Ein
freudiges Wiedersehen mit Altbekannten gab es mit Händels "Radamisto",
einem dieser Werke, bei denen das komplette Libretto ohne kalligraphische
Kniffe und Tricks auf einen halben Bierdeckel passen würde, an der Hamburgischen
Staatsoper. Zum einen kehrte das ehemalige Ensemble-Mitglied Maite BEAUMONT
in der Partie der Zenobia zurück, zum anderen inszenierte der schmerzlich
vermißte Marco Arturo MARELLI wieder eine Oper.
Das
Ergebnis seiner Arbeit war eine hinreißende, hintergründige, spritzige
und komische Regie mit überragender Personenführung, bei denen die brillanten
slapstickhaften Elemente nicht nur zur Belustigung, sondern u.a. auch
zur Bloßstellung des Krieges im Allgemeinen beitrugen. Er zeigt ihn genauso,
wie ich ihn auch sehe, als absolut kindisch und sinnlos, wenn z.B. mit
Miniaturhäusern und -panzern agiert wird. Zwar zeigt er den bösen Tiridate
auf der einen Seite als berechnenden Menschen, der zu Beginn, als die
Besitztümer des Königs Farasmane symbolisch mit besagten Miniaturhäusern
aufgeteilt werden, schon seine Soldaten auffährt und sich da auch sonst
brutal geriert, auf der anderen Seite aber als total überforderten König,
als er vergeblich versucht, gleichzeitig die Robe anzuziehen und die Krone
aufzusetzen oder sich bemüht, seinen Widersacher zu erschießen, der mehr
als einmal direkt vor ihm steht. Er wirkt wie ein direkter Vorfahre des
Macbeth'schen Malcolm... Das ist Slapstick auf ganz hohem Niveau. Sollte
es überhaupt jemanden geben, der z.B. eine Tortenschlacht mit sozialkritischem
Kontext inszenieren könnte, so wäre es Marelli!
Aber
bei all dem Humor, schafft er es auch, daß einem das Lachen im Hals stecken
bleibt, als er dem Sohn (den Marelli hinzuerfunden hat - ein grandioser
Einfall!), den er zuerst seiner Frau entreißt, zeigt, wie man einen Soldaten
erschießen könnte. Überhaupt bleibt die Ernsthaftigkeit nicht auf der
Strecke. Er versetzt dem sprichwörtlichen Affen einen gehörigen Zuckerschock,
wo es Sinn macht, kann aber auch sehr intime Momente kreieren, die durch
Marellis nicht minder beeindruckende Lichtregie noch intensiviert werden.
Wie
bei seinen anderen Arbeiten läßt sich auch hier nicht ohne Weiteres auf
die Zeit oder den Ort der Handlung schließen (Marelli war auch hier wieder
sein eigener Bühnenbildner). Die Kostüme (Dagmar NIEFIND-MARELLI) reichen
von eher älteren Kleidern der Damen bis hin zum modernen Wüsten-Camouflage
der Soldaten.
Fand
ich zunächst Florian BOESCHs Tiridate im ersten Akt zu eindimensional
böse, revidierte sich dieser Eindruck, da er sich im weiteren Verlauf
des Abends als recht flexibel erwies und sich gut in das Konzept des überzeichneten
Bösewichts, der nur nach außen so stark tut, aber meilenweit davon entfernt
ist, ein auch nur annähernd guter Herrscher zu werden (also der Inbegriff
eines despotischen Tyranns...), einfügte.
In
der Titelpartie gab es mit David DQ LEE einen Vertreter der Gattung Counter-Tenor,
der meine Aversion gegen diese Stimmlage nicht umkehren konnte. Warum
müssen diesen Sängern eigentlich erst die Frauen in den Hosenrollen zeigen,
wie man einen Kerl singt??? Handwerklich gab es jedoch nichts zu nörgeln.
Für
den alternden König Farasmane ist Tim MIRFIN freilich zu jung, aber dennoch
konnte er mit der recht kleinen Partie seine bisher sehr guten Leistungen
bestätigen, sowohl im sängerischen als auch im darstellerischen Bereich.
Inga
KALNA (Polissena) gab einen ihrer viel zu rar gesäten Auftritte. Sie verstand
es, mit einer tollen Technik und unglaublichem Ausdruck zu begeistern
und einen alles in allem starken Gegenpol zu ihrem Bühnengatten Tiridate
zu geben. Da kann man schon nachvollziehen, daß Tigrane sich in sie verliebt.
Und man bedauert es aufrichtig, daß in der Oper aus beiden nichts wird.
Gesungen wurde diese Hosenrolle von der zwischen Furor und Verliebtheit
schwankenden sehr intensiv und engagiert singenden und agierenden Hellen
KWON, die sich an diesem Abend in Bestform präsentierte und sämtlichen
Klischees von piepsigen Barock-Stimmchen widersprach.
Als
Zenobia zeigte auch Maite Beaumont mit ihrem Ausnahme-Mezzo, daß bei Barock
die perfekte Beherrschung der Technik nur ein Teil ist, sondern es wie
auch beim Belcanto einen technisch perfekten Vortrag erst zum besonderen
macht, wenn die Interpretation stimmt, was hier absolut der Fall war.
Auf ähnlichem Niveau präsentierte sich Aleksandra KURZAK als Fraarte.
Sehr
erwähnenswert sind auch die Statisten Apostolos DULAKIS, Antoine EFFROY,
Rustam KURAMSHIN, Jan-Holger MAUSS, Maik MENSCHING, Sven NIEMEYER, Alexander
RUTTIG, Dirk André STEUER und Marcus SUPPLITT, dessen Tanz (von DEN Soldaten
will ich mich nicht verteidigt wissen...) irgendwo zwischen dem "Verschwörer-Dance"
aus dem hiesigen "Ballo" und den brüllend komischen Choreographien aus
der Lüneburger "Viva la Mamma" angesiedelt war.
Glücklicherweise
versteifte sich Martin HASSELBÖCK nicht darauf, auf Gedeih und Verderb
die HAMBURGER PHILHARMONIKER in der Spar-Version dazu zu prügeln, alles
so zu spielen, wie Händel es gewollt zu haben scheint, egal, ob es jemand
so hören will. Dennoch konnte auch er mich nicht für diese Musik begeistern.
Mir fehlt irgendwie u.a. die Dynamik. Alles plätschert im Mezzoforte dahin.
Fazit:
Für mich war es die bislang beste Regie unter der Ägide von Simone Young.
Eine Inszenierung, bei der man, während man krampfhaft versucht, nicht
lauthals loszuprusten, sich gleichzeitig tiefergehende Gedanken zu den
Beziehungen zwischen den Personen und zum Krieg macht (Armeen waren und
sind für mich die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Welt!) - Was
will man eigentlich mehr??? Nun ja, mir hätten 150 Jahre Musikgeschichte
weniger nicht schlecht gefallen... WFS
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