Die
Produktion von Christof LOY ist etwas über ein halbes Jahr alt. Merkwürdigerweise
wirkt sie jetzt lebendiger als in der Premierenserie, und auch die sich
in Zeitlupe bewegenden Figuren im Hintergrund fallen nicht mehr auf die
Nerven (lag es an mir, oder sind diese weniger aufdringlich als zuvor?).
Die
Produktion gewinnt deutlich durch die Neubesetzung der Titelrolle. Neu-Ensemblemitglied
Tim MIRFIN gibt dem Selim, was diesem zuvor fehlte: Sex-Appeal, weltmännisches
Auftreten und trotz machohafter Attitüde ausreichend Charme, um das Geschehen
glaubhaft zu machen. Die Stimme ist koloraturgewandt, keine Riesenröhre,
und der junge Baß weiß etwas mit seinen Mitteln anzufangen, indem er je
nach Situation passende Klangfarben zusammenmischt.
Renato
GIROLAMI war schon im März ein brillanter tadellos singender Don Geronio
mit zungenbrecherisch schnellem parlando, doch er scheint sich noch einmal
gesteigert zu haben. Der malträtierte Ehemann hat nunmehr zusätzlich auch
noch eine fast tragische Seite und bleibt nicht nur Witzfigur. Man hat
mit ihm ebensoviel Mitleid wie mit dem Prosdocimo von Jan BUCHWALD, der
im Laufe des Abends immer weitere Verletzungen mit sich herumtragen darf.
Der Bariton wirkt insbesondere in den Rezitativen ausgesprochen präsent
und weist hier mit einer Textbehandlung auf, die man eigentlich nur von
Muttersprachlern erwartet. Trotz seines körperlichen Umfanges ist er nicht
nur stimmlich überaus beweglich.
Neu
besetzt war die Partie der Fiorilla mit Aleksandra KURZAK, die mit blitzsauberen
Koloraturen und sexy Auftreten auffiel. In ihrer großen Arie verausgabte
sie sich fast vollständig; hätte diese noch länger gedauert, hätte man
um die Reserven der Sängerin fürchten müssen. Auch wenn soviel Einsatz
nicht ungefährlich ist, nötigt er Respekt ab. Ihre Rivalin Zaida (Tamara
GURA) ist nach wie vor ein reizendes Wesen, dem man die Temperamentsausbrüche
erst gar nicht zutraut, und erfreut mit nicht großem, aber gut geführten
Mezzo.
Im
Gegensatz zum restlichen Ensemble fielen die beiden Tenöre etwas ab. Mario
ZEFFIRI (Don Narciso) sang seine Partie durchaus geschmackvoll, aber seine
Höhen waren teilweise arg grell, auch wenn sie erreicht wurden. Auch gelang
es ihm nicht, als jugendlicher Aufreißertyp so in Erinnerung zu bleiben,
wie es sein Rollenvorgänger tat. Ho-yoon CHUNG als Albazar blieb ausgesprochen
unauffällig, auch seine Stimme blieb nicht haften.
Im
Orchestergraben stellte sich ein kleines Wunder ein. Waren Vorstellungen
des italienischen Repertoires zum großen Teil zuletzt bestenfalls nicht
sehr aufregend dirigiert, holte Walter ATTANASI aus dem PHILHARMONISCHEN
STAATSORCHESTER, das ohne jeden Tadel war, plötzlich einen luftig-leichten
Rossini heraus, mit viel Brio und geradezu überschäumendem Temperament.
Immer sängerfreundlich bleibend gelang es ihm auch, den kleinen Aussetzer
im Finale des ersten Aktes auf der Bühne schnellstmöglich einzufangen.
Auch
der CHOR (Leitung Tilman MICHAEL) war im Gegensatz zur Premierenserie
fehlerfrei und engagiert.
Sollte
es tatsächlich möglich sein, die Schlampereien von vielen Jahren im italienischen
Fach dauerhaft zu beseitigen? Das wäre mehr als erfreulich. MK
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