Und
weil das so ist, dürfte der Krankenstand in und um Hildesheim in diesem
Winter wahrscheinlich rapide sinken. Das dortige Stadttheater stellte
in der Vorweihnachtszeit die Oscar-Straus-Operette "Der tapfere Soldat"
(nach einer Vorlage von Bernhard Shaw) unter dem Titel "DER SCHOKOLADESOLDAT"
auf die Bühne und landete damit beim größten Teil des Premierenpublikums
einen Riesenerfolg.
Nichts
ist dabei operettig, aber Operette ist alles.
Die
Handlung wurde von Regisseur Gerd Leo KUCK und Kathrin HEGEDÜSCH (Bühne/Kostüme)
in die Jetztzeit verlegt und bonbonbunt angemalt, ohne daß auch nur ein
Funken der meist unterschwelligen Kritik an Krieg, Gewalt, Heldenvergötterung,
aber auch am Machotum verlorenging. In der Musik von Oscar Straus findet
sich alles: Atonales, Wagnerianischer Heldengesang, Verdi-Anklänge, etwas
von Bizets "Carmen"-Schlußduett und jede Menge Operettenpersiflage von
Strauß bis Lehar.
Herrlich
choreographiert war der (eingeschobene) "Aida"-Triumphmarsch zum Einzug
der heimkehrenden, siegreichen Bulgarensoldaten. Eine vielleicht nicht
sehr würdige, aber immerhin eben eine Lösung dieses schwer in Szene zu
setzenden Musikstücks.
Vor
jedem Akt spielte man ein Stück deutscher Popgeschichte vom Band ein.
Zuerst "Männer sind Schweine" von den Ärzten, dann Grönemeyers "Männer"
und schließlich - Lea-ann Dunbar und Anne Krautwald halbszenisch und per
Playback dargestellt - "Ich find' Dich Scheiße" von Tic Tac Toe. Schon
diese Titelauswahl dürfte die Frage nach dem, was der Regisseur seinem
Publikum zum Stück sagen wollte, erübrigen...
Die
Damen des Hauses Popoff Carin SCHENK-SCHMIDT (Aurelia), Lea-ann DUNBAR
(Nadina) und Anne KRAUTWALD (Mascha) hatten die Szene ebenso wie die Männer
fest im Griff. Sie verfügen alle drei über treffliche Stimmen und eine
vorbildliche Wortdeutlichkeit. Letzteres war allgemein ein großes Plus
der Aufführung.
Lea-ann
Dunbars Nadina war glücklicherweise nicht Verkörperung einer typischen
Operettenheldin, sondern das lebendige Abbild einer jungen Frau mit ein
wenig schrägen Idealen. Ihre Höhen klangen etwas schrill, doch das konnte
die Künstlerin mit ihrer angenehmen Mittellage gut ausgleichen. Mascha,
von Anne Krautwald lebensecht verkörpert, bildete hier ein temperamentvolles
Gegenstück ohne stimmlich qualitativ schlechter zu sein.
Mit
Nadina verlobt, von Mascha angebetet und ein (Kriegs-) Held, wie er im
Buche steht, war Johannes HARTEN als Alexius. Der Sänger besitzt eine
heldisch-metallene Stimme mit strahlenden, sauberen Höhen, die ich an
dieser Stelle gar nicht vermutet hatte. Geradezu prädestiniert für die
Opern eines Herrn aus Dresden. Die Darstellung des sprichwörtlichen "strohdummen,
blonden und langmähnigen Helden" gelang ihm hervorragend.
Ein
Spiegelbild des neureichen Bürgertums um die Jahrhundertwende bot Piet
BRUNINX in seiner Verkörperung des Oberst Popoff. Die Weltgewandheit der
Figur ist eben nur gespielt, die Lebenserfahrung spärlich, und Krieg findet
als Nebenschauplatz nur für die persönliche Eitelkeit statt.
Mein
persönlicher Favorit unter den "Nebenrollen" war Vadim VOLKOV als Hauptmann
Masakroff. Das Klischee des wilden Bulgaren, der die mit Abstand abgefahrenste
Musik des Stücks geschrieben bekommen hatte, wurde vom Sänger noch herrlich
überzeichnet. Er verfügt überdies auch noch über einen passenden Akzent
und eine bemerkenswerte Stimme.
Und
dann war da noch dieser Schweizer, Bumerli mit Namen, der eines Nachts
auf der Flucht vor Masakroff in Nadinas Schlafzimmer einsteigt - in serbischer
Uniform (= Feinde) und nach spätestens 20 Sekunden mit eindeutig zweideutigen
Absichten.
Der
aus Zürich stammende Anton KUHN ist für diese Rolle prädestiniert. Operette
liegt ihm einfach. Davon hat man sich bereits überzeugen können. Er war
komisch, zuweilen sogar albern, ohne dabei das Niveau abrutschen zu lassen.
Auch die leisen, romantischen Stellen sind bei ihm nicht kitschig. Bumerli
ist noch dazu eine gesangliche Herausforderung, die der Tenor durch seine
vielschichtigen Opernerfahrungen mit Bravour meisterte. Eine schöne Charakterstudie
mit dem richtigen Maß an Augenzwinkern.
Das
Stadttheater Hildesheim zeigte, wie man Operette auch bringen kann, wobei
sich Oscar Straus nach Shaw für diese Deutungsweise anbietet. Eine gute
Ensembleleistung, in die Thomas DORSCH (mit Wortmeldung!) und das von
ihm geleitete Orchester (tapfere Damen und Herren u.a. bei "Anton Kuhn
scheppert durch den Graben"...) einbezogen wurden. Die Fäden liefen unauffällig,
aber souverän beim Dirigenten zusammen. Auch der Chor und der Extrachor
verdienten sich den begeisterten Schlußapplaus.
Es
war musikalisch wie szenisch ein exzellenter Abend, und für mich das erste
Mal, daß es bei einer Operettenaufführung keinen einzigen sängerischen
Ausfall gab. Wir haben uns köstlich amüsiert und sehr herzlich gelacht.
AHS
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