Oberflächlich
betrachtet mag "Tosca" nicht so recht viel mit der besinnlichen Weihnachtszeit
zu tun zu haben, aber weit gefehlt. Näher besehen hat diese Oper viel
damit zu tun: Zunächst einmal spielt sie in Rom. Der erste Akt spielt
in einer Kirche, es gibt ein Gebet und ein Te Deum, im zweiten Akt gar
erduldet ein Mensch Höllenqualen für eine gute Sachen (Stichwort: Nächstenliebe)
und stirbt dabei sogar (hm, vielleicht doch eher Ostern...). Und daß in
der Bibel nicht gestorben wird, wäre mir auch neu... Außerdem stehen auf
Scarpias Tisch Kerzen.
Ob
das nun der Grund war, "Tosca" in Hamburg zu dieser Zeit auf den Spielplan
zu setzen, weiß und glaube ich nicht, und es ist mir auch egal. Hauptsache,
es ist gut besetzt. Und das war es!!! Da kann man auch über die nicht
wirklich erhellende Inszenierung von Robert CARSEN (Ausstattung: Anthony
WARD) hinwegsehen, die einfach nicht besser werden will. Eine nähere Besprechung
kann meinen beiden vorigen Kritiken im Archiv entnommen werden...
Für
den erkrankten Nicola Rossi Giordano sprang Zwetan MICHAILOV als Cavaradossi
ein, der mich nicht wirklich überzeugen konnte. Zwar war er besser als
so gut wie alle seine hiesigen Rollenvorgänger, reichte aber nicht über
das Attribut solide hinaus. Dieses verließ er jedoch immer genau dann,
wenn er meinte, etwas Dramatisches aus der Rolle machen zu müssen, was
stets gewollt klang. Ich hatte der Öfteren den Eindruck, daß er seine
für das Fach eigentlich zu grobe Stimme nicht richtig unter Kontrolle
hatte. Dazu kam eine leichte Unsicherheit im rhythmischen Bereich. Außerdem
sahen in beiden Vorstellungen die Augen, die er im dritten Akt an die
Wand malt, sehr seltsam aus: In der ersten war es so groß, daß es selbst
King Kong Angst gemacht hätte, in der zweiten erinnerte es mich eher an
eine Straßenlaterne, die von einem gebogenen Mast hängt und ein Vogel
mit einer öffentlichen Flugtier-Bedürfnis-Anstalt verwechselt hat...
Wesentlich
besser war es um die anderen Protagonisten bestellt. So sang Paoletta
MARROCU eine hervorragende Tosca. Zwar ist ihre Stimme für meinen Geschmack
gelegentlich vielleicht etwas zu sehr abgedunkelt, was zu sehr tief klingenden
Tonansätzen und leichten Vokalverfärbungen führt, dafür lieferte sie ein
mehr als überzeugendes Rollenportrait ab. Sie gab im ersten Akt eine wundervolle
Diva, die ihre Reize bewußt, aber nicht zu aufdringlich einsetzt, so daß
es niemals übertrieben wirkt. Im zweiten hingegen gibt sie sich teilweise
nahezu unterwürfig gegenüber Scarpia, um im dritten dann wieder zur Erst-Akt-Tosca
zurückzukehren.
Dieser
wurde von Lucio GALLO mit geradewegs einschüchternder Intensitiät und
Rollenidentifikation gegeben. Er vermag es tatsächlich, die Rolle so plastisch
zu gestalten, daß man meint, Scarpia persönlich steht auf der Bühne! Dabei
versteift er sich aber nicht nur auf den total bösen Polizei-Chef, sondern
läßt viel Platz für Zwischentöne. Und spielen tut er mit einer Grandezza,
die ihresgleichen sucht. Er bleibt selbst in den Wutausbrüchen charmant,
fast "gentlemanesk". Dazu kommt noch eine prachtvolle Stimme! Kurios ist
allerdings, daß in der ersten Hälfte vom "Te Deum" in beiden Vorstellungen
nur sein Unterleib vom Scheinwerfer beschienen wurde...
Unter
den Comprimarii stachen erneut die beiden Bässe Alexander TSYMBALYUK als
ungemein präsenter Angelotti und Tigran MARTINOSSIAN als interessanter
Sagrestano hervor. Während ich mir ersteren schon in den großen Rollen
vorstellen kann, sollte letzterer sich langsam an die großen herantasten
und sich noch mit den kleineren ein wenig frei singen. Frieder STRICKER
gab mit schneidendem und alles andere als schönem Tenor den Spoletta.
Ryszard KALUS (Sciarrone) blieb, wenn man ihn mal hörte, blaß. Rainer
BÖDDEKER und Jürgen STAHL teilten sich an beiden Abenden den Schließer.
Der Hirt wurde von einem Mitglied der Hamburger Alsterspatzen gesungen.
Großartiges
gibt es auch erneut aus dem Orchestergraben zu vermelden, wo György G.
RATH dem sehr gut aufgelegten PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTER HAMBURG
zahlreiche Nuancen entlockte, wie man sie bei einem Gastdirigenten, der
bislang noch nicht viel mit diesem Klangkörper gearbeitet hat, kaum erwarten
möchte. Es waren diese mehr oder weniger kleinen Tempoverzögerungen, die
diese Oper so lebendig erschienen ließen, dazu kam eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit,
so daß sowohl die komischen zu Beginn, als auch die dramatischen Passagen
wie aus einem Guß klangen. Auch kleine Abweichungen einzelner Solisten
(v.a. Michailov) wurden sicher eingefangen. Der
Haus-CHOR unter Tilman MICHAEL absolvierte den kurzen Part souverän, ebenso
wie die HAMBURGER ALSTERSPATZEN unter Jürgen LUHN. WFS
P.S.:
Nebenbei bemerkt war für mich persönlich die erste Aufführung auch eine
besondere - nämlich meine insgesamt 200.
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