"LA TRAVIATA" - 26. Oktober 2006

Ganz offensichtlich sehnt sich das Publikum danach, gelegentlich auch einmal ein schönes Bühnenbild betrachten zu können. Geht der Vorhang auf, geht selbst nach mehr als dreißig Jahren noch ein Seufzen der Erleichterung durch den Zuschauerraum ob der prächtigen Kostüme (Hans-Günter WILLERSCHEIDT) und für heutige Verhältnisse verschwenderischen Bühnenbild (Toni BUSINGER). Von der Regie von Folke ABENIUS ist verständlicherweise nicht mehr viel übrig, daher hindert die Sänger nichts daran, ihre eigene Interpretation auf die Bühne zu stellen.

Seitdem Simone Young ihre Intendanz im vergangenen Jahr mit dem Dirigat der "Traviata" begonnen hat, wird das Stück ziemlich vollständig gegeben mit Tenor- und Bariton-Cabaletta sowie vollständigem Schlußduett zwischen Violetta und Alfredo, was ein echter Gewinn ist.

Die drei Hauptpartien waren in dieser Konstellation bereits zum Ende der letzten Spielzeit zu hören gewesen, und der Eindruck war diesmal der gleiche wie im Mai. James VALENTI gebührt als Alfredo die Krone. Der junge Tenor hat über eine sympathische Ausstrahlung hinaus an Bühnenpräsenz hinzugewonnen. Seine Stimme ist lyrisch, er phrasiert exzellent und setzt schöne Akzente. Dazu kommt eine gute Höhe, die klug in die Phrasen eingebunden wird. Der Beginn des Schlußensembles bei Flora war absolut tränentreibend ergreifend.

Dalibor JENIS als Germont scheint gelegentlich zu glauben, daß Belcanto von Bellen kommt. Auf jeden Fall klingen einzelne Phrasen so, als würden sie schlichtweg herausgekläfft. Man hat auch nicht wirklich den Eindruck, als würde ihn die Rolle interessieren, weder setzt er gesangliche, noch darstellerische Akzente.

Ha Young LEE konnte im Mai mit einer stimmlich fast perfekten, allerdings bar jeder Emotion wirkenden Violetta aufwarten. Das letztere ist geblieben, sie tut, was das Regiebuch verlangt, aber wirkliche Gefühle transportiert sie nicht über die Rampe. Dazu kamen an diesem Abend (bei der Vorstellung am 22. Oktober war dies nicht der Fall) im Finale des ersten Aktes diverse schrille Töne, die einen zusammenzucken ließen.

In punkto Präsenz und Phrasierung ließ Violetta sich von der stimmschönen Katja PIEWECK als Annina die Show stehlen. Als Flora machte Brenda PATTERSON einen ebenso soliden Job, wie Benjamin HULETT (Gaston, sehr erfreulich, hier zur Abwechslung wieder einen Sänger mit angenehmer Stimme zu hören), Wilhelm SCHWINGHAMMER (Dr. Grenvil, der allerdings neben der großartigen Leistung von Alexander Tsymbalyuk in dieser Rolle vor der Sommerpause verblaßte) und Hee-Saup YOON (Marchese).

Zwischen der allgemein sehr jungen Besetzung tobte sich Hamburgs Opernurgestein Carl SCHULTZ als tapperiger Douphol mit ausreichender Stimme aus, während Frieder STRICKER als Giuseppe eher szenisch als stimmlich erwähnenswert ist. Aufhorchen ließ der Commisionario von Gabor NAGY.

Simon HEWETT hielt Bühne und Graben gut zusammen, auch wenn aus dem ORCHESTER gelegentlich der eine oder andere kleine Verspieler zu hören war. Das Tempo ist relativ langsam, allerdings wird dabei die Spannung gut gehalten. Man kann mit diesem Dirigat sehr zufrieden sein, auch wenn von ihm keine große neue Interpretation ausging.

Der CHOR war mit viel Engagement dabei, und selbst der Anfang des Festes bei Flora wirkt nicht mehr so abgespielt, wie dies noch vor einigen Jahren regelmäßig der Fall war. MK