Nun
hat sie die Oper also doch noch dirigieren können....
2001
hatte Simone Young als Chefin in Sydney den Kompositionsauftrag an ihren
Landsmann Brett Dean vergeben, zur Uraufführung dort war es aber erst
im Frühjahr 2010 - sieben Jahre nach dem vorzeitigen Abgang von Frau Young
- gekommen, wobei das Projekt infolge diverser Umstände vor Ort wohl zwischenzeitlich
kurz vor dem Scheitern gestanden hatte.
Wenn
also schon nicht die UA, dann wenigstens die deutsche Erstaufführung,
die im bei solchen Gelegenheiten wie üblich nicht ausverkauften Hamburger
Haus mit einhelligem Beifall aufgenommen wurde. Der war vor allem für
die musikalisch ausführende Seite voll gerechtfertigt; bei der Szene würde
ich doch einige Einschränkungen machen - und die Begeisterung für das
Stück als solches kann ich leider für mich nicht nachvollziehen...
Das
Libretto von Amanda Holden basiert auf dem 1981 erschienenen gleichnamigen
Roman von Peter Carey, in dem dieser u. a. eigene Erfahrungen aus der
Werbebranche verarbeitete. Erzählt wird die Geschichte von Harry Joy,
der bei der Jubiläumsfeier seiner Werbeagentur einen Herzinfarkt erleidet
und danach aus der Nahtod-Erfahrung heraus die Dinge sieht, wie sie wirklich
sind; die Frau hat einen Liebhaber, die Kids nehmen bzw. dealen mit Drogen,
der Hauptkunde produziert Krebs-Förderndes - es wirkt wie eine Mischung
aus dem Buch Hiob, einem Drama von John Osborne und Murphy's Law. Um dem
zu entgehen, bestellt Harry sich ein Callgirl namens Honey B., das neben
seinem horizontalen Nebenjob als Imkerin arbeitet (nomen est omen) und
Harrys Leben total verändert, so sehr, daß er beschließt "to be good",
eine Aufgabe, in die er sich mit einer moralinsauren Intensität stürzt,
als sei das Libretto ebenfalls von B. (nicht Honey, sondern Bertold).
Und irgendwie paßt die Musik über weite Strecken genau darauf, Kurt Weill
läßt grüßen.
Brett
Dean, der 15 Jahre lang als Bratscher bei den Berliner Philharmoniker
gespielt hat, ist sicher auch aus dieser Erfahrung heraus ein glänzender
Instrumentator und stilistisch quer durch die Zeiten sowohl in der E-
als auch der U-Musik zuhause, die Übergänge verwischen. Das Ergebnis ist
besonders im ersten Teil aber auf Dauer relativ einförmig, eine zwar in
den Klangfarben variable, aber harmonisch nicht wirklich interessante
rhythmische Dauerhektik, in der sich die Gesangslinie oft genug eher beiläufig
verliert; zu einer guten Oper fehlt es an wirklichen musikalischen Gegensätzen,
für ein gutes Songspiel mangelt es an Prägnanz.
Das
wird ab dem zweiten Akt besser, die Musik setzt Ruhepunkte, es gibt den
einen oder anderen ganz altmodischen Ensemblesatz, bei dem die Stimmführung
plötzlich aufhorchen läßt, weil sie als für das menschliche Organ geschrieben
erscheint und nicht nur der Textunterbringung dient; besonders die beiden
Sopran-Hauptrollen bekommen so neben aller Schwierigkeit auch ein paar
dankbare Aufgaben, Richard Strauss läßt grüßen. Aber insgesamt hätten
den etwa 150 Minuten ein paar kräftige Striche doch gut getan - die Oper
hat Längen...
Regisseur
Ramin GRAY hat dem Satz vom "elephant in the room" (eine unübersehbare
Wahrheit, die aber keiner ausspricht) quasi als Leitmotiv genommen und
sich von Ausstatterin Lizzie CLACHAN eine elefantenreiche Bühne bauen
lassen. Ein Auge des großen Grauen blickt schon vor Beginn vom Bildschirm,
der Rahmen des heimischen Hauses der Familie Joy ist im entsprechenden
Format etc. Was darin stattfindet, ist zweifellos handwerklich sauber
gearbeitet, auch die vielen Verwandlungen klappen problemlos, aber vor
allem dem ersten Akt fehlt die satirische Schärfe, mit der das geballte
Unglück wieder erträglich wäre; es wirkt unentschlossen, als ob Gray sich
nicht zwischen Ernst und wirklich schräger Überzeichnung habe entscheiden
können. In der Irrenhaus-Szene des 3. Aktes ist dann auch mal wieder der
obligate zivilisatorische Müllberg dran, und am Ende sitzt Harry in einer
Art Wabe inmitten desselben neben seiner à la Biene Maja gekleideten Honey
und anscheinend noch ein paar Bienchen mehr. Es bleibt offen, ob er damit
sein Glück gefunden hat oder nur einen neuen Job als Drohne. Am ehesten
hängen geblieben ist bei mir die Szene im 2. Akt, in der Harry mit Nigel
Clunes, dem Product Manager der Firma, die er aus moralischen Gründen
von der Liste seiner Kunden streicht, ein wirklich ernsthaftes Gespräch
führt. Da werden bei Gray plötzlich aus Typen mehrdimensionale Menschen
- aber vielleicht liegt es auch an der Szene selbst, die für mich die
stärkste des Stücks ist.
Wolfgang
KOCH holte aus der Mammutpartie (noch ein Elefant...) des Harry Joy das
vermutlich Optimale heraus; mit unermüdlichem Einsatz und ebensolchen
Stimmbändern schuf er eine Figur, die jederzeit präsent war, obwohl gerade
ihr die musikalische Einprägsamkeit abging - letztlich ein Sieg über die
Rolle, der ohne die eminente Ausstrahlung kaum möglich gewesen wäre.
Ehefrau
und Geliebte waren mit zwei koreanischen Sängerinnen besetzt, was purer
Zufall war und nicht im Libretto vorgesehen, ansonsten hätte man darüber
sinnieren können, warum Männer immer wieder beim selben Typ Frau landen...
Hellen KWON demonstrierte als ellenbogenstarke, karrierebewusste Ehefrau,
daß sie erfolgreich im Charakterfach angekommen ist ohne deswegen nun
gleich stimmlich mildernde Umstände beantragen zu müssen. Das Organ klang
ausgesprochen kraftvoll, die Höhen kamen sicher - nur die gesungene Sprache
(englisch) habe ich erst mit Verspätung eruieren können. Ha Young LEE
(Honey B.) lieferte mit silbrigem Timbre und schönen Bögen den nötigen
Kontrast dazu und machte obendrein als Erscheinung verstehen, warum Harry
sie mehr als nur nett findet.
Alle
anderen Rollen sind mehr oder weniger Episode, für mich ein zusätzliches
Problem des Stücks, weil die kaleidoskopartige Aneinanderreihung der Szenen
den Zusammenhalt zusätzlich erschwert. Andererseits aber auch Gelegenheit
für das gesammelte Ensemble, sich in zum Teil mehreren Chargen ordentlich
austoben zu können, wobei hier ob der Menge Figuren nur einige stellvertretend
erwähnt seien. Peter GALLIARD brillierte als italienischer Restaurantbesitzer
und nachdenklicher Firmenmanager mit zwei derart unterschiedlichen Portraits,
daß man kaum geneigt war, beide nur einem Sänger zuzuordnen. Renate SPINGLER
durfte als herrische Irrenhaus-Chefin im Maggie-Thatcher-Look ordentlich
auf die Tube drücken und Gabriele ROSSMANITH und Maria MARKINA hatten
einen wundervollen Kurzauftritt als lästernde Krankenschwestern. Alle
sind offenbar mit Spaß bei der Sache, und auch rein vokal gibt es rein
gar nichts zu meckern.
Im
Graben hielt Simone YOUNG die Fäden souverän in der Hand (soweit sich
das bei einem Stück, das man das erstemal hört, sagen läßt) und auch die
PHILHARMONIKER scheinen sich der neben dem "normalen" Orchestersound mitunter
auf eher ungewöhnliche Weise erfolgenden Klangerzeugung mit Gusto hinzugeben
- was man schließlich nicht an jedem Abend behaupten kann. HK
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