"LA FILLE DU REGIMENT" - 22. Juni 2006

Selten bin ich eigentlich so unentschieden gewesen, was ich von einer Produktion halten soll, wie in diesen Fall. Alexander von PFEIL hat das Stück offenbar in irgendeinem Krieg der Gegenwart (Irak?) verlegt. In einem als Einheitsbühnenbild dienenden, stark beschädigten Schloßsaal (Bühnenbild Bernd DAMOVSKY) spielt sich die Handlung ab. Die Soldaten und Marie tragen Tarnanzüge, die "gute" Gesellschaft schicke Kleider (Kostüme Sharon ROHARDT). Das Kostüm Tonios bei seinem ersten Auftritt hätte allerdings nicht unbedingt sein müssen.

Gelegentlich gibt es hübsche Momente, beispielsweise von Sulpice sich rasiert, und Marie gleichzeitig ihre Beine enthaart, die Art, wie Tonio zunächst versucht, mit den Soldaten mitzuhalten, bevor er sich anwerben läßt, oder wenn Marie ihren Tanzlehrer (sehr präsent: Eric MIOT, auch verantwortlich für Choreographie) mittels Polizeigriff davon überzeugt, sie nicht länger zu nerven. Die Zeichnung Maries als sehr modernes, natürliches Mädchen, die jederzeit in der Lage ist, ihre Frau zu stehen, ist sowieso der gelungenste Teil des Stückes.

Generell muß man allerdings feststellen, daß es der Produktion an Timing fehlt, es gibt zwischen den amüsanten Momenten einfach zuviel Leerlauf. Auch ist es dem Regisseur nicht gelungen, die Beziehungen zwischen Marie und Tonio oder die sich anbahnende Affäre zwischen der Marquise und Sulpice überzeugend auszuarbeiten, während ihm das bei den Beziehungen zwischen Marie und ihrer Vaterfigur Sulpice oder der Marquise und ihrem Haushofmeister Hortensio durchaus gelungen ist.

Die Tortenschlacht zum Schluß hätte allerdings nicht sein müssen, insbesondere nicht in der dargebotenen Form. Das wirkte ja schon fast armselig. Wie man heute eine Tortenschlacht inszeniert, kann man sich exemplarisch in dem britischen Film "Nanny McPhee" ansehen, so blieb die Frage, was sollte das?

Musikalisch war der Abend da dann doch ausgeglichener. Aleksandra KURZAK sang, von einigen Schärfen abgesehen, eine hochvirtuose Marie. Ihr Auftreten als durchaus schlachtbewährte Soldatin war überzeugend, sie fand genau die richtige Art, sich entsprechend zu bewegen. Katja PIEWECK kämpfte als Marquise de Berkenfield in ihrer Auftrittsarie ein wenig mit den Registern, doch danach war sie tadellos und als Type unschlagbar. Endlich hatte man dieser Sängerin auch einmal kleidsame Kostüme gegönnt.

Lawrence BROWNLEE (Tonio) ist ein echtes Bewegungstalent. Seine tänzerischen und akrobatischen Einlagen waren auf hohem Niveau, wurden aber noch übertroffen von seiner stimmlichen Leistung. Er verfügt über eine gute Phrasierung, elegante Stimmführung und die gefürchteten Cs in "Ah, mes amis" kamen, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Sulpice war bei Nicola ULIVIERI in guten Händen. Die Stimme ist vielleicht nicht außergewöhnlich, aber er macht eine Menge daraus und ist darstellerisch präsent; insbesondere wenn er Italiens Sieg im letzten WM-Gruppenspiel diskret mit einem Taschentuch in den Farben Italiens feiert...

Alexander TSYMBALYUK (Hortensio) hätte an diesem Abend einen Preis für die indigniertesten Blicke verdient gehabt. Daß er prachtvoll sang, wie eigentlich immer, ist bei ihm schon fast selbstverständlich. In den kleineren Rollen präsentierten sich Wilhelm SCHWINGHAMMER und Fredrik AKSELBERG.

Warum man für die Rolle der Duchesse de Crakentorp ausgerechnet ein Travestiekünstler (CRISTINA aus Amsterdam) engagierte, ist unklar, da diesem hier überhaupt keine Gelegenheit zur Profilierung geboten wurde.

Anfänglich erschienen die PHILHARMONIKER HAMBURG unter Emmanuel PLASSON nicht perfekt aufeinander eingespielt. Gerade in der Ouvertüre lief das einiges auseinander, waren die einzelnen Instrumentengruppen zu deutlich als solche zu hören. Erst mit dem Auftritt von Marie änderte sich dies. Plasson fand dann nach der Pause auch zu angemessenere Tempi, im ersten Akt hatte man gelegentlich den Eindruck, daß das Tempo dem Tempo des Stückes nicht entsprach.

Eine wirklich tollen Abend hatte der CHOR (Leitung Floria CSIZMADIA), insbesondere die Herren zeichneten sich durch solche Spielfreude aus, daß es ein Vergnügen war, ihnen zuzusehen. MK