Ein
bißchen der Wurm drinnen war in dieser letzten Vorstellung der Premierenserie
schon, so daß Operndirektor Josef Hussek sich gezwungen sah, gleich drei
Ansagen zu machen (zwei vor Beginn, eine nach der Pause). Die Sängerin
der Ilia ließ sich nach der Pause ansagen, zuvor wurde angekündigt, daß
die Sängerin des Idamante einspringen mußte und Dirigentin Julia Jones
wegen einer Lebensmittelvergiftung kurzfristig durch den Studienleiter
ersetzt werden mußte.
Die
Kritiken für diese Produktion waren durch die Bank schlecht, was mir übertrieben
erscheint. Es ist sicherlich nicht die Regie des Jahres, die Nicolas BRIEGER
hier abgeliefert hat, und ganz sicher gibt es Punkte, über die man diskutieren
kann, ob sie wirklich sein müssen. Ob Ilia wie auch die anderen trojanischen
Frauen im Tschador herumlaufen müssen, ob das Ungeheuer als Selbstmordattentäter
daher kommt, die Szene Idomeneo/Arbace Assoziationen an Harpo Marx vor
dem Spiegel ("Duck Soup") weckt, oder die Einblendungen von tanzenden
Paaren und Staatsakten im Finale wirklich sinnvoll ist, darüber kann man
streiten. Für mich überzeugend waren beispielsweise die gefangenen Trojaner
à la Guantanamo festzuhalten, oder der Selbstmord Elettras als Feierlichkeit
störender Faktor, der von den meisten Anwesenden ignoriert wird, vergleichbar
einem peinlichen Auftritt eines stockbetrunkenen Gastes.
Worüber
man nicht streiten kann, ist die Tatsache, daß bei der Personenregie Brieger
sehr präzise gearbeitet hat. Wenn Idomeneo fast schüchtern und sanft versucht,
Ilia zu umwerben, und sie ihn in ebenso solcher Weise zurückweist, Elettra
sich Idamante geradezu an den Hals wirft und, als das fehlschlägt, zum
Alkohol greift, oder wenn Idamante und Ilia am Schluß sich wie zwei ängstliche
Kinder aneinander klammern, denkbar schlecht auf ihre Aufgabe vorbereitet,
ist das sehr nachvollziehbar. Auf den gelegentlich in persona über die
Bühne laufenden Nettuno (Rainer WOLKE) hätte man dagegen verzichten können.
Gegen das Einheitsbühnenbild von Hans-Dieter SCHAAL kann man ebensowenig
sagen wie gegen die Kostüme von Jorge JARA.
Die
Sänger hatten jeder an irgendeiner Stelle mit Problemen zu kämpfen, doch
insgesamt muß man dem Ensemble großes Lob zollen für die Vehemenz und
den Einsatz, mit der sie ihre Rollen verkörperten. Sie waren absolut präsent
und vor allem darstellerisch hundertprozentig überzeugend.
In
der Titelrolle kehrte das frühere Ensemblemitglied Kurt STREIT nach Hamburg
zurück. Die Stimme ist vor allem in der tieferen und mittleren Lage im
Gegensatz zu früher riesig geworden, oben allerdings ist sie relativ schlank
geblieben. Der Sänger nutzt dies sehr intelligent, denn er unterstreicht
dadurch die Verzweiflung des Königs zusätzlich noch. Maite BEAUMONT als
teenagerhafter Idamante ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch überaus
beweglich, singt wie aus einem Guß und verfügt auch noch über ein angenehmes
Timbre. Schade, daß sie Hamburg zum Saisonende verläßt.
Trotz
Ansage war es nicht nötig, mit Inga KALNAs Ilia Nachsicht zu üben. Mit
klaren, sauberen Klang machte sie deutlich, wie zerrissen sie zwischen
Liebe, Trauer und Rachewünschen ist, wobei auch der Gegensatz zur furienhaften
Elettra von Hellen KWON schön gearbeitet war. Hellen Kwon überzeugte in
der letzten Zeit vor allem bei Mozart (Fiordiligi, Konstanze), so auch
hier. Ein paar nicht ganz sichere Töne verderben den Gesamteindruck nicht.
Benjamin
HULETT war als Arbace ein wenig gehandicapt durch die Regie, die versuchte,
aus ihm einen etwas trotteligen Agitator (falls es so was geben kann)
zu machen, aber machte jedoch das Beste daraus und sang seine Arie mit
faszinierendem Ausdruck. Ho-yoon CHUNG durfte als Gran Sacerdote seine
Forderungen aus einer Loge des ersten Ranges singen, was als Idee mehr
beeindruckte als sein Gesang. Tigran MARTIROSSIAN verlieh als Stimme den
Worten des Deus ex machina-Effektes höchsten Nachdruck.
Unter
den gegebenen Umständen schlug sich Studienleiter Alexander WINTERSON
mehr als wacker. Es gab einige der Situation geschuldete minimale Wackler
im ersten Akt, insbesondere bei der Begleitung der ebenfalls eingesprungenen
Maite Beaumont, doch ansonsten dirigierte Winterson einen straffen Mozart
und ließ keine Langeweile aufkommen. Die PHILHARMONIKER HAMBURG blieben
fehlerfrei und schienen hochkonzentriert, wie auch der CHOR (Leitung Tilman
MICHAEL), der zudem engagiert spielte. Die Soli Bettina RÖSEL, Daniela
KAPPEL, Seong-Woog CHOI, Milan Mischo KRAVAR, Annegret GERSCHLER und Ines
KREBS machten ihre Sache gut.
Nach
meinem Eindruck ist die Produktion besser als ihr Ruf; ich werde nächste
Saison sicherlich ein zweites Mal gehen. MK
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