Der
langweilige Westen
In
dieser Produktion ist der Westen so gar nicht wild. Das
beginnt mit Minnie. Emily MAGEE hat die Töne für die Rolle, leider jedoch
blüht ihre Stimme nicht ausreichend auf, die großen Ausbrüche bleiben
gebremst. Es fällt einfach schwer zu glauben, daß diese Frau ohne weiteres
eine Horde rauher Goldschürfer allein durch ihre Anwesenheit unter Kontrolle
hat. Sie strahlt nicht die Persönlichkeit aus, die diese Figur bedarf.
Carlo
VENTRE versuchte alles, um bei seinem Dick Johnson und Minnie wenigstens
das eine oder andere Mal, den Funken überspringen zu lassen. Er scheiterte,
allerdings auch nur daran. Stimmlich gelang ihm eine mehr als solide Darbietung,
von einer Indisposition in den vorherigen Vorstellungen war nichts mehr
zu hören.
Andrzej
DOBBERs Stärke ist die musikalische Gestaltung einer Partie und so blieben
stimmlich keine Wünsche offen. Sein Bariton ist unbestritten für Puccini
gemacht. Allerdings hätte man sich vielleicht von Jack Rance etwas mehr
Gefährlichkeit gewünscht.
Jürgen
SACHER als Barkeeper Nick ist darstellerisch sehr präsent, immer "da",
es freut auch, in wieder einmal in einer größeren Rolle erleben zu können.
Als Sonora ist Davide DAMIANI eine sehr gute Besetzung mit viel Stimme
und darstellerischem Vermögen. Als Ashby hat Tigran MARTIROSSIAN gesanglich
nicht allzuviel Gelegenheit zu punkten, als Figur ist er jedoch sehr überzeugend.
Szymon
KOBYLINSKI als Billy Jackrabbit und Rebecca Jo LOEB als Wowkle boten in
ihrer kurzen Szene mehr gemeinsame Innigkeit, als man es bei Minnie und
Johnson den gesamten Abend über zu sehen bekam. Florian SPIESS beeindruckt
in seinem kurzen Solomoment als Jake Wallace nachhaltig.
Selbst
in den kleinsten Rollen spielte die Staatsoper die Ensemblekarte aus,
und Dovlet NURGELDIYEV (Trin), Moritz GOGG (Sid), Viktor RUD (Bello),
Benjamin POPSON (Harry), Jun-Sang HAN (Joe), Vincenzo NERI (Happy), Alin
ANCA (Larkens), Christoph RAUSCh (José Castro) oder Daniel TODD (Postillon)
machten ihre Sache ausgezeichnet.
Besonders
beeindruckend waren der Zusammenklang von Ensemble und CHOR. Momente,
in denen man perfekte Harmonie zu hören bekam. Wie auch immer Eberhard
FRIEDRICH das gemacht hat, er hat das Chorwunder von der Spree an die
Elbe gebracht.
Ein
Puccini-Wunder fand auf jeden Fall auch im Orchestergraben statt. Carlo
MONTANARO schwelgte geradezu in der Partitur. Er spielte jede Nuance aus,
und die Romantik, die Dramatik, welche auf der Bühne nicht wirklich stattfand,
kam zumindest aus dem Orchester. Die PHILHARMONIKER HAMBURG klangen trotz
waren Klangwogen nie zu laut. So engagiert hat man sie im italienischen
Fach lange nicht mehr gehört.
Die
Inszenierung (Vincent BOUSSARD) ist schlichtweg langweilig. Selbst der
aufmerksame Zuschauer erfährt hier weder etwas über das Stück selbst,
noch über die Beziehungen der Personen untereinander. Zwischenmenschliche
Kommunikation ist out, Rampen- oder sonst wie Herumstehen dagegen in.
Gerade
in den Beziehungen zwischen Minnie und Johnson bzw. zwischen ihr und Jack
Rance wird unglaublich viel Potential verschenkt. Daß
der Regisseur im Finale Rance vollkommen unauffällig abgehen läßt, bevor
alles vorbei ist, ohne Reaktion auf das Geschehene, gibt die klare negative
Antwort auf die aufgekommende Frage, ob ihn die Figuren überhaupt interessieren.
Schade, denn Musik und Text geben es eigentlich her.
Schlimmer
als diese Langeweile sind allerdings die Momente, in denen die Inszenierung
einfach unfreiwillig komisch wird. Da wird suggeriert, daß im zweiten
Akt weit mehr als ein Kuß zwischen Minnie und Johnson geschehen ist, aber
sie erklärt ihm hinterher in mädchenhafter Scheu, er möge das Bett nehmen,
sie den Platz vor dem Feuer. Unwillkürlich fragt man sich, ob er so ein
Reinfall war. Johnsons Verletzung muß mindestens eine Arterie getroffen
haben, wenn seine Blutstropfen in der Lage sind, den mehrere Meter entfernt
stehenden Rance zu treffen. Und Minnie und Rance müssen im Stehen pokern,
ohne Tisch, was die Sänger vor die schwierige Aufgabe stellt, Karten zu
halten, abzulegen und gleichzeitig die abgelegten Karten festzuhalten.
Das
Bühnenbild (Vincent Lemaire) zeichnet ein ödes Bild des amerikamischen
Westens. Minnies Saloon ist zumeist unterbeleuchtet (Licht: Guido LEVI),
unaufgeräumt, vom Platzangebot großzügig, aber eher karg eingerichtet.
In ihrer Hütte lagert sie ihre geliebten Bücher - und später auch den
verletzten Helden - auf einer Treppe, die ins Nirgendwo führt. Auch von
den Kostümen her bot der Abend nichts Aufregendes.
Ähnlich
wie schon in der der Kölner "Aida"-Produktion ist Christian LACROIX nichts
eingefallen, das als besonders kleidsam bezeichnet werden könnte. Da helfen
auch Minnies rote Schuhe und Handschuhe im 2. Akt nichts.
Glücklicherweise
steht die szenische Beliebigkeit der hervorragenden musikalischen Umsetzung
nicht im Weg, und schlußendlich gibt es Schlimmeres als gepflegte szenische
Langweile. MK & AHS
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