Haydn,
Messiaen und Mahler standen auf dem Programm der PHILHARMONIKER HAMBURG
(wie das hanseatisch steife "Philharmonische Staatsorchester" seit dem
Amtsantritt von Simone Young heißt); eine auf den ersten Blick sehr zusammenhanglose
Mischung, deren thematischen Bezug man freilich über den Begriff "Endlichkeit"
herstellen kann.
1957
entdeckte der Musikwissenschaftler H.C. Robbins Landon eine bisher unbekannte
Solokantate Haydns in den Beständen der Library of Congress in Washington.
Komponiert irgendwann zwischen 1780 und 1790 erzählt "Miseri noi, misera
patria" von den Schrecken des Krieges, von Tod und Verwüstung. Das fast
schon apokalyptische Schreckensszenario des Textes von Pietro Metastasio
kommt musikalisch allerdings nicht recht zur Geltung, der Aufbau mit Orchestereinleitung,
Rezitativ und Arie mit langsamem Beginn und Allegro-Schlußteil bleibt
im üblichen Rahmen, wobei der Sängerin technisch allein durch die weitgespannte
Tessitura schon allerhand abverlangt wird.
Und
das den Gegebenheiten von Schloß Estherházy entsprechende Orchester (Flöte,
zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei Hörner und Streicher) wirkt ausgesprochen
der Konvention verhaftet, was durch die Ausführung noch verstärkt wurde,
denn Simone YOUNG frönte hier einem Haydn-Klangbild, das eigentlich schon
Jahrzehnte passé ist - romantisch kompakt als "Einheitssoße", in der einzelne
Instrumente nicht mehr auszumachen sind. Erfreulicherweise zeigte sich
Miah PERSSON davon herzlich unbeeindruckt. Ihr leuchtender Sopran setzte
sich mühelos durch, technisch perfekt in den Koloraturen und mit erstaunlich
klangvoller Tiefe.
Auch
Olivier Messiaens "Couleurs de la cité céleste" hat etwas mit der Apokalypse
zu tun, aber nicht mit ihren Schrecken sondern mit dem "danach", dem himmlischen
Jerusalem. Der tiefgläubige Katholik Messiaen setzt in dem für seine Verhältnisse
kurzen Werk (etwa achtzehn Minuten) diese "Couleurs" sehr direkt um, die
Partitur enthält direkte Farbangaben zu einzelnen Stellen wie "saphirblau"
oder amethystviolett". Das klingt platt, ist aber eigentlich kein Wunder
bei einem Mann, der von sich sagte "wenn ich Klänge höre, sehe ich geistig
Farben".
Einen
Hörer, der weder den religiösen Zugang noch die Fähigkeit des "Farbenhörens"
besitzt, dürfte vor allem die rhythmische Vielfalt des mit Blechbläsern,
drei Klarinetten, großem Schlagwerk und Solo-Klavier ungewöhnlich besetzten
Werkes faszinieren, auch wenn ich nicht weiß, ob ich in dieser vielfach
grellen, kalt klingen Stadt wirklich leben möchte. Cédric TIBERGHIEN bewältigte
den enorm schwierigen Klavierpart problemlos ohne - stückbedingt - wirklich
glänzen zu können, und die Bläser und Schlagzeuger der Philharmoniker
konnten beweisen was sie können. Dirigentisch sind hier Schlagtechnik
und strukturelles Organisationstalent gefragt. Beides besitzt Simone Young
zweifellos.
Daß
sie auch einen Sinn für klangliche Delikatesse hat, demonstrierte sie
nach der Pause bei der 4. Symphonie von Gustav Mahler, in der sie gerade
in den ersten beiden Sätzen ein bis in die letzten Verästelungen der solistischen
Stimmen durchhörbares Klangbild erstehen ließ. So vergnüglich humorvoll
zwitschern und kichern habe ich Streicher und Holzbläser kaum je gehört
(da zeigten die Philharmoniker endgültig, wie enorm gut sie sein können,
wenn sie wollen). Es mag ein bißchen zu detailverliebt und ohne genügend
ironischen Biss gewesen sein - aber es war musikantisch bis in die Fingerspitzen.
Für den tragischen Unterton sorgte der 3. Satz, klug aufgebaut in den
Steigerungen und mit einer phänomenalen Ruhe des Beginns. Und bei den
"himmlischen Freuden" gesellte sich Miah Perssons heller Sopran dazu,
mit deutlich kleinerem Volumen als bei Haydn mehr in den Orchesterklang
integriert denn als Solo-Stimme - und leider im Gegensatz zum Haydn ziemlich
textunverständlich. Hartmut Kühnel
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