INDISPOSITIONELLE HOCHLEISTUNG

Berühmte Sänger haben in der Hamburger Musikhalle offenbar keine allzu große Tradition. Ich war in den letzten zwei Jahren bei vielen bekannten Sängern und Sängerinnen (Carreras, Baltsa, Meier, Quasthoff), und eigentlich war es fast immer so, daß gerade (und zumindest) im zweiten Rang noch sehr viele Plätze frei waren. Liegt’s vielleicht doch daran, daß man sich schon sehr genau informieren muss, wer wann dort singt? Also in der Oper klappt das besser (m.W. waren die „Ballos“ mit Shicoff gut verkauft.). Schade eigentlich...

Bleiben wir doch gleich bei den nicht so positiven Eindrücken dieses Abends – und es war (welche Wunder...) schon wieder das Dirigat, das hier Christopher FRANKLIN übernahm (in sehr frühen Ankündigungen sollte es Riccardo Frizza sein). Unter seiner Leitung spielten die MÜNCHNER SYMPHONIKER zwar recht ordentlich (abgesehen von dem katastrophalen Blech), aber doch sehr öde und eintönig – bei der Ouvertüre zu „Semiramide“ habe ich viele Komponisten rausgehört, aber keiner hatte auch nur im entferntesten mit Rossini etwas gemein (Brahms, Bruckner,...). Richtig gute Dirigenten scheinen Mangelware zu sein... Zumindest in Hamburg. Leider gab es sehr viele rein musikalische Einlagen.

Aber einer ließ das alles Vergessen: Juan Diego FLOREZ. Der junge, sympathische und attraktive Tenor, den ich derzeit als einen der besten auf seinem Gebiet erachte, ließ sich zwar viel Zeit mit seinem ersten Auftritt (ca. fünf Minuten!), aber das Resultat entschädigte dafür doch sehr. Sicherlich war das „Un aura amorosa“ ein wenig verhalten, was vielleicht auf seine Indisposition zurückzuführen ist, für die er sich nach „Pria che spunti in ciel l’aurora“ (aus Cimarosas „Il matrimonia segreto“) entschuldigte, oder schlichtweg darauf, daß er eher ein Rossini-Sänger ist. Oben genannte Beeinträchtigung zeigte sich auch nur im ersten Stück, wo seine Höhe etwas flackerte, aber spätestens beim „La speranza piu soave“ („Semiramide“) war er ganz in seinem Element und auf der vollen Höhe.

Im zweiten Teil sang er dann ein ungemein gefühlvolles „Una furtiva lagrima“, bei dem man sich einfach zurücklehnen und die Augen schließen konnte, um diesem herrlichen Gesang zu lauschen – Florez ist halt bei all seiner Virtuosität und seinem strahlenden Timbre v.a. immer noch ein großartiger Stilist. Als Bonbon sang er dann noch das „Ah, mes amis“ mit einer Brillanz, die ihresgleichen sucht, und strahlenden neun hohen C.

Zugabentechnisch gab es „La donna e mobile“, ein Stück, das ich nicht ausstehen kann (warum nicht mal das „Possente amor“????). Auch, wenn er es mit seinen Mitteln gut rüberbrachte, kann er nicht verleugnen, daß er einfach kein Verdi-Sänger ist – hoffentlich erspart er sich die Rolle des Duca... Nicht nur, daß es evtuell seinen stimmlichen Niedergang einläuten könnte, er paßt auch gar nicht zu dem Charakter von ihm. Na, ja, dafür war die letzte Arie des Almaviva aus dem „Barbiere“ (warum wird die eigentlich fast immer gestrichen?) wieder eine Klasse für sich. Es bleibt zu wünschen, daß Florez noch viele, viele Jahre auf der Bühne stehen wird! WFS