Kann
man sich spontan in ein Werk verlieben? Man kann. Diese Version von Nathaniel
Hawthornes Roman hat so viele wundervolle musikalische Momente, daß man
sich eigentlich nicht daran satt hören kann.
Fredric
Kroll, ein gebürtiger US-Amerikaner, der nach Deutschland migrierte, hat
fünfzig Jahre lang an seiner Oper gearbeitet. Hört man sich die Musik
unvorbereitet an, würde man sie vermutlich irgendwo in den ersten zwei
Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhundert einordnen. Fredric Kroll ist jedoch
Jahrgang 1945. Seine Oper erlebte ihre Erstaufführung nur mit Klavierbegleitung
1981. Vor einigen Jahren entstand eine Demoaufnahme des Stückes, die der
Komponist fünfzig deutschen Opernhäusern zukommen ließ für eine Uraufführung
mit Orchester. Unverständlicherweise griff keines zu. Liegt es daran,
daß die Musik zu tonal ist, manchmal fast an Musicals gemahnt? Daß sie
den Zuhörer zu packen weiß? Daß sie drei keineswegs leicht zu singende
und zu spielende Hauptpartien aufweist?
Die
Hamburger Kammeroper, die nie um eine Ausgrabung verlegen ist, ergriff
schließlich die Gelegenheit und brachte das Stück mit einer bei ihr üblichen
kammermusikalischen Bearbeitung und mit verbindenden Sprechtexten am 9.
April 2014 zur Uraufführung. Der Erfolg gibt dem Haus recht.
Man
könnte vielleicht anmerken, daß die deutsche Textfassung (Barbara Hass),
worauf Regisseur Michael BOGDANOV im Programmheft hinweist, sehr sorgfältig
am englischen Text entlang verfaßt wurde; leider ist sie an manchen Stellen
nicht wirklich gut singbar.
Bogdanov
inszeniert die Geschichte ohne Mätzchen, er erzählt stringent und nachvollziehbar.
Besonders bei den drei Hauptpartien hat er offenbar auch viel Zeit in
die Personenführung investiert, wobei er den intimen Rahmen dadurch ausnutzt,
daß mit minimalen Gesten große Wirkung erzielt werden kann. Das Bühnenbild
von Kathrin KEGLER ist einfallsreich. Mit wenigen Requisiten und Handgriffen
entstehen eine Gefängniszelle, ein Pranger oder ein Wald, die als solches
auch stets zu erkennen sind. Die Kostüme von Barbara HASS sind schön anzusehen,
insbesondere Hester Prynnes Kleider sind eine Pracht.
Rebekka
REISTER konnte uns als Hester Prynne zum ersten Mal wirklich begeistern.
Im Gegensatz zu den Partien, die wir von ihr bisher an der Kammeroper
gehört haben, besticht sie hier nicht nur mit einer ausgesprochen guten
stimmlichen Leistung, die keine Wünsche offenläßt, sondern auch mit einer
ausgefeilten Charakterstudie, die den Zuschauer jede Sekunde fesselt.
Es wirkt, als wäre hier ein Knoten geplatzt.
Daß
in Thomas FLORIO mehr steckt, als man bisher (insbesondere an der Staatsoper)
hören durfte, ist wenig überraschend. Sein Roger Chillingworth ist so
voll Dämonie, daß man nicht weiß, ob man fasziniert sein oder sich besser
fürchten sollte. In jeden Fall kann man sich weder satt sehen, noch satt
hören. Der Sänger beherrscht mit vollkommen natürlich wirkender Präsenz
und perfekt geführter Stimme die Bühne, sobald er sie betritt, ohne dabei
seine Partner zu vergessen.
Als
Arthur Dimmesdale, der Mann, dessen Namen Hester nicht verraten will,
sprengte Daniel POHNERT mit heldentenoralen Tönen fast den kleinen Raum.
Da er auch zu piani-Tönen fähig ist, gelang ihm ein ergreifendes Porträt
des in seiner Schuld verstrickten Pfarrers.
Sandra
SCHÜTT singt neben einer Puritanerin auch Hesters Tochter Pearl. Die Spitzentöne
sind unschön schrill. Es gelang ihr auch nicht, halbwegs glaubhaft ein
zehnjähriges Naturkind auf die Bühne zu stellen.
Andrey
VALIGURAS ließ als Reverend Wilson eine mächtige Baßstimme hören. Titus
WITT sang gleich drei Rollen (John Bellingham, Puritaner, Kapitän) mit
sonorem Bariton, von Jana LOU als Mistress Hibbins und Puritanerin hätte
man gerne mehr gehört.
Fabian
DOBLER, der diese musikalische Fassung geschaffen hatte, dirigierte am
Pult des ALLEE THEATER ENSEMBLES den gesamten Abend über engagiert und
ohne Probleme. Man kann eigentlich nur immer wieder betonen, welche großartige
Arbeit dieses "Mini-Orchester" in jeder Kammeroper-Produktion leistet.
Es
ist wirklich nicht schwer, diese Oper auf die Bühne zu bringen. Vielleicht
findet sich doch ein größeres Haus. Zu wünschen wäre es Werk und Zuschauern.
Wir werden definitiv ein zweites Mal in die Kammeroper gehen. AHS & MK
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