
Wenige
Sängerinnen hätten dem wirklich etwas entgegen zu setzen. Adina AARON
besitzt allerdings nicht nur alle stimmlichen Voraussetzungen für eine
perfekte Aida, sie nutzte diese Fähigkeiten und ihre natürlich wirkende
Begabung zum Schauspiel für ein ebenso beeindruckendes Rollenporträt.
Selten habe ich eine Sängerin gehört, die den Zuhörer vom ersten Ton an
so für ihre Sicht der Partie einnehmen kann, jeden mitreißt und sich dabei
scheinbar wenig um gesangliche Konventionen schert. Traumhaft sicher fand
sie für jede Phrase den perfekten Klang und war mit augenscheinlicher
Begeisterung, ob bei der Auseinandersetzung mit Amneris oder beim Liebesduett
mit Radames, bei der Sache.
Vsevolod
GRIVNOV legte Radames nicht in der Tradition stimmkraftprotzender Rampensänger
an, sondern gab dem Helden facettenreichen Charakter und zeigte dessen
Zerrissenheit zwischen Liebe und Pflichtgefühl. Zudem saßen alle Töne
sicher, klang die Stimme in allen Lagen perfekt. Die Ruhe und Selbstsicherheit,
die der Tenor hier beim Singen ausstrahlte, beeindruckten. Die Szene mit
Amneris im vierten Akt, von beiden Künstlern mit Leidenschaft und Verve
fern der "normalen" Bühnenrealität vorgetragen, war definitiv einer der
Höhepunkte des Abends.
Defizite
zeigen sich einzig bei den tiefen Männerstimmen. Weder Roman POLISADOV
als mißtönender Ramphis, noch Wilfried STABER als König oder Jorge LAGUNES
als persönlichkeitsarmer Amonasro erwiesen sich als ihrer Rolle gewachsen.
Da polterte es viel zu sehr. Jeder der Herren ließ rhythmische Ungenauigkeiten
hören. Insgesamt enttäuschende Leistungen, die sich so gar nicht in das
eigentlich positive gesangliche Gesamtbild einfügen mochten. Jeongki CHO
dagegen wertete die Dreisatzrolle des Boten mit seiner ausgesprochen schönen
Tenorstimme immens auf, und auch Kathleen PARKER als Priesterin punktete
mit einer so warmen wie makellosen Stimme. Schade, daß man von diesen
beiden jungen Künstlern nicht mehr hören konnte.
Besetzung
23. Januar 2011
Auch Hui HE verfügt über eine ausgesprochen schöne Stimme. Anders jedoch
als ihre Kollegin am Vorabend gelang es ihr nicht mit letzter Konsequenz,
Aidas verschiedene Charakterzüge wirklich glaubhaft zu machen. Zuviel
Wert legte die Künstlerin auf absoluten Schönklang und vergaß dabei wohl
hin und wieder die Darstellung der Figur. Musikalisch indes ließ sie makellosen
Verdigesang hören, der, nur von dieser Warte betrachtet, die Begegnung
mit diesem Sopran interessant machte.
Scott
MACALLISTER von Haus aus mit einer kräftigen Stimme gesegnet, vergaß trotz
aller (genutzten) Chancen zur Profilierung mit strahlenden, perfekt gesungenen
Spitzentönen nicht, das eine oder andere Piano nicht. Sein Radames unterschied
sich zu dem vom Vorabend durch eine Art aufgedrehten Übermut, der dem
ägyptischen Heerführer ebenfalls gut zu Gesicht stand und so eine andere
grundlegende Facette der Figur in den Vordergrund stellte, die Ernsthaftigkeit
des Vortrags aber in keiner Weise beeinträchtigte. Gesungen wurde vom
amerikanischen Tenor in allem textsicher mit guter Diktion und gewohnt
souverän.
Jovita
VASKEVICIUTE besitzt alle Voraussetzungen für eine gute Amneris. Spielfreude
sowie die genaue gesangliche Zeichnung des Charakters standen ihr gut
zu Gesicht. Leider zeigte sie zum Ende des Duetts mit Radames vor der
Gerichtsszene deutliche Schwächen. Die anschließende Konfrontation mit
den Priestern zeigte deutlich, wo die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten
liegen. Schade, denn davor war ihre Abendleistung makellos gewesen.
Mikhail
KAZAKOV gab zumindest darstellerisch einen guten Ramphis. Sobald er allerdings
zu singen begann, verflüchtigte sich der positive Eindruck augenblicklich.
Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal eine derart ungepflegte, grobe
Baßstimme gehört habe. Samuel YOUN enttäuschte als Amonasro mit einem
recht unmotivierten, holperigen Auftritt. Wilfried STABER konnte sich
als König wieder nicht profilieren, während Jeongki CHO als Bote und Kathleen
PARKER als Priesterin den positiven Eindruck vom Vorabend mit großartigen
Leistungen bestätigten.
CHOR
und EXTRACHOR (Leitung: Andrew OLLIVANT), denen zum Triumphmarsch ein
Auftritt durch den Zuschauerraum beschert wurde, hatten an beiden Abenden
mit der einen oder anderen Unwegbarkeit aufgrund der Inszenierung zu kämpfen,
meisterten ihre Sache dafür dann aber relativ gut.
Will
HUMBURG wurde vom Publikum für sein Dirigat jeweils frenetisch gefeiert.
Nichtsdestotrotz kam es an beiden Abenden zu der einen oder anderen Unstimmigkeit
zwischen Graben und Bühne. Das GÜRZENICH-ORCHESTER KÖLN spielte unter
seiner Leitung soliden Verdi, ohne daß man von besonderen Akzente oder
einer inspirierten Interpretation überrascht wurde. Ein großes Plus waren
die Aida-Trompeten, die an beiden Abenden fehlerfrei spielten.
Regisseur
Johannes ERATH wollte augenscheinlich wohl eigentlich lieber Verdis "Don
Carlos" inszenieren. Von der Stückwahl des Kölner Opernhauses, namentlich
"Aida" ließ er sich indes nicht beirren. Er ließ Ägypten Ägypten sein
und verlegte die Handlung in ein katholisches Umfeld mit Papst und Kardinälen,
mit Aida im Novizengewand und anderen Spielereien. Leider übersah er dabei,
daß es einer solchen Hervorkehrung des Priesterlich-Katholischen gar nicht
bedurft hätte. Verdis Abneigung gegenüber der Kirche ist auch in "Aida"
gar nicht zu überhören, Ramphis als manipulativer klerikaler Charakter
deutlich musikalisch gezeichnet. Wer es sehen bzw. hören will, dem wird
es auch in einem altägyptischen Umfeld nicht entgehen.
Diese
Inszenierung erzählt viel über Tod, Propaganda, die katholische Kirche,
Ausgrenzung einzelner Personengruppen, dem Erzeugen von Heldenfiguren,
über Liebe, Obsession, Konkurrenz - aber leider zu wenig über die eigentliche
Geschichte. Der Regisseur hat teils großartige Bilder gefunden, die nur
leider allzu oft außerhalb des eigentlichen Kontextes lagen. Andererseits
ließ er den Sängern viel Freiraum für Gestaltung, so daß an beiden Abenden
doch recht unterschiedliche Interpretationen der Beziehungen der Figuren
untereinander zu sehen waren. Dies und so grandiose Momente wie die bereits
erwähnte Amneris-Radames-Szene zeigten, daß da eigentlich mehr sein könnte
als reine Provokation von Publikumsreaktionen. Die Intension, die Geschichte
rückblickend aus der Sicht einer gealterten Amneris zu erzählen, ging
indes leider völlig unter.
Die
Kostüme von Christian LACROIX enttäuschten. Sicher, die Priestergewänder
und auch das Papstgewand des Königs gaben in ihren farbenfrohen Varianten
ein beeindruckendes Bild ab, doch bereits das erste Kostüm von Radames
wirkte eher wie ein Schlafanzug, und letztlich sollte jemand, der sich
sein Leben lang mit Mode beschäftigt hat, in der Lage sein, Kostüme zu
schaffen, die für beide Besetzungen gleichermaßen kleidsam sind.
Kaspar
GLARNER entwarf zu alldem ein Bühnenbild aus grauen Wänden, die in unterschiedlichen
Situationen zur Seite gefahren wurden, um einen Blick auf verschiedene,
recht farbenfrohe Installation das ein ums andere Mal auf einem fahrbaren
Podest freizugeben. Graue Wände, die während des Aida-Radames-Duetts im
Nilakt gedreht wurden und schließlich für die Schlußszene der leeren Bühne
wichen. Inspirierend ist etwas anderes.
Schlußendlich
zeigte diese Produktion, wie stark doch ein gutes Ensembles (oder in diesem
Fall zwei davon) jenseits aller Regieideen und grauen Bühnenbilder Verdis
Musik positiv erlebbar machen kann. Das nenne ich eine glückliche Hand
bei der Besetzungspolitik. AHS
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