Hamburg
gönnt sich die Deutsche Erstaufführung von Peter Eötvös’ Oper „Angels
in America“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Tony Kushner (die
Verfilmung war zu Pfingsten als Miniserie in der ARD zu sehen, immerhin
mit Al Pacino, Meryl Streep und Emma Thompson). Für Hamburg hat der Komponist
extra eine eigene Fassung erstellt; worin sich diese allerdings von der
beispielsweise in Paris gezeigten unterscheidet, verschweigt das Programmheft.
Das
Stück wurde von Mari Mezei in ein Libretto umgearbeitet, wobei die meisten
Texte sich wörtlich bereits im Stück finden. Das Stück mußte allerdings
deutlich komprimiert werden, und so wird aus der Geschichte von fünf schwulen
Männern sowie der Ehefrau und der Mutter eines von ihnen plus diversen
Engelserscheinungen die Geschichte des aidskranken Prior Walter, während
der Rest der Figuren Staffage bleibt. Daß dabei viele spannende Momente
und politische Fragen auf der Strecke bleiben, läßt sich wohl nicht vermeiden,
ist aber nichts desto trotz schade.
Die
Musik von Eötvös hat größtenteils untermalenden Charakter, sie spiegelt
meist in tonaler Führung die Gefühle der Figuren wider, teilweise sogar
an der Grenze zum Musical mit Jazzelementen, aber ein wirklich eigenständiges
Profil vermochte ich nicht zu entdecken. So stört sie nicht, bleibt aber
auch nicht in deutlicher Erinnerung. Zum großen Teil ergehen sich die
Sänger in Sprechgesang, nur gelegentlich verfallen sie in wirkliches Singen.
Die
Inszenierung von Benedikt VON PETER, die auf der Probebühne und nicht
im großen Haus gezeigt wurde, hat einige gute Ideen (der Fernsehbildschirm,
den Harper Pitt mit sich herumschleppt, der Auftritt des Engels durch
die Decke), aber es gibt auch Momente, die nicht überzeugen. Wenn die
Engel der verschiedenen Erdteile alle als fette, weiße Männer in Badehosen
dargestellt werden, macht es Sinn, daß die Engel sich längst von allem
abgewandt haben – nur warum ist dann der Engel Americana eine schöne Frau?
Selbst wenn dies nur eine Verkleidung ist, wäre es dann nicht überzeugender
gewesen, wenn dieser Engel die Verkleidung abgelegt und sich zu den anderen
gesellt hätte? So fragte man sich unweigerlich, weswegen hat Amerika einen
hübschen Engel, während alle anderen Erdteile diese alten Fettwänste bekommen
haben?
Die
Bühne ist leer, Saskia ZSCHOCH (auch Kostüme) kommt mit wenigen Requisiten
aus. Da die Sänger alle über starke Präsenz verfügen, reicht die leere
Bühne vollauf. Auf Dauer enerviert allerdings der ständige Schneefall,
der schon vor Vorstellungsbeginn anfängt.
Gesungen
wird in englischer Sprache, es gibt deutsche Übertitel. Allerdings werden
diese gerade dann durch die Lichtverhältnisse (Licht Bernd GRUBE) schwer
lesbar, wenn der Engel in höchsten Sopranhöhen singt, und der Text naturgemäß
auch für Zuhörer, die des Englischen mächtig sind, kaum zu verstehen ist.
Doch
was sich an diesem Abend wirklich gelohnt hat, ist die musikalische Umsetzung,
auch wenn das Orchester nicht im gleichen Raum war und gemäß Wunsch den
Komponisten mit Mikrophonen gesungen wird.
Bei
den Sängern ist als erstes James BOBBY als Prior Walter zu nennen, der
sich in keiner einzigen Sekunde schont, sich geradezu wund singt und spielt
und damit versöhnt, daß die anderen Figuren eher stiefmütterlich behandelt
wurden. Er ist fast die gesamte Oper auf der Bühne, als Einziger ist er
auch nicht noch als Engel zu erleben. Die absolute Hingabe an seine Rolle
ließ den Wunsch wach werden, ihn auch einmal ohne elektronische Verstärkung
und in einer klassischen Rolle zu hören.
Daß
Renate SPINGLER auch der Song-Stil liegt, war spätestens seit dem Weill-Abend
vor einigen Jahren bekannt. Sie geht hier völlig in der valiumsüchtigen,
von Halluzinationen Harper Pitt auf, sie wirkt sehr jung, während sie
in ihrer zweiten Rolle als Ethel Rosenberg sich nicht so profilieren kann;
bis sie dann Roy Cohn mit einem jiddischen Lied in den Tod begleiten darf.
Ich
habe mit Countertenören offen gestanden so meine Probleme. Brian ASAWA
hat hier jedoch viel zu meiner diesbezüglichen „Genesung“ beigetragen.
Als Belize und Mr. Lies ist er ausgesprochen überzeugend. Ein echtes Kabinettsstückchen
leistet er sich als obdachlose Frau in einem Zelt, wo er mit mehreren
unterschiedlichen Stimmen den Eindruck erweckt, das Zelt sei von mehreren
Personen bevölkert – oder von einem schwer Schizophrenen.
Julia
SUKMANOVA ist als Engel ausstaffiert wie ein kitschiger Rauschgoldchristbaumschmuck
und schaut daher ausgesprochen süßlich aus. Sie singt, von gelegentlichen
Schärfen abgesehen, die einzige Rolle, die tatsächlich permanent singt
und nicht meist spricht, tadellos.
Anna
STEIGER überzeugt als Hannah Pitt, Rabbi und Arzt Henry eher als Type,
denn auf der gesanglichen Seite. Mit Jonas OLOFSSON konnte ich bisher
im großen Haus nichts anfangen, zu neutral und zu dünn klang dort häufig
seine Stimme. Als Louis entwickelt er auf einmal Präsenz in Stimme und
Darstellung, auch wenn man ihm den New Yorker Juden äußerlich nicht sofort
abnehmen mag.
Joseph
Pitt wurde von Christoph POHL ohne Probleme gesungen, diese Figur wurde
allerdings von den Kürzungen besonders hart getroffen, so daß ihm wenig
Gelegenheit zur Profilierung verblieb. Tomas MÖWES zeichnete Roy Cohn
als eine Art mächtiges Kasperl, was einer Figur, die immerhin für amerikanische
Liberale so eine Art fleischgewordener Teufel darstellt, nicht gerecht
wurde. Stimmlich ist allerdings nichts zu bemängeln.
Cornelius
MEISTER leitete den Abend unterstützt von Co-Dirigent Alexander WINTERSON
und Klangregisseur Marcus HERZOG ohne Wackler oder Ausstiege, was in Anbetracht
der Tatsache, daß sich das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER HAMBURG sieben
Stockwerke höher im Gebäude befand und von dort via Lautsprecher eingespielt
wurde, während der Dirigent sich auf der Probebühne befand, gar nicht
hoch genug bewertet werden kann. Das Vokalterzett Ingrid FROSETH; Susanne
SOMMER und Martin BERNER, als eine Art Minichor geführt, untermalt fehlerfrei.
MK
P.S.:
Der Verkauf der sogenannten „Treppenkarten“ kann nur als Ärgernis bezeichnet
werden. Diese wurden in der besuchten Vorstellung fünfzehn Minuten vor
Vorstellungsbeginn verkauft. Als ich versuchte, am 30. Juni 2005 ein zweites
Mal zu gehen, waren diese Karten 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn ausverkauft.
Eine einheitliche Behandlung wäre sicherlich im Sinne des Publikums...
Die Auskunft, das liege im Ermessen des Mitarbeiters, der die Abendkasse
führe, kann nicht befriedigen.
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