"ICH WEISS NICHT, WAS SOLL ES BEDEUTEN…"

Das ist nicht mein Beitrag zum Heine-Jahr, es ist lediglich das Gefühl, das mich während der Vorstellung permanent beschlich. Ich begreife einfach nicht, worauf Claus GUTH mit seiner Inszenierung hinaus will. Alles, was man sieht, ist durchaus ästhetisch (Ausstattung: Christian SCHMIDT), einzig Amelias Kostüm ist mißraten (dem Biedermeier angelehnte Kleider wirken bei Frauen mit größeren Oberweiten nun einmal ziemlich unkleidsam), und ist es beabsichtigt, daß Fiesco und Paolo im Prolog ähnlich gekleidet sind, ersterer blaue Jacke und grüne Hose, letzterer umgekehrt (unwillkürlich fiel mir Star Trek Classic ein "Let that be your last battlefield", wo sich zwei rassistische Kontrahenten nur dadurch unterscheiden, daß bei einem die rechte Körperhälfte schwarz, die linke weiß ist, beim anderen die Farben umgekehrt sind)?

Nur leider verstehe ich nicht, was der Regisseur mir sagen will. Über dem Geschehen schwebt ein Meteorit, der sich nach jedem Akt weiter auf die Figuren herabgesenkt hat. Es gibt eine hintere Bühne in Form eines Spiegels bzw. eines Meerbildes, wo Vergangenes abläuft, Maria Fiesco tritt immer wieder auf, Simon hat zwei Doubles, die seine Geschichte noch einmal erleben, während er bereits im Sterben liegt.

Das sind alles interessante Ansätze, aber sie werden nicht konsequent genug durchgeführt. Wenn am Anfang alle Personen um den sterbenden Simon herumstehen, wirkt das eher wie Buoso Donatis Sippe in Erwartung der Erbschaft, und Simons Doubles tauchen auf zu Momenten, wo sie eigentlich wenig Sinn machen (z. B. im Duett zwischen Amelia und Gabriele, wobei sich letzterer prompt ängstlich unter dem Tisch verstecken will). Ähnlich ist es mit Fiescos Auftauchen in der Ratsszene, das so unauffällig ist, daß man sich fragt, woher kam der denn? Ich habe selten eine Produktion erlebt, bei der so viele Zuschauer in der Pause zu ergründen versuchten, worum es in dem handlungsmäßig ja nicht unkomplizierten Stück eigentlich geht. Offenbar ist die Inszenierung für Otto Normalopernbesucher nicht geeignet, die Handlung in irgendeiner Form zu entwirren.

Als Amelia ist Angela MARAMBIO eine höchst erfreuliche Begegnung. Sie läßt einen vollen, warmen, echten Verdi-Sopran hören, keine künstlich in dieses Fach gezwungene lyrische Stimme. Sie schafft es mühelos, die Ensembles zu überstrahlen, man fürchtet zu keinem Moment, daß etwas nicht gelingen könnte. Lediglich in der Darstellung könnte hier noch etwas mehr Intensität entwickelt werden.

Die schönste, gesündeste Männerstimme des Abends gehörte Alexander TSYMBALYUK. Leider singt er nur den Pietro, aber aus dieser undankbaren Partie holt er alles heraus. Nicht ganz ungefährdet und gelegentlich ein wenig frei bei den Notenwerten ist Roberto SCANDIUZZI als Fiesco. Trotzdem gelingt ihm ein fesselndes Porträt des unerbittlichen Patriziers mit vollem Baß und intelligenter Phrasierung.

Was den Gabriele Adorno von Miroslav DVORSKY zum zukünftigen Dogen befähigt, ist vollkommen schleierhaft. Da bleiben etliche gequält klingende Töne in Erinnerung, die Stimme an sich verfügt auch nicht über ein besonders qualitätsvolles Timbre, und die darstellerische Leistung war absolut vergessenswert. Letzteres gilt auch für den Paolo von Jan BUCHWALD. Gesanglich hat er die Töne für die Partie, aber er füllt sie nicht aus. Weder der Intrigant, noch der rachsüchtige Giftmörder blinkt zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur auf.

In den Kleinstrollen lasen Agnieszka TOMASZEWSKA auf- und Ho-yoon CHUNG eher weghören.

Und der Titelrollenträger? Franz GRUNDHEBERs Leistung wurde überall in den Himmel gelobt. Ich kann dies nicht nachvollziehen. Sicher, es gibt Stellen, an denen ihm noch beeindruckende Forte-Töne zur Verfügung stehen, doch sobald Leiseres gefordert ist, verliert die Stimme an Qualität, das piano wirkt gar ohne jeden Klang. Gerade in Passagen, in denen schnelles Parlando gefordert ist, werden Zeichen von Überforderung hörbar. Vor allem klingt das Ganze sehr "deutsch", die Stimmt weist nicht genügend legato auf, um tatsächlich einfach zu fließen. Ich habe in meinem Opernleben schon einige Boccanegras gehört, von denen weiß Gott nicht alle grandios waren, aber Franz Grundhebers Simon ist der einzige, der mich komplett kalt läßt, dem es nicht ein einziges Mal gelang, bei mir einen Schauder, ein Gänsehautgefühl zu erzeugen.

Was diese Produktion jedoch über andere hinaushebt, ist Simone YOUNGs Leistung am Pult. Sie dirigiert Verdi transparent, hat jene Reminiszenzen ans Mittelmeer parat, die einem die Inszenierung vorenthält. Dabei entwickelt sie zusammen mit dem tadellosen PHILHARMONIKERN HAMBURG ein Brio, wie man es an diesem Haus in der Vergangenheit kaum jemals gehört hat. Wie schon gewohnt (wie schnell man sich an so etwas gewöhnen kann, ist fast erschreckend) bleibt sie dabei immer sängerfreundlich. Der CHOR (Leitung Floria CSZISMADIA) zeigte eine der besten Leistungen der letzten Jahre. MK