3 ½ STUNDEN FÜR DEN WELTFRIEDEN

Ein freudiges Wiedersehen mit Altbekannten gab es mit Händels "Radamisto", einem dieser Werke, bei denen das komplette Libretto ohne kalligraphische Kniffe und Tricks auf einen halben Bierdeckel passen würde, an der Hamburgischen Staatsoper. Zum einen kehrte das ehemalige Ensemble-Mitglied Maite BEAUMONT in der Partie der Zenobia zurück, zum anderen inszenierte der schmerzlich vermißte Marco Arturo MARELLI wieder eine Oper.

Das Ergebnis seiner Arbeit war eine hinreißende, hintergründige, spritzige und komische Regie mit überragender Personenführung, bei denen die brillanten slapstickhaften Elemente nicht nur zur Belustigung, sondern u.a. auch zur Bloßstellung des Krieges im Allgemeinen beitrugen. Er zeigt ihn genauso, wie ich ihn auch sehe, als absolut kindisch und sinnlos, wenn z.B. mit Miniaturhäusern und -panzern agiert wird. Zwar zeigt er den bösen Tiridate auf der einen Seite als berechnenden Menschen, der zu Beginn, als die Besitztümer des Königs Farasmane symbolisch mit besagten Miniaturhäusern aufgeteilt werden, schon seine Soldaten auffährt und sich da auch sonst brutal geriert, auf der anderen Seite aber als total überforderten König, als er vergeblich versucht, gleichzeitig die Robe anzuziehen und die Krone aufzusetzen oder sich bemüht, seinen Widersacher zu erschießen, der mehr als einmal direkt vor ihm steht. Er wirkt wie ein direkter Vorfahre des Macbeth'schen Malcolm... Das ist Slapstick auf ganz hohem Niveau. Sollte es überhaupt jemanden geben, der z.B. eine Tortenschlacht mit sozialkritischem Kontext inszenieren könnte, so wäre es Marelli!

Aber bei all dem Humor, schafft er es auch, daß einem das Lachen im Hals stecken bleibt, als er dem Sohn (den Marelli hinzuerfunden hat - ein grandioser Einfall!), den er zuerst seiner Frau entreißt, zeigt, wie man einen Soldaten erschießen könnte. Überhaupt bleibt die Ernsthaftigkeit nicht auf der Strecke. Er versetzt dem sprichwörtlichen Affen einen gehörigen Zuckerschock, wo es Sinn macht, kann aber auch sehr intime Momente kreieren, die durch Marellis nicht minder beeindruckende Lichtregie noch intensiviert werden.

Wie bei seinen anderen Arbeiten läßt sich auch hier nicht ohne Weiteres auf die Zeit oder den Ort der Handlung schließen (Marelli war auch hier wieder sein eigener Bühnenbildner). Die Kostüme (Dagmar NIEFIND-MARELLI) reichen von eher älteren Kleidern der Damen bis hin zum modernen Wüsten-Camouflage der Soldaten.

Fand ich zunächst Florian BOESCHs Tiridate im ersten Akt zu eindimensional böse, revidierte sich dieser Eindruck, da er sich im weiteren Verlauf des Abends als recht flexibel erwies und sich gut in das Konzept des überzeichneten Bösewichts, der nur nach außen so stark tut, aber meilenweit davon entfernt ist, ein auch nur annähernd guter Herrscher zu werden (also der Inbegriff eines despotischen Tyranns...), einfügte.

In der Titelpartie gab es mit David DQ LEE einen Vertreter der Gattung Counter-Tenor, der meine Aversion gegen diese Stimmlage nicht umkehren konnte. Warum müssen diesen Sängern eigentlich erst die Frauen in den Hosenrollen zeigen, wie man einen Kerl singt??? Handwerklich gab es jedoch nichts zu nörgeln.

Für den alternden König Farasmane ist Tim MIRFIN freilich zu jung, aber dennoch konnte er mit der recht kleinen Partie seine bisher sehr guten Leistungen bestätigen, sowohl im sängerischen als auch im darstellerischen Bereich.

Inga KALNA (Polissena) gab einen ihrer viel zu rar gesäten Auftritte. Sie verstand es, mit einer tollen Technik und unglaublichem Ausdruck zu begeistern und einen alles in allem starken Gegenpol zu ihrem Bühnengatten Tiridate zu geben. Da kann man schon nachvollziehen, daß Tigrane sich in sie verliebt. Und man bedauert es aufrichtig, daß in der Oper aus beiden nichts wird. Gesungen wurde diese Hosenrolle von der zwischen Furor und Verliebtheit schwankenden sehr intensiv und engagiert singenden und agierenden Hellen KWON, die sich an diesem Abend in Bestform präsentierte und sämtlichen Klischees von piepsigen Barock-Stimmchen widersprach.

Als Zenobia zeigte auch Maite Beaumont mit ihrem Ausnahme-Mezzo, daß bei Barock die perfekte Beherrschung der Technik nur ein Teil ist, sondern es wie auch beim Belcanto einen technisch perfekten Vortrag erst zum besonderen macht, wenn die Interpretation stimmt, was hier absolut der Fall war. Auf ähnlichem Niveau präsentierte sich Aleksandra KURZAK als Fraarte.

Sehr erwähnenswert sind auch die Statisten Apostolos DULAKIS, Antoine EFFROY, Rustam KURAMSHIN, Jan-Holger MAUSS, Maik MENSCHING, Sven NIEMEYER, Alexander RUTTIG, Dirk André STEUER und Marcus SUPPLITT, dessen Tanz (von DEN Soldaten will ich mich nicht verteidigt wissen...) irgendwo zwischen dem "Verschwörer-Dance" aus dem hiesigen "Ballo" und den brüllend komischen Choreographien aus der Lüneburger "Viva la Mamma" angesiedelt war.

Glücklicherweise versteifte sich Martin HASSELBÖCK nicht darauf, auf Gedeih und Verderb die HAMBURGER PHILHARMONIKER in der Spar-Version dazu zu prügeln, alles so zu spielen, wie Händel es gewollt zu haben scheint, egal, ob es jemand so hören will. Dennoch konnte auch er mich nicht für diese Musik begeistern. Mir fehlt irgendwie u.a. die Dynamik. Alles plätschert im Mezzoforte dahin.

Fazit: Für mich war es die bislang beste Regie unter der Ägide von Simone Young. Eine Inszenierung, bei der man, während man krampfhaft versucht, nicht lauthals loszuprusten, sich gleichzeitig tiefergehende Gedanken zu den Beziehungen zwischen den Personen und zum Krieg macht (Armeen waren und sind für mich die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Welt!) - Was will man eigentlich mehr??? Nun ja, mir hätten 150 Jahre Musikgeschichte weniger nicht schlecht gefallen... WFS