Selten
bin ich eigentlich so unentschieden gewesen, was ich von einer Produktion
halten soll, wie in diesen Fall. Alexander von PFEIL hat das Stück offenbar
in irgendeinem Krieg der Gegenwart (Irak?) verlegt. In einem als Einheitsbühnenbild
dienenden, stark beschädigten Schloßsaal (Bühnenbild Bernd DAMOVSKY) spielt
sich die Handlung ab. Die Soldaten und Marie tragen Tarnanzüge, die "gute"
Gesellschaft schicke Kleider (Kostüme Sharon ROHARDT). Das Kostüm Tonios
bei seinem ersten Auftritt hätte allerdings nicht unbedingt sein müssen.
Gelegentlich
gibt es hübsche Momente, beispielsweise von Sulpice sich rasiert, und
Marie gleichzeitig ihre Beine enthaart, die Art, wie Tonio zunächst versucht,
mit den Soldaten mitzuhalten, bevor er sich anwerben läßt, oder wenn Marie
ihren Tanzlehrer (sehr präsent: Eric MIOT, auch verantwortlich für Choreographie)
mittels Polizeigriff davon überzeugt, sie nicht länger zu nerven. Die
Zeichnung Maries als sehr modernes, natürliches Mädchen, die jederzeit
in der Lage ist, ihre Frau zu stehen, ist sowieso der gelungenste Teil
des Stückes.
Generell
muß man allerdings feststellen, daß es der Produktion an Timing fehlt,
es gibt zwischen den amüsanten Momenten einfach zuviel Leerlauf. Auch
ist es dem Regisseur nicht gelungen, die Beziehungen zwischen Marie und
Tonio oder die sich anbahnende Affäre zwischen der Marquise und Sulpice
überzeugend auszuarbeiten, während ihm das bei den Beziehungen zwischen
Marie und ihrer Vaterfigur Sulpice oder der Marquise und ihrem Haushofmeister
Hortensio durchaus gelungen ist.
Die
Tortenschlacht zum Schluß hätte allerdings nicht sein müssen, insbesondere
nicht in der dargebotenen Form. Das wirkte ja schon fast armselig. Wie
man heute eine Tortenschlacht inszeniert, kann man sich exemplarisch in
dem britischen Film "Nanny McPhee" ansehen, so blieb die Frage, was sollte
das?
Musikalisch
war der Abend da dann doch ausgeglichener. Aleksandra KURZAK sang, von
einigen Schärfen abgesehen, eine hochvirtuose Marie. Ihr Auftreten als
durchaus schlachtbewährte Soldatin war überzeugend, sie fand genau die
richtige Art, sich entsprechend zu bewegen. Katja PIEWECK kämpfte als
Marquise de Berkenfield in ihrer Auftrittsarie ein wenig mit den Registern,
doch danach war sie tadellos und als Type unschlagbar. Endlich hatte man
dieser Sängerin auch einmal kleidsame Kostüme gegönnt.
Lawrence
BROWNLEE (Tonio) ist ein echtes Bewegungstalent. Seine tänzerischen und
akrobatischen Einlagen waren auf hohem Niveau, wurden aber noch übertroffen
von seiner stimmlichen Leistung. Er verfügt über eine gute Phrasierung,
elegante Stimmführung und die gefürchteten Cs in "Ah, mes amis" kamen,
als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Sulpice war bei Nicola
ULIVIERI in guten Händen. Die Stimme ist vielleicht nicht außergewöhnlich,
aber er macht eine Menge daraus und ist darstellerisch präsent; insbesondere
wenn er Italiens Sieg im letzten WM-Gruppenspiel diskret mit einem Taschentuch
in den Farben Italiens feiert...
Alexander
TSYMBALYUK (Hortensio) hätte an diesem Abend einen Preis für die indigniertesten
Blicke verdient gehabt. Daß er prachtvoll sang, wie eigentlich immer,
ist bei ihm schon fast selbstverständlich. In den kleineren Rollen präsentierten
sich Wilhelm SCHWINGHAMMER und Fredrik AKSELBERG.
Warum
man für die Rolle der Duchesse de Crakentorp ausgerechnet ein Travestiekünstler
(CRISTINA aus Amsterdam) engagierte, ist unklar, da diesem hier überhaupt
keine Gelegenheit zur Profilierung geboten wurde.
Anfänglich
erschienen die PHILHARMONIKER HAMBURG unter Emmanuel PLASSON nicht perfekt
aufeinander eingespielt. Gerade in der Ouvertüre lief das einiges auseinander,
waren die einzelnen Instrumentengruppen zu deutlich als solche zu hören.
Erst mit dem Auftritt von Marie änderte sich dies. Plasson fand dann nach
der Pause auch zu angemessenere Tempi, im ersten Akt hatte man gelegentlich
den Eindruck, daß das Tempo dem Tempo des Stückes nicht entsprach.
Eine
wirklich tollen Abend hatte der CHOR (Leitung Floria CSIZMADIA), insbesondere
die Herren zeichneten sich durch solche Spielfreude aus, daß es ein Vergnügen
war, ihnen zuzusehen. MK
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