Ob
es eine Tradition werden soll, daß die Hamburgische Staatsoper jeden Januar
eine fast perfekt auf die Bühne gebrachte, hauptsächlich aus dem jüngeren
Ensemble besetzte Mozart-Oper spielt? Ich kann nur dafür votieren. Nachdem
es im vergangenen Jahr bereits eine entsprechende "Don Giovanni"-Serie
gegeben hatte, folgte nun "Nozze". Die Inszenierung von Johannes SCHAAF,
inzwischen auch schon zwanzig Jahre alt, ist frisch geblieben. Vielleicht
klemmt das eine oder andere an den Bühnenbildern von Ezio TOFFOLUTTI (ich
kann hier nur die Türen erwähnen..), aber die Spontaneität, die diese
Produktion schon immer auszeichnete, ist geblieben ebenso wie die Personenregie,
die den Sängern zu genauen Charakterisierungen ausreichend Möglichkeit
gibt, sich zu entfalten. Es wäre höchst schade, wenn diese Perle irgendwann
im Depot verschwinden würde.
Im
Gegensatz zum "Giovanni" im vergangenen Jahr war auch dieses Mal die Leistung
der PHILHARMONIKER fehlerlos. Alexander JOEL am Pult gelang es zwar nicht,
große Einsichten und neue Nuancen zu finden, aber er hielt den Abend zusammen,
sorgte für einen reibungslosen Ablauf und war durchweg sängerfreundlich.
Das ist schon weit mehr, als man über so manchen anderen Dirigenten sagen
kann. Vielleicht der einzige Mangel des Abends lag im CHOR (Leitung: Christian
GÜNTHER) und den beiden Bauernmädchen im dritten Akt, wo das Ganze irgendwie
auseinanderfallend und müde klang, was merkwürdigerweise im ersten Akt
nicht festzustellen war.
Figaro
ist bei Wilhelm SCHWINGHAMMER in den besten Händen. Er ist überaus beweglich,
weiß, wie man Pointen setzt, und kann die Rolle mit seinem sehr flexiblen
Baß mühelos durchmessen. Das allerletzte Quentchen an Raffinesse, was
ich bei seinem Leporello im letzten Jahr noch vermißte, ist inzwischen
auch da, so daß keinerlei Wünsche offen bleiben. Ha Young LEE ist in der
Vergangenheit bei mir auf wenig Begeisterung gestoßen, doch als Susanna
ist sie tatsächlich ein echter Gewinn. Entgegen der sonst so häufig kritisierten
mangelnden Persönlichkeit auf der Bühne ist sie hier voll da, spielt eine
selbstbewußte junge Frau mit viel Humor, die auch handfest zulangen kann.
Dazu kommt eine absolut makellose gesangliche Leistung mit durchdachten
Phrasierungen.
Die
Contessa war mit Meagan MILLER, einem der Gäste, besetzt. Sie brauchte
etwas Anlaufzeit ("Porgi amor" klang nicht wirklich ideal), war dann jedoch
dem Rest der Besetzung absolut ebenbürtig. Sie fügte sich ohne weiteres
in das spielfreudige Ensemble, ihre Stimme harmonierte wunderbar mit Susannas.
Man fragte sich schon, warum der Conte sein Vergnügen bei einer so attraktiven
Frau woanders sucht. Der ungetreue Gatte hat mit Lauri VASAR eine Idealbesetzung
gefunden. Ein noch junger, viriler Schürzenjäger mit angenehm timbrierten
Bariton von weichem Klang, der jedoch auch heftig attackieren kann. Zudem
ist der Sänger ein echtes Bühnentier, selbst wenn er nur etwas beobachtet,
spürt man jederzeit Spannung und Präsenz. Daß Schwinghammer und er ein
wahres Dreamteam sind, hatte ja schon der "Giovanni" im letzten Jahr bewiesen.
Cristina
DAMIAN als Cherubino ist als vollpubertierender Junge sehr glaubwürdig.
Gerade in den Szenen mit der Gräfin vergißt man vollkommen, daß es sich
um eine Hosenrolle handelt, weil es absolut glaubwürdig ist, wie sich
hier sich ein Junge an eine ältere Frau heranmacht. Die Stimme hat zudem
in dieser Rolle diesen androgynen, aber dennoch fiebrigen Klang, wie man
ihn sich vorstellt. Jürgen SACHER hat als Basilio sein komödiantisches
Timing wiedergefunden, welches ihm in der "Fledermaus" im Dezember abhanden
gekommen zu sein schien. Da saß jede Geste, jede Bewegung, und ausnahmsweise
war die Arie von der Eselhaut keine Zeitverschwendung, sondern machte
tatsächlich einmal Sinn.
Mit
Katja PIEWECK steht eine Marcellina auf der Bühne, die so köstlich eine
alternde Matrone mit Frühlingsgefühlen spielt, daß es der jugendlichen
großformatigen Stimme bedarf, um nicht zu vergessen, daß die Sängerin
deutlich jünger als ihre Rolle ist. Wer in dieser Ehe die Hosen anhaben
wird, dürfte ohne Zweifel feststehen, obwohl Bartolo mit Steven HUMES
sehr präsent ist und Qualitäten als Szenendieb besitzt. Die Stimme ist
sicherlich keine ganz große, aber der Sänger weiß damit effektvoll umzugehen.
Barbarina
war die noch extrem junge Mélissa PETIT aus dem Opernstudio, die mit nicht
großer, aber gut tragender Stimme sang, und sehr glaubhaft einen bockigen
verliebten Teenager darstellte. Der Antonio von Dieter SCHWEIKART setzte
keine großen Glanzpunkte, fiel jedoch auch nicht negativ auf, wie dies
leider häufiger in dieser Rolle der Fall ist. Schließlich scheint sich
Frieder STRICKER inzwischen auf etwas trottelige Juristen spezialisiert
zu haben. Sein Don Curzio ist sicherlich kein Highlight der Gesangskunst,
aber ich kenne niemanden, der sonst diese Art Rolle so treffsicher verkörpern
kann.
Dieser
Abend sollte allen eine Lehre sein, die abfällig meinen, es singe ja "nur"
eine Hausbesetzung. Für mich wird eine solche Besetzung immer mehr zum
Argument, unbedingt die Vorstellung zu besuchen. MK
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