Es
brauchte zahlreiche Versuche, Inszenierungen und Besetzungen, bis ich
"Don Carlos" zu den Opern zählte, die ich wirklich sehr mag. Seit diesem
Sonntag weiß ich, daß sich dieses Gefühl von "sehr mögen" wohl eher auf
die italienische Fassung dieser Verdi-Oper bezieht. Doch der Reihe nach.
Gespielt
wird die fünfaktige ungekürzte französische Fassung, was dank der Sänger
und der musikalischen Leitung trotzdem nicht langatmig wirkte. Sprachlich
war es dann aber doch nicht meins. Die italienischen Worte klangen so
häufig im Ohr, daß ein Konzentrieren auf den französischen Text zum Teil
schwer fiel. Musikalisch war es, wenn auch mit Abstrichen, ein sehr schöner
Abend.
Alexander
JOEL trug hierzu wesentlich bei. Die PHILHARMONIKER HAMBURG klangen unter
seiner Leitung sehr ausgewogen, und ausgesprochen dynamisch. Selbst die
Blechbläser patzten nicht ein einziges Mal. Zudem ließen sich weder Dirigent,
noch Orchester vom Gewusel im Zuschauerraum zum Autodafé aus der Ruhe
bringen.
Bei
den Sängern lagen Licht und Schatten dicht beieinander.
Jean-Pierre
FURLAN bot im Rahmen seiner stimmlichen Fähigkeiten und der ihm von der
Regie auferlegten Spielereien alles ihm mögliche. Wer allerdings auf einen
Carlos hoffte, dessen jugendliche Schwärmereien und Ideen sich auch irgendwie
in der musikalischen Interpretation niederschlugen, wurde eher enttäuscht.
Iano
TAMAR übertraf dagegen die in sie gesetzten Hoffnungen noch. Nicht nur,
daß sie ihre Partie exakt und doch gefühlvoll sang, sie bot zudem auch
eine spannende, wohldurchdachte Interpretation. Elisabeth ertrug hier
nicht still leidend, duldend jede Schmach, sondern stellte sich dem ungewollten
Ehemann entgegen und versuchte aktiv, Carlos zu schützen. Es wäre schön,
die Sängerin einmal in der italienischen Fassung zu hören.
Ein
"neuer" Bariton macht grundsätzlich neugierig. Rodion
POGOSSOV hat laut Website der Staatsoper in Hamburg bereits Rossinis Figaro
gesungen, was ich - leider - verpaßt habe. Sein Posa hatte all das an
Leidenschaft, Idealismus und Verve, was man beim Carlos vermißte. Hinzu
kam eine ausgesprochen schöne und kultivierte Stimme, die keine Herausforderung
zu fürchten hatte. Es steht zu hoffen, daß man diesen Sänger nun häufiger
in Hamburg zu hören bekommt.
Bei
Nadja MICHAEL schien die vorab angeschobene PR-Maschinerie zumindest an
diesem Sonntagnachmittag zu wirken. Das anwesende Publikum feierte die
Sängerin pflichtschuldig. Allein, es blieb die Frage nach dem Warum. Selten
habe ich eine Eboli gehört, die derart unkultiviert klang, noch nie eine
gesehen, die so ordinär wirkte. Zwar fügte dieses Bild irgendwie in die
Inszenierung, doch fragte man sich permanent, wie diese Frau zu einer
entsprechenden Position an spanischen Hof jener Zeit geschafft haben mochte
(Kronleuchter?). Ein kleiner Trost war, daß um die stimmliche Disposition
der Sängerin besser gestellt war, als man vorab befürchtet hatte.
Tuncay
KURTOGLU war als Großinquisitor zuwenig auftrumpfend und bestimmt in der
Figur. Er blieb auch stimmlich etwas blaß. Ensemblemitglied Adrian SÂMPETREAN
beeindruckte dagegen bei seinen kurzen Auftritten als Mönch mit seiner
ausgesprochen schönen, dunklen Stimme und einer sehr kurzweiligen Charakterisierung
Karl V.
Was
es auch immer in Hamburg ist, das Bässe so gut gedeihen läßt, beim ihm
wirkt es ebenso gut wie bei Tigran MARTIROSSIAN, der als Phillip die ganze
Tragik der Figur, zerrissen von den Pflichten als Herrscher, den Sorgen
um die Nachfolge und dem Leben als ungeliebter Ehemann, greifbar machte.
Gerade zu Beginn entsprach seine Deutung des Charakters so sehr dem Bild,
das man sich im allgemeinen von Phillip II. macht, daß man direkt Angst
bekam. Seine Stimme besitzt die nötige Eleganz und Flexibilität für diese
Partie und bot insbesondere in der Arie viel an musikalischer Vielschichtigkeit
und Charakter.
Überhaupt
gab es so einige Momente reiner Stimmfreude. Mélissa PETIT als Thibault
fiel ob ihrer glockenhellen Stimme und der akkurat gesungenen Koloraturen
im Schleierlied und auch sonst ausgesprochen positiv auf. Dovlet NURGELDIJEV
(Lerma/Herold) hatte einige beachtenswerte Kurzauftritte und durfte schließlich
mit süffisant klingender Stimme wie passend blasierter Attitüde von Eboli
das Kreuz einfordern. Besonders schön war der Moment, als er bei seinem
Auftritt als Herold beim Autodafé mit einigen wohlgesetzten, gar nicht
mal so lauten Tönen das Gemurmel im Zuschauerraum umgehend zum Verstummen
brachte.
Die
Flandrischen Deputierten (Thomas BRIESEMEISTER, Eun-Seok JANG, Andreas
KUPPERTZ, Gabor NAGY, Bernhard WEINDORF, Yue ZHU) litten bei ihrem Auftritt
wohl am meisten unter der Unruhe der Autodafé-Szene und klangen streckenweise
etwas uneins. Katharina BERGRATH war leider auch stimmlich mehr Monroe-Verschnitt,
denn Stimme vom Himmel.
Der
CHOR DER STAATSOPER (insbesondere die Damen) hatten einen rabenschwarzen
Nachmittag mit vielen Irritationen und Unstimmigkeit, was sehr schade
war, zumal man weiß, daß das eigentlich viel besser klingen kann.
Ein
wirkliches Ärgernis ist die als Kult gepriesene Inszenierung von Peter
KONWITSCHNY, die in ihrer Plattheit und den manchmal schon übermäßig belehrenden
Hinweisen zu Handlung und Historie nur schwer zu ertragen ist.
Musikalisch
traumhaft klang das Ballett. Was man auf der Bühne in diesem Moment allerdings
geboten bekam, war einfach nur zum Augenschließen. Das Ballett der Hansestadt
hat einen so guten Ruf. Hätte man hier nicht besser auf eine entsprechende
Choreographie zurückgreifen sollen?
Besonders
unsinnig ist die Idee, das Autodafé als Event mit Auftritt des königlichen
Gefolges sowie Vorführung der Gefangenen aus dem Parkett im vollbeleuchteten
Zuschauerraum zu beginnen. Trotz der verteilten Handzettel und den entsprechenden,
der Sensationspresse gleich anmutenden Ankündigungen in der vorhergehenden
Pause bleibt das Geschehen einem Großteil des Publikums unverständlich.
Hinzu kommt, daß das Geschehen im Parkett den Zuschauern mit Plätzen in
den Logen auf der rechten Seite ohnehin vollkommen verborgen bleibt. Da
hat jemand wirklich mitgedacht…
Als
Fazit bleibt zu sagen, daß obwohl mir die italienische Version von "Don
Carlos" einfach mehr am Herzen liegt, und die Inszenierung zeitweise nur
schwer zu ertragen ist, die Künstler auf der Bühne und im Graben einen
zweiten Besuch wirklich wert machen. AHS
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