Der
Entschluß, nach Kiel zu fahren und sich die aktuelle Premiere anzuschauen,
war ein sehr spontaner. Man sollte seinen Launen ruhig öfter nachgeben
(gerade als Frau ist dies ja nichts Ungewöhnliches). Mir bescherte es
diesmal einen packenden Opernabend, der musikalisch wie sehr szenisch
gelungen war.
Dabei
erwies sich gerade der Sänger der Titelpartie als Schwachpunkt. Musikalisch
macht Jörg SABROWSKI nichts falsch, ist aber nicht gerade mit einer der
aufregendsten Stimmen gesegnet. Aber in dem vorhandenen Material sollte
mehr als das wenig motivierende Abspulen der Töne stecken, das hier geboten
wurde.
Auch
in der Porträtierung Wozzecks blieb er aus meiner Sicht den gesamten Abend
eine Entwicklung schuldig. Alles geschah scheinbar aus einer gewissen
trägen Gleichmut heraus. Auf die Eifersucht und insbesondere die Eskalation,
die schlußendlich zum Mord an Marie führt, wartete man vergebens.
Seinen
Kollegen gelang es hier bedeutend besser, ihren Figuren Persönlichkeit
zu geben und Interesse an deren weiterem Schicksal zu wecken. Wie z.B.
Fred HOFFMANN als Hauptmann, der ihn bereits in den ersten Momenten des
Abends gnadenlos an die Wand spielte. Seine gesangliche Verkörperung jenes
Galgenstricks bot ebenfalls ein interessantes Spektrum. Oder Yoonki BAEK,
der nicht nur über eine schöne Stimme verfügt, sondern Andres auch jenseits
der reinen Unterstützung Wozzecks Profil zu verleihen wußte.
Hans
Georg AHRENS gab den Doktor zwar skurril, aber stets so, daß man an der
Glaubwürdigkeit dieser Figur kaum Zweifel hatte. Durch die deutlich zur
Schau gestellte Unverfrorenheit und Arroganz dieses Mediziners wurde es
schlicht vorstellbar, daß ein solcher Arzt ob seiner Chuzpe unbehelligt
sein Unwesen treiben konnte. Hinzu kam ein Lehrstück an exaktem Gesang,
der mit richtigen Maß an Gefühl versehen, für weitere Gänsehautstimmung
sorgte.
Die
tragende Figur des Abends jedoch sah und hörte man in der Marie von Sonja
MÜHLECK. Hier war sie nicht die überirdische Schönheit wie aus einer anderen
Welt, die zumindest ich mir immer für diese Partie vorgestellt hatte,
sondern eine sehr bodenständige Person, die unter dem Elend, in dem sie
lebt, leidet und versucht, sich dem Quentchen Vergnügen, das sich ihr
in Person des Tambourmajors bietet, ohne Reue hinzugeben.
Mit
ihrer natürlich und warm tönenden Stimme gab Sonja Mühleck Marie scheinbar
ohne Mühe eben diese Wahrhaftigkeit, klang nicht für einen einzigen Moment
gekünstelt oder verstellt. Ob im Umgang mit Maries Kind, dem Tambourmajor
oder Wozzeck stets fand sie die richtigen Farben, die entsprechenden Gesten,
die passende Mimik.
Jan
VACIK hatte am Tambourmajor trotz der Widerlichkeit dieses Charakters
sichtlich seinen Spaß. Seine trefflich gestalteten gesanglichen Auftritte
verstärkten den Wunsch, daß man den Tenor gern wieder einmal in einer
musikalisch größeren Partie erleben möchte.
Kyung-Sik
WOO war ein stimmgewaltiger Erster Handwerksbursche, der seine kurzen
Momente zu nutzen wußte. Michael MÜLLER ließ mit seinem erstklassig gesungenen
Narren aufhorchen. Merja MÄKELÄ gab eine springlebendige Margret. Norbert
CONRADS (Zweiter Handwerksbursche), Thomas LOOSE (Soldat) und Jonathan
SABROWSKI (Mariens Knabe) ergänzten auf gutem Niveau.
Das
PHILHARMONISCHE ORCHESTER KIEL trug einen wesentlichen Teil zu diesem
gelungenen Premierenabend bei. Alle Instrumentengruppen klangen so sauber
disponiert wie klar, und konnten als Gesamtklangkörper sowohl in den atonalen
Passagen als auch in den wenigen lyrischen Momenten fulminant überzeugen.
Alban Bergs Musik scheint auch Johannes WILLIG besonders zu liegen. Mühelos
hielt der Dirigent diesmal das Geschehen zusammen und schuf mit souveräner
Hand den vollkommenen, musikalischen Rahmen für das Drama auf der Bühne.
Der
CHOR DES THEATERS KIEL löste trotz teilweise beengtem Raums seine Aufgabe
gut, und auch der KINDERCHOR hatte am Ende einen gut gesungenen Auftritt
in sehr cooler Kostümierung à la schwarzer Block, was wie alle Gewänder
des Abends sehr gut zur Umgebung paßte (Kostüme: Claudia SPIELMANN).
Der
Kieler Intendant Daniel KARASEK bringt das Drama in einer Art Tunnel,
der üblichen Darstellung der "Paris sewer" in aktuellen "Les Mis"-Produktionen
gar nicht so unähnlich, auf die Bühne. Dabei gelingt es ihm und seinem
Team, die verschiedenen Schauplätze durch einfache Mittel von der umgebenden
Röhre sowie voneinander abzugrenzen. Die erste Szene wie die Untersuchung
durch den Doktor spielen in einem Lichtviereck, während die restliche
Bühne abgedunkelt ist. Marie lebt mit ihrem Kind in einem orangefarbenen
Quader, der je nach Bedarf auf der Bühne hin- und hergefahren und gedreht
werden kann. Der Tanz findet in einem engen Raum statt, der aus dem Bühnenboden
hinaufgefahren wird, etc. (Bühnenbild: Norbert ZIERMANN).
Die
so ermöglichte rasche Abfolge der Bilder gibt der Produktion einen beinahe
filmischen Charakter, wobei sich intime und raumgreifende Szenen stückkonform
mit viel Gefühl für die Musik abwechseln. Ganz großes Kino irgendwie,
das für Bergs Oper einnimmt und dort erklärend ist, wo die Musik allein
vielleicht verstörend wäre. Eine beeindruckende Arbeit.
Die
schweigende Ratlosigkeit des Premierenpublikums nach Ende des Stücks schenkte
dem Zuhörer einen Moment der Ruhe zum Wirkenlassen und In-sich-gehen (Himmlisch!).
Der eher verhaltene Applaus, der dem folgte, läßt allerdings befürchten,
daß dieser Produktion nicht der Erfolg beschieden sein wird, den sie verdient
hätte. Das wäre wirklich schade. AHS
|