Aufgrund
der krankheitsbedingten Absage von Philippe Auguin, durfte man in den
letzten beiden Aufführungen der halbszenischen Produktion (für die dezente
szenische Einrichtung zeichnete Andreas BODE verantwortlich) von Strauss’
monumentaler Märchenoper schon mal vorab hören, was in der nächsten Saison
so auf uns zukommen könnte (die ersten drei übernahm Klaus-Peter Seibel).
Denn Simone YOUNG, die wegen eines Wagner-Konzerts und (vermutlich) wegen
ihrer Vorbereitung auf ihre Doppelrolle als künftige Intendantin und Generalmusikdirektorin
(!) zugegen war, sprang ein. Und sollten mich meine Augen nicht vollkommen
getrogen haben, meinte ich ein „Ungeborenes in ihrem Schoß“ ausgemacht
zu haben (wenn nicht, werde ich meine Brille wechseln müssen...).
Ihr
Hamburg-Debüt gab sie vor einigen Jahren ebenfalls mit einer Strauss-Oper:
„Elektra“. Damals soll sie schon recht herzlich aufgenommen worden sein,
und auch diesmal konnte sie einen großen persönlichen Triumph verbuchen
und viel jubelnden Beifall entgegen nehmen. Vollkommen berechtigt wie
ich finde. Die Aufführung war in keinem Moment jemals uninspiriert geleitet,
selbst nicht, wo sie es langsamer angehen ließ. Sehr gut wurde im Finale
des 2. Aktes die Nähe zur „Elektra“ rausgearbeitet, wundervoll prall klang
das Blech z.B. bei dem gigantischen „Er wird zu Stein“-Motiv beim Gang
nach Keikobad im 3. Akt. Aber auch die zarten Momente erklangen sehr toll.
Sie vermied es gekonnt, die Oper in Schmalzgefilde abdriften zu lassen,
was gut passieren kann.
Gelegentlich
wünscht man sich jedoch vielleicht noch, dass die eine oder andere Passage
etwas mehr ausmusiziert wird, aber dennoch war es ein rundum zufriedenstellender
„Vor-Einstand“, dessen Charity-Charakter (alle Künstler spendeten ihre
Gagen den Flutopfern in Südostasien) das ganze noch abrundete. Man freut
sich schon auf die Zeit, wenn das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER so richtig
auf sie eingespielt ist.
Sängerisch
waren die Frauen eindeutig die besten. Ich hoffe jedoch, daß Frau Young
die bisherige Tendenz, Ensemble-Mitglieder gleich in so große, schwere
Rollen reinzudrängen nicht fortführt, sondern sie behutsam in die Richtung
bugsiert. So wäre es z.B. sinnvoll gewesen, Danielle HALBWACHS vielleicht
erst einmal die Elsa oder Elisabeth („Tannhäuser“) singen zu lassen. Allerdings
bewältigte sie die höchst anspruchsvolle Partie der Kaiserin im besten
Sinne des Wortes souverän. Kleinere Wackler an haarigen Stellen („Zur
Schwelle des Todes“) seien ihr ob der hohen Schwierigkeit verziehen. Man
merkte ihr auch ihre Nervosität an, was sich auch darin zeigte, daß sie
in den gleichen Gesten verharrte, gerade im 3. Akt. Normalerweise spielt
sie sehr gut. Trotz alledem war es eine große Leistung!
Diese
kann man auch den anderen, altgedienten Damen attestieren, die jedoch
auch schon über eine sehr große Erfahrung gerade in diesen Partien verfügen:
Hanna SCHWARZ (Amme) und Gabriele SCHNAUT (Färberin). Schwarz kehrte nicht
so sehr die menschenhassende Seite ihrer Figur heraus, sondern gab ein
Charakterstudie vom Feinsten. Ihr dramatischer Alt ist geradezu prädestiniert
für solche Rollen. Außerdem spielte sie sehr intensiv.
Für
Schnaut ist die Färberin eine Lieblingspartie. Auch sie durchmißt sie
mit grandioser stimmlicher, interpretatorischer und darstellerischer Präsenz.
Was in der Höhe fehlte, machte sie mit einer faszinierend-dämonischen
Tiefe wett, sie kann halt ihre Wurzeln nicht verleugnen...
Wolfgang
SCHÖNE (Barak) verfügt mit seinen 65 (?) Jahren immer noch über eine sehr
schöne warme Stimme, ohne die kleinste Abnutzungserscheinung (bei Partien
wie Barak, Sachs und Wotan/Wanderer will das echt was heißen!). Allerdings
singt er auch nicht unbedingt so, daß sich viel abnutzen kann. Es ist
nun nicht so, daß ich seinen Vortrag sonderlich langweilig finde, aber
ich habe schon weitaus spannendere Sänger als ihn gehört.
Das
kann ich leider nicht für den Sänger des Kaisers, Glenn WINSLADE sagen.
Zwar hat auch er eine angenehme, warm timbrierte Stimme, die den hohen
Anforderungen gewachsen ist, aber das war’s dann auch schon - die Stimme
habe ich übrigens nach seinen Abtritten sofort wieder vergessen...
Aber
es gab ja auch Positives über die männliche Besetzung zu sagen. So sang
Simon YANG (die „Dopplung“ der Namen Simone Young-Simon Yang löste neben
mir leichte Verwunderung aus...) einen unglaublich präsenten und volltönenden
Geisterboten mit prächtiger Höhe. Frieder STRICKER scheinen seine Ausflüge
nach Lübeck, wo er ab und zu in Operetten kleinere Auftritte hat, gut
zu bekommen. Er hatte sichtlich Spaß an der Rolle des Buckligen, war aber
kaum zu hören. Andreas
HÖRL (der Einarmige) und Jörn SCHÜMANN (der Einäugige) waren als seine
Brüder nicht so prickelnd, wenngleich letzterer für seine Verhältnisse
übermäßig engagiert bei der Sache war, so daß er sogar beim Abgang den
Notenständer auf der Bühne vergaß.
Ingrid
FRØSETH gab mit säuerlichem Sopran die Stimme des Falken und eines Ungeborenen,
sowie eine Dienerin, letztere neben Julia SUKMANOVA und Tamara GURA (die
solide „Stimme von oben“), die alle drei mit Renate SPINGLER und Katja
PIEWECK auch als Stimmer der Ungeborenen zu hören war. Sehr schön homogen
sangen Christoph POHL, Alexander TSYMBALYUK und Jörn Schümann den betörenden
Gesang der Wächter der Stadt. Peter GALLIARD distonierte als (durch den
attraktiven Wesley GEORGE gedoubelten) Jüngling vor sich hin. Solide Arbeit
leistete der Chor unter Florian CSIZMADIA.
Fazit:
Auch wenn die orchestrale und sängerische Umsetzung größtenteils sehr
gut war, muß ich doch feststellen, dass ich mit dem Werk nicht viel anfangen
kann, abgesehen von einigen Passagen wie den ersten beiden Aktfinali und
erwähntem Motiv im dritten Akt. Das ging offensichtlich einem recht großen
Teil des Publikums auch so, denn man sah ungewöhnlich viele Menschen in
der ersten Pause flüchten, und ich glaube nicht, daß es an der musikalischen
Umsetzung lag! D.h. ich möchte es nicht glauben... WFS
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