Geschlagene
56 Jahre ist die letzte Premiere von Giordanos "Andrea Chenier" an der
Hamburgischen Staatsoper her, sie fand noch im Provisorium der Nachkriegszeit
statt. Doch anstatt die Gelegenheit zu nutzen, diesem ausgesprochen bühnenwirksamen
Stück eine Neuinszenierung angedeihen zu lassen, reichte es nur zu vier
konzertanten Aufführungen. Szenisch beglückt man uns lieber wieder mit
"Lucia" und "Aida". Der Hang von Simone Young zur szenischen Wiederholung
sattsam bekannter Werke ist leider unübersehbar...
Rein
musikalisch konnte sich die Sache allerdings hören lassen. Das Stück steht
und fällt mit dem Tenor, und hier hatte man mit Johan BOTHA einen der
wenigen aufgeboten, die die schwierige Partie im Moment wirklich singen
können, wobei die Betonung auf SINGEN liegt, weil er ungeheuer differenziert
phrasiert und immer den Poeten in den Vordergrund stellt, eben kein veristisch
röhrender Revoluzzer. Wer kann sonst schon auf dem in der Tessitura unangenehmen
"il firnamento" am Ende des ersten Teils des Improvviso ein Decrescendo
singen, das hier auch Sinn macht, weil dieser Teil eine Liebeserklärung
ans Vaterland ist? Die soziale Anklage des zweiten Teils bekommt ihre
Wirkung dann allein über die dynamische Steigerung.
Dieses
Aufbauen der Phrasen aus dem Piano heraus bis zu absolut sicheren, machtvollen
Spitzentönen behält er den ganzen Abend über bei, hochmusikalisch und
mit einer Technik, bei der ich immer das Gefühl habe, daß er auch im Forte
nur spielt. Ansonsten ist "Spiel" von Haus aus sicher nicht seine starke
Seite (wobei ich das auch schon anders erlebt habe, wenn er gefordert
wird). Aber die leere, allenfalls mit dem einen oder anderen Stuhl bestückte
Bühne ist natürlich nicht unbedingt animierend. Wobei es im Grundsatz
erfreulich ist, daß man nach dem Desaster mit der vom auf dem Podium befindlichen
Orchester hinterrücks erschlagenen "Daphne" dazu übergegangen ist, die
Musiker auch bei konzertanten Aufführungen im Graben zu belassen, und
den ja häufig genug ihre Rollen ohnehin "drauf" habenden Solisten auch
die Notenpulte genommen hat, so daß sie jetzt freier agieren könn(t)en.
Vor
allem Franz GRUNDHEBER nutzt diese Möglichkeit zwei Akte lang konsequent,
im dritten freilich bleibt er meist hinter dem - szenisch sinnvollen -
Stehpult, auf dem für diese Szene die Noten liegen. Stimmlich läßt der
zweiundsiebzigjährige Sänger, der hier sein Rollendebüt (!) als Gerard
gab, kaum einen Wunsch offen, präzise Diktion und scharf charakterisierende
Tongebung (die zu Beginn des ersten Aktes auch vor - dem Inhalt angemessener
- ironischer Übertreibung nicht zurückschreckt) entwarfen ein diffiziles
Bild eines in sich zerrissenen Menschen. Und was er an glanzvoller Höhe
zu bieten hat, dürfte manch Jahrzehnte jüngere Konkurrenz erschrecken.
Norma
FANTINI erinnert mich mit ihrer Frisur irgendwie an die frühe Anita Cerquetti,
und auch das Organ geht in die Richtung; ein kraftvoller, in den Forte-Höhen
mit Schärfen versehener, voluminöser Sopran der alten italienischen Schule,
wie er heutzutage leider selten geworden ist. Die warme Mittellage kommt
vor allem in "La mamma morta" vorteilhaft zur Geltung, aber auch sonst
kann sie mithalten, wenn auch die Phrasierung insgesamt einfarbiger bleibt
als bei den Herren.
Das
Hamburger Ensemble war in der Vielzahl kleiner Partien ebenfalls meist
sehr erfolgreich; sowohl Jürgen SACHERS süffisanter Incroyable als auch
der ausgesprochen schön timbrierte Dong-Hwan LEE als Fleville oder der
kraftvoll-bassige Schmidt von Kyung-Il Ko waren ein Vergnügen. Moritz
GOGG überzeugte als Mathieu, und auch Brian DAVIS war ein rundum zufrieden
stellender Roucher, wobei sich mir bei einer derartigen Partie allerdings
die Frage stellt, wozu sie eines Gastes bedarf. Einzig
Ziad NEHME kam mit dem ihm offenbar arg tief liegenden Abate nicht wirklich
zurecht.
Bei
den Damen brillierte vor allem Ann-Beth SOLVANG als klangreiche Bersi,
gegen die die Contessa von Cristina DAMIAN ein wenig verblaßte, während
Deborah HUMBLE zwar problemlos alle Töne für die alte Madelon hatte, diese
eigentlich so anrührende Szene aber weder über die Ausstrahlung noch die
textliche Durchdringung zur Wirkung bringen konnte.
Ganz
ausgezeichnet schlug sich der von Florian CSIZMADIA einstudierte CHOR
und auch das ORCHESTER hatte einen prima Tag erwischt.
Über
die Fähigkeiten von Simone YOUNG im italienischen Fach ist viel diskutiert
worden. Den "Freunden der italienischen Oper" ist sie häufig schlicht
zu laut, zu wenig "italienisch" (was immer auch darunter verstanden wird,
genauere Definitionen erhält man meist nicht…). Natürlich hält sie sich
nicht als reine Sängerbegleiterin dezent im Hintergrund, sondern sieht
das Orchester auch hier als gleichberechtigten Partner des Bühnengeschehens.
Und Giordanos komplexe Stimmführung mit ihrer reichen - und reichhaltigen
- Instrumentation gibt das auch her. Nur in einigen Passagen im Konversationston
hätte sie den Graben auf ein intimeres Klangbild herunterschrauben müssen.
Viel problematischer ist für mich häufig ihre Tempowahl, die dazu neigt,
schnelle Passagen noch schneller zu nehmen und langsamere zusätzlich zu
strecken. Doch diesmal hat sie zumindest mich überzeugt, ein in sich stimmiges
Dirigat mit dramatischer Akzentuierung und reichen Farbvaleurs. HK
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