Alfredo
Catalanis Oper "La Wally" ist mit Ausnahme der Arie "Ebben, ne andró lontana"
nahezu unbekannt. Ganze fünf Inszenierungen an deutschen Bühnen gab es
seit der Uraufführung 1892. Das liegt zum einen sicher daran, daß dem
Stoff vor allem im deutschsprachigen Raum aufgrund der rustikalen Verfilmungen
der Romanvorlage "Die Geierwally" eher der Ruf eines Groschenromans anhaftet
als der eines ernsthaften Dramas. Zudem stellt die musikalische Umsetzung
Catalanis hohe Ansprüche an die Leistung der Protagonisten wie an die
technischen Möglichkeiten des Theaters; zwar verzichtet die Opernversion
auf den Geier, jedoch finden die beiden Hauptfiguren in einer Lawine den
Tod.
Umso
bemerkenswerter ist es, daß diese Rarität nach mehr als 115 Jahre an den
Ort der deutschen Erstaufführung zurückgekehrt und seit vergangenen Mittwoch
in Hamburg zu erleben ist. Die dortige Kammeroper zeigt in ihrer Inszenierung,
daß das Sujet weit mehr zu bieten hat als die weithin bekannten Heimatfilme
vermuten lassen, erzählt es doch die Geschichte einer emanzipierten jungen
Frau in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die ihr Recht auf Selbstbestimmung
in einer patriarchalisch geprägten Welt einfordert.
Barbara
Hass hat sich offensichtlich eingehend mit der Romanvorlage sowie mit
dem Original-Libretto auseinander gesetzt und präsentiert eine für die
Kammeroper bearbeitete Version des Werks. Die Umarbeitungen beschränken
sich jedoch nicht nur auf den textlichen Teil, sondern erfordern für die
reduzierte instrumentale Besetzung des Hauses zudem eine Anpassung des
Orchesterparts. Frau Hass ist hier äußerst intelligent vorgegangen und
hat sich nicht auf bloße Striche beschränkt. Vielmehr ist es ihr gelungen,
das Werk durch das Einfügen von gesprochenen Passagen für die eigene Bühne
realisierbar zu machen, ohne dessen musikalische Kraft zu beschneiden;
die mannigfaltigen Farben, die Catalanis Musik bieten, bleiben erhalten,
die Handlungsstränge bleiben nachvollziehbar und somit der musikalische
Charakter der Oper unangetastet.
Die
Bühne von Kathrin KEGLER und die liebevoll gestalteten Kostüme von Barbara
HASS sind nicht frei von Lokalkolorit, lassen jedoch genügend Spielraum
für eigene Interpretationen. Leider nutzt die Regie von Elmar OTTENTHAL
diese Spielräume nicht immer aus, bleibt mitunter zu eng eher an der Roman-
als an der Opernvorlage - bisweilen auch da, wo Catalanis Musik geradezu
dazu auffordert, sich mit dem Gefühlsleben der Protagonisten zu beschäftigen.
Das Ende der Oper läßt dem Zuschauer interpretatorische Freiheit. Das
mag nicht jeden zufrieden stellen, korrespondiert jedoch mit dem ruhigen
Finale der Urversion des Werks, die das Alleetheater präsentiert.
Als
Titelheldin gab Catlen FALK am vergangenen Samstag ihren Einstand als
Wally. Mit ihrem kraftvollen Sopran legt sie die Rolle als willensstarke
junge Frau an, agiert souverän und facettenreich, ist sehr präsent, wann
immer sie die Bühne betritt, und meistert auch die weltberühmte Arie mit
Bravour. Mit ihrer sicheren Höhe ist sie vor allem in den Gefühlsausbrüchen
eine fesselnde Wally. Die stärksten Momente gelingen dem jungen Tenor
Martin WILLE, durchaus mit anschmiegsamer Stimme ausgestattet, im ersten
Akt der Oper - gegen Ende des Abends ist ihm dann jedoch anzumerken, wie
anstrengend und kräftezehrend die Partie des Joseph Hagenbach ist. Von
beiden wünscht man sich - vor allem in den musikalisch intimeren Momenten
- mitunter ein wenig mehr Mut zum Piano.
Den
unglücklich in Wally verliebten Vincent verkörpert der Bariton Marius
ADAM darstellerisch wie sängerisch sehr überzeugend, gekonnt nuancierend
zwischen hoffendem und forderndem Nebenbuhler. Joo-Anne BITTER verleiht
der Hanna (eigentlich der Hosenrolle "Walter") mit geschmeidigem, wie
mühelos perlenden Koloratursopran Kontur.
Hagenbachs
vermeintliche Geliebte Afra wird von Feline KNABE dargestellt. Die Figur
ist in der Originalfassung der Oper nicht viel mehr als eine Stichwortgeberin.
An der Hamburger Kammeroper hat die Mezzosopranistin hingegen die Gelegenheit,
in einer aus Catalanis Oper "Loreley" entliehenen Arie mit ihrer einfühlsamen
Stimme für einen der gefühlvollsten Momente des Abends zu sorgen. Baß-Bariton
Ryzsard KALUS (Stromminger/Benedikt) besticht durch große Spielfreude
und komödiantisches Talent ebenso wie durch seine sicher geführte, mit
warmem Ton ausgestattete Stimme.
Das
ORCHESTER, bei Catalani wesentlich mehr als nur Begleitung des Sängerensembles,
wird von Michael KORTH sicher und gekonnt durch die schwierige Partitur
geführt. Die Orchestervorspiele geraten so zu gefühlsgeladenen, expressiven
Inseln, die Catalanis eigenen Stil deutlich machen. Die reduzierte Besetzung
schafft beinahe kammermusikalisch intime Momente, so daß man am Ende des
Abends nicht das Gefühl hat, etwas vermißt zu haben.
Das
Publikum im leider nicht voll besetzten Alleetheater applaudiert begeistert.
Dem Alleetheater-Ensemble ist - nicht zuletzt durch Barbara Hass' einfühlsame
Bearbeitung - ein interessanter und kurzweiliger Opernabend gelungen,
der neugierig macht und zudem zeigt, daß italienische Oper nach Verdi
nicht automatisch Puccini bedeuten muß. Jochen Rüth
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