Es
macht mir ehrlich gesagt ein bißchen Angst. Nach mehr als einem Jahr konsequenter
Abstinenz habe ich in den letzten sechs Wochen vier Vorstellungen an der
Hamburgischen Staatsoper besucht, und bin nach jeder mit einem sehr zufriedenen
Gefühl nach Hause gegangen.
Nach
"La Traviata" und "Rigoletto" gab es nun Tschaikowskys "Pique Dame" in
der ca. zwei Jahre alten Inszenierung von Willy DECKER. Deren markanteste
Nachteile sind nach wie vor die farbliche Tristesse (vorherrschende Farbtöne:
schwarz, grau, weiß) und die partielle Dunkelheit auf der Bühne (Bühnenbild:
Wolfgang GUSSMANN), die es mit der Zeit immer schwerer machen, der Handlung
konzentriert zu folgen. Das ist schade, denn der Regisseur hat großen
Wert auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, nicht allein zwischen Lisa
und Hermann, sondern generell zwischen den verschiedenen Gruppen des Stücks
gelegt, so daß die Oper wie ein Kammerspiel wirkt.
Dreh-
und Angelpunkt von Stück und Inszenierung ist Hermann, der hin- und hergerissen
zwischen seinem Wahn, die drei unfehlbaren Karten kennen zu wollen, und
seiner Liebe zu Lisa langsam seinen Sinn für die Realität verliert. Robert
Dean SMITH gelang die Verkörperung der komplexen Figur ungemein gut. Der
Tenor verfügt sowohl über die Kraft, sich in dieser Partie vokal zu behaupten,
wenn dies notwendig ist, besitzt aber auch die sängerische Intelligenz
für die leisen Töne, sobald diese gefragt sind.
Die
Besetzung der Lisa mit Elena PROKINA war dazu kongenial. Die Künstlerin
zeigt ihre Figur nicht als das stille, für sich leidende und seufzende
Mädchen, sondern als Person mit eigenem, emanzipierten Willen, als entschlossene
Frau im Pushkin'schem Sinn, deren Zweifel an Hermanns Lauterkeit erst
aufkommen, als es bereits zu spät ist. Zu dieser ausgeprägten Darstellung
kam eine ausgezeichnete musikalische Umsetzung, die zeigte, welch großartige
Sopranstimmen in unserer Zeit jenseits der massenkonformen Kommerzialisierung
existieren.
Dem
Tomsky von Egils SILINS fehlt mir persönlich ein wenig das Draufgängertum.
Seine Sichtweise ist vielleicht ein wenig zu eindimensional ausgelegt.
Gesanglich gab es ganz sicher nichts auszusetzen, und doch fehlte mir
etwas, daß ich nur schwer in Worte fassen kann. Den Fürsten Jeletzky mit
dem neuen Ensemblemitglied Pavel BARANSKY zu besetzen, war ein cleverer
Schachzug. Der Bariton zeigte ein für die eigentliche Größe der Rolle
eine sehr ausgefeilte Darstellung und verfügt über schönes Material, aus
dem sich bestimmt noch etwas mehr herauskitzeln ließ, wenn der Sänger
sich in seiner Arie weniger angestrengt darauf konzentrieren würde, es
unbedingt richtig machen zu wollen. Es ist eigentlich alles da. Immerhin
gelingt es ihm, den Zuschauer zum Hinterfragen von Lisas Entscheidung
für Hermann zu bringen.
Die
Figur der Gräfin leidet unter der Besetzung mit Olive FREDRICKS. Man erwartet
von in dieser Partie nicht unbedingt jemanden mit einer makellos intakten
Stimme, aber über eine beeindruckende Bühnenpersönlichkeit sollte die
betreffende Sängerin wenigstens verfügen. So verpufften leider musikalische
wie szenische Effekte.
Wie
man mit einer kleinen Rolle Staat macht, zeigte Tamara GURA, deren quirlige
Pauline schon wegen ihrer bereits sehr interessanten und individuellen
Stimme im Mittelpunkt stand. Alexander TSYMBALYUKs Baß hat sich, seit
ich ihn das letzte Mal gehört habe, an Umfang und Klangfülle in etwa verdoppelt.
Sein Surin hat zwar keine Chance im Neumeierschen Ensemble aufgenommen
zu werden, aber man möchte auf ihn auf der Hamburger Opernbühne ohnehin
nicht mehr verzichten.
Benjamin HULETT als Czekalinsky mit ausgesprochen schönen Tenor, Frieder
STRICKER (Tschaplitzky) und Wilhelm SCHWINGHAMMER (Narumoff) ergänzten
das Ensemble mit viel Sinn für darstellerische Lebendigkeit.
Zum
großen Teil erfreulich war bei der Aufführung in russischer Sprache die
Sprachbehandlung der Nicht-Muttersprachler unter den Solisten. Leider
waren die Übertitel an diesem Abend nicht so gut in Form.
Zudem
hatte der CHOR (Leitung: Florian CSIZMADIA) keinen besonders guten Abend.
Die Diktion litt ohnehin, doch es kamen auch musikalische Ungenauigkeiten,
die in einer gewissen Unkonzentriertheit zu liegen schienen.
Die
HAMBURGER PHILHARMONIKER boten erneut einen ausgezeichnet musizierten
Abend, bei dem nur das Blech hin und wieder etwas zu laut geriet. Dies
ist auch der einzigste Kritikpunkt an György G. RÁTH, der ansonsten eine
lupenreine Tschaikowsky-Interpretation mit viel Seele und Virtuosität
aus dem Graben zauberte. AHS
P.S.
an MK: Tpu kapmu!
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