In
der Reihe "opera rara" erwählte Simone Young in dieser Spielzeit Verdis
(wohl spätestes) Frühwerk "Attila" rund um den mörderischen Hunnenkönig.
Die Oper entstand direkt vor dem "Macbeth", und die Unterschiede sind
doch signifikant. Zwischen diesen beiden Werken hat sich Verdi offensichtlich
extrem weiterentwickelt, wozu jedoch gesagt werden muß, daß die erste
Version vom "Macbeth" noch nicht so ganz einheitlich ist wie die finale
Version aus dem Jahre 1865.
"Attila"
ist ein Stück, das man auch mal gut nebenher hören kann. Es bietet zahlreiche
Cabaletten und einige musikalische Perlen, die jedoch ab und an so wirken,
als wären grandiose Einfälle Verdis willkürlich aneinandergereiht worden.
Die Entwicklung zu einem der größten Opernkomponisten ist aber schon zu
erahnen.
Die
Präsentation wurde zwar als konzertant deklariert, es standen allerdings
nicht die Sänger in klassischer Weise vor dem Orchester, sondern, das
Orchester saß im Graben, während die Sänger auf der mit einer Harfe, zwei
Stühlen und dem Chor im Hintergrund bestückten Bühne in Frack, bzw. Abendkleid
mehr oder weniger agierten (ohne Noten vor der Nase - sehr angenehm!).
Simone
YOUNG wählte am Pult der HAMBURGER PHILHARMONIKER mal wieder sehr gewagte
Tempi, mit denen die Protagonisten und das Orchester von Aufführung zu
Aufführung besser zurecht kamen. Sie erwies sich erneut als grandiose
Sängerbegleiterin. Jedoch hat mir persönlich das letzte marginale Quentchen
noch gefehlt. Der CHOR unter Florian CZISMADIA präsentierte sich hervorragend.
Sängerisch
wurde eine phänomenale Besetzung aufgeboten, die besser kaum hätte sein
können. Roberto SCANDIUZZI gelang ein sehr differenziertes Portrait der
Titelpartie. Er machte den Wahnsinn, aber auch die Verletzlichkeit der
Figur förmlich greifbar - und niemand schreckt so schön aus dem (Bühnen-)Schlaf
auf wie er. Er schaffte es zudem, mit seinem großen Baß, dessen Vibrato
ich bei einem weniger engagiert singenden Sänger vermutlich bemäkeln würde,
auch das Publikum zu begeistern.
Der
ihm ebenbürtige Bariton Franco VASSALLO gab mit dem Ezio sein Hamburg-Debüt
und konnte mit einem sehr ebenmäßigen, runden Verdi-Bariton vom ersten
Auftritt für sich einzunehmen. Er hatte das sprichwörtliche Messer nicht
zwischen den Zähnen, wohl aber hinter seinem Rücken... Ich hoffe, daß
man von ihm hier noch mehr hören wird. Eine große Karriere braucht man
ihm ja nicht mehr zu wünschen, singt er doch schon regelmäßig auf den
großen Bühnen - höchstens ein wenig mehr Popularität.
Michèle
CRIDER gab eine fulminante Odabella, deren gewaltiges Organ perfekt zu
der Rolle passte. Aber sie ist nicht nur jemand für die dramatischen Passagen,
sondern zeigte auch im Arioso, was für eine Piano- und Phrasierungskultur
sie ihr Eigen nennt. Die minimale Indisposition in der B-Premiere legte
sich in den folgenden Aufführungen wieder. Ein Buhruf für sie in der Premiere
sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt.
Von
den Protagonisten fiel Giuseppe GIPALIs Foresto - als Einspringer für
Miroslav Dvorsky - sowohl in stimmlicher, als auch in darstellerischer
Sicht sehr stark ab. Er sang zwar sehr kultiviert und auch sonst ohne
Fehl und Tadel, aber machte überhaupt nichts aus der Rolle. Zudem habe
ich schon Zimmerpalmen gesehen, die sich mehr bewegt haben und mehr Ausdruck
hatten...
Jun-Sang
HAN machte mit seinem Uldino einmal mehr nachhaltig auf sich aufmerksam
- auch wenn er mal nicht fünf Meter von der Decke auf einem Stuhl baumelt
oder aus einer Loge singt. Vermutlich wäre er der bessere Foresto gewesen.
Alexander TSYMBALYUK (Leone) heimste mit seinen vier Zeilen und einem
Ensemble-Einsatz erneut sehr viel Beifall ein. Interessant wäre sicherlich
ein Alternieren mit Scandiuzzi gewesen. Es ist Zeit für die ganz großen
Rollen!
Daß
es in der nächsten Spielzeit im gleichen Rahmen "Andrea Chénier" gibt,
freut mich zwar außerordentlich, aber m. E. würde eine szenische Produktion
diesem Stück gut tun, zumal es dann auch über mehrere Spielzeiten gespielt
werden könnte (und das evtl. mit einer mich mehr ansprechenden Besetzung...).
Eine Wiederaufnahme des "Attila" wäre jedoch auch sehr wünschenswert,
wie ebenfalls die durchweg positiven Reaktionen des Publikums zeigten,
die sicherlich nicht nur den Akteuren galten. WFS
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