2:0 FÜR LÜBECK

Nach dem alles andere als aufregenden "Rheingold" vor einem Jahr konnte ich mir die "nornische" Frage "Weißt du, wie das wird?" eigentlich schon selbst beantworten. Und tatsächlich ist die Fortsetzung des "Ring"-Zyklus von Claus GUTH an der Hamburgischen Staatsoper zwar etwas besser als der Vorgänger, aber wirkliche Spannung (wie in der um Welten besseren Konkurrenz-Produktion in Lübeck) will kaum aufkommen.

Wenn man den im Programmheft herangezogenen Film "Die Truman Show" betrachtet, geht es in beiden Werken um Fremdbestimmung, die in beiden Fällen auf Grund des eigenen Willens der hauptsächlich Fremdbestimmten die Welt des Fremdbestimmers zerfallen lassen. Der Querverweis ist somit vollkommen gerechtfertigt, und hätte Guth das Konzept auch wirklich konsequent ausgearbeitet, wäre es ein solides Grundgerüst gewesen, auf dem die Produktion hätte stehen können, wenngleich natürlich in der Walküre auch ein bißchen mehr steckt.

Leider ist die Inszenierung eine von einigen wenigen netten Einfällen unterbrochene szenische Ödnis. Was mir auch schon in seinem "Simon Boccanegra" sehr negativ aufgefallen ist, ist daß Personen, die eigentlich in irgendeiner Beziehung zu einander stehen, sich so gut wie gar nicht anschauen. Es findet Null Interaktion zwischen diesen statt. Die wenigen positiven Momente stellen u. a. das Erscheinen Frickas im Finale des 2. Aufzugs dar, sowie der Abschied, der recht solide, aber auch nicht wirklich überragend geraten ist.

Die Sichtweise der Walküren gefällt mir hingegen überhaupt nicht. Offenbar hausen sie in einer Bruchbude und müssen in tristen Doppelstockbetten schlafen, während Brünnhilde schon viel besser gekleidet ist und dort offenbar nicht logiert, da es nur vier Betten gibt, bei neun Walküren. M.E. sind sie aber alle Zahnräder in Wotans Plan und bilden somit eine Einheit mit Brünnhilde als "prima inter pares". Könnte sich der Göttervater eine Revolte seiner Töchter ob der starken Ungleichbehandlung leisten? Würde er seine Kinder wirklich so ungleich behandeln wollen, bei dem was er für seine Kinder Brünnhilde, sowie Siegmund und Sieglinde tut??? Ich sage: Nein.

Ich für meinen Geschmack hätte es im Übrigen besser gefunden, wenn Wotan seine sehr passive göttliche Ebene verlassen hätte und Hunding selber getötet hätte, anstatt ihn mittels des "Geh!" niederzustrecken, um den Bruch deutlich zu machen vom Gottvater zum späteren Wanderer. Zudem wäre es eine tolle Geste gewesen, wenn er nicht Brünnhildes, sondern seinen Speer seiner Tochter in die Verbannung gegeben hätte.

Christian SCHMIDT zeichnete für das recht karge Bühnenbild, sowie für die passend farblosen Kostüme verantwortlich.

Insgesamt wirkte die Produktion auf mich wie eine Lücken-Regie für Studenten, die die entsprechenden Passagen dann mit Inhalt füllen müssen. Volle Punktzahl erhält man aber nur, wenn man auch ein Konzept erbringt...

Das neue Ensemble-Mitglied Thomas J. MAYER (Wotan) sang schon die Premiere für den indisponierten Falk Struckmann von der Seite, während dieser spielte. In den ersten beiden Aufführungen gab er ihn auch szenisch. Mayer schlug sich mehr als achtbar durch diese wahnsinnig anstrengende Partie, wenngleich ihm am ersten Abend gegen Ende die Kräfte ein klein wenig ausgegangen zu sein schienen. Allerdings fehlte mir noch das gewisse Etwas, daß ich bei Wotans Abschied atemlos auf der Stuhlkante sitze und mir die Finger in die Oberschenkel bohre. Er war mir zu sehr Gott, als Mensch.

In den letzten beiden Vorstellungen übernahm nun erstmals Falk STRUCKMANN das Ruder. Er gestaltet die Rolle mit imponierender Power, tollen Phrasierungen und einer ausgefeilten, differenzierten Interpretation, die den Zwiespalt zwischen Gott und Mensch jederzeit deutlich machte. Wie kein zweiter schafft er es, sogar die Konsonanten zu singen! Zudem ist er ein in höchstem Maße engagierter Darsteller. Erschütternd ist seine Mimik nach "und das ich ihm in Stücke schlug", wenn er realisiert, daß er seinen eigenen Sohn ans Messer geliefert hat. Sein Abschied war herzergreifend.

Deborah POLASKI sprang für Lisa Gasteen als Brünnhilde ein, die bedauerlicherweise sehr frühzeitig krankheitsbedingt absagte. Auch Frau Polaski hat die Power und freilich auch die jahrelange Erfahrung, die Rolle durchzustehen. Zudem macht sie auf mich live einen besseren Eindruck, als von der "Konserve", wo ihre Höhe schriller klingt. Diese ist zwar auch nicht ihre Stärke, dafür kann sie umso mehr in der Tiefe und Mittellage punkten. Zudem zeigt sie erstaunliche Fähigkeiten, auch hohe Töne recht wohlklingend im Piano zu nehmen. Dennoch war mir ihre Interpretation viel zu unpersönlich, zu kalt und v. a. zu erwachsen. Ich fühlte mich selten wirklich "angesprochen".

Von ganz anderem Kaliber ist der Hamburger Publikumsliebling Yvonne NAEF. Ihre Sieglinde war sehr selbstbewußt und ließ einen vergessen, daß sie von der Regie komplett vergessen wurde. Ihr stehen sowohl die Mittel für die zarten, lyrischen Passagen, als auch für die dramatischen zur Verfügung, und sie weiß sie einzusetzen. Sie weiß in jedem Moment, was sie singt und kann dieses hervorragend über die Rampe bringen.

Stuart SKELTON war in den ersten beiden Vorstellungen ein solider Siegmund, fiel jedoch in den letzten beiden ab. Er war meilenweit davon entfernt, so etwas wie heldentenorale Ansätze vernehmen zu lassen, die diese Partie eben auch braucht. Er wirkte streckenweise total fachfremd.

In der ersten Vorstellung fand ich Mikhail PETRENKOs Hunding nicht gefährlich genug, was auch daran liegt, daß er ein recht hoher Baß ist. In den folgenden Vorstellungen gefiel er mir weitaus besser, da er der Rolle ein weitaus größeres und spannenderes Profil angedeihen ließ und mit zahlreichen Zwischentönen ein rundes Portrait ablieferte.

Jeanne PILAND (Fricka) blieb der Rolle doch so einiges schuldig. Sie war einfach nicht autoritär genug, so daß mir nicht klar wurde, warum Wotan denn letztendlich seine Meinung ändert. Ich hatte sie sehr schnell wieder vergessen. Bedauerlicherweise kam offenbar niemand auf die Idee, daß man für die Besetzung einfach nur mal ins Ensemble hätte schauen müssen. Nicht auszudenken, was Renate SPINGLER da herausgeholt hätte... Diese mußte sich aber in einer peinlichen Choreographie à la "Backstreet Boys meet Bruce Lee" als Rossweiße zufrieden geben.

Die anderen Walküren waren mit Miriam GORDON-STEWART (Helmwige), Hellen KWON (Gerhilde), Gabriele ROSSMANITH (Ortlinde), Maria-Christina DAMIAN (Waltraute), Katja PIEWECK (Siegrune), Ann-Beth SOLVANG (Grimgerde) und Deborah HUMBLE (Schwertleite) insgesamt sehr homogen besetzt.

Simone YOUNG am Pult der HAMBURGER PHILHARMONIKER dirigierte einen unkonventionellen, aufwühlenden und hoch emotionalen Wagner, dem sicherlich zu Gute kam, daß sie mit dem Ring bereits u. a. aus Sydney vertraut ist. Nur selten war sie ein klein wenig zu laut. Aber ansonsten war sie wie immer eine sensible Begleitung für die Sänger und ließ dennoch das Orchester nie in den Hintergrund treten. WFS