Lucio
GALLO rechtfertigt diesen Titel, denn, ohne sich absichtlich in den Vordergrund
zu spielen, war dies der Abend von Scarpia. Es gibt diese Vorstellungen,
an denen einem Sänger alles gelingt, an denen nicht nur die Gesamtleistung
beeindruckt, sondern auch jede einzelne Phrase, jede Geste so perfekt
sitzt, daß dem Zuschauer der Atem stockt. Gallo gehört zu den Sängern,
bei dem selten eine Vorstellung der anderen gleicht, und so bot er bei
seinem vierten von mir gesehenen Scarpia die vierte Interpretationsnuance.
Diesmal
ließ sich sein Scarpia einer Raubkatze vergleichen, die mit ihrer Beute
lustvoll noch ein wenig herumspielt, bevor sie sie verschlingt. Dazwischen
gab es dann Momente („TeDeum“, „Sei mia“), in denen man an Scarpias geistiger
Gesundheit zweifelt, weil plötzlich der Wahnsinn aufzulodern scheint.
Die Stimme macht alle diese Nuancen mit, scheitert weder an den Orchesterwogen
des „TeDeums“, noch an dem heuchlerisch-mitfühlendem oder schmeichelndem
Tonfall oder dem drängendem Begehren. Dabei verläßt er nie die Linie,
singt überaus genau. Hoffentlich läßt uns die Intendanz auf die Rückkehr
dieses Sängers nicht wieder sechseinhalb Jahre warten...
Alexander
TSYMBALYUK als Angelotti war an dieser außergewöhnlichen Leistung am nächsten
dran. Der junge Baß mit dem beeindruckenden Material verbessert sich zusehends
auch in punkto Phrasierung und Präsenz. Da wird es Zeit für größere Rollen.
Was
sonst noch geschah...
Carol
VANESS als Tosca konnte nicht wirklich vermitteln, warum Scarpia eigentlich
so versessen auf sie ist. Im ersten Akt gab es Passagen, bei denen man
sie in den oberen Rängen kaum hören konnte, das „Vissi d’arte“ wurde von
ihr rhythmisch ungenau gesungen, und im Spiel war sie weder Diva noch
große Liebende. Abgesehen von den genannten Punkten war sie gesanglich
in Ordnung, aber die große Begeisterung konnte sie nicht wecken.
Die
Auftritte von Neil SHICOFF wurden schon vorab in der Hamburger Presse
groß angekündigt. Ein wirkliches Ereignis blieb jedoch aus. Neil Shicoff
spielte Neil Shicoff, der einen Startenor spielt, welcher als Cavaradossi
besetzt ist. So kann es wohl kaum zu einer wirklichen Interpretation der
Rolle kommen. Im eigenen schwarzen Anzug läuft der Sänger relativ planlos
über die Bühne, leistet sich gelegentlich merkwürdige Zuckungen und fällt
ansonsten hauptsächlich dadurch auf, daß er seine Tosca ständig laut schmatzend
küßt (also mich als Frau turnt das ziemlich ab...). Auch gesanglich hätte
man anhand der Vorschußlorbeeren mehr erwarten dürfen als überlang und
mit zuviel Vibrato gehaltene Spitzentöne, undeutliche Aussprache und rhythmische
Eigenheiten. Es gibt sicherlich schlechtere Besetzungen für den Cavaradossi,
aber es gibt auch zahlreiche bessere.
Von
den kleineren Rollen fiel insbesondere Andreas HÖRL als Mesner extrem
negativ auf. Gleichförmig, ohne jeden Ausdruck, dafür aber mit Hang zum
Schleppen und sicht- und hörbarem Mitzählens quälte der Sänger sich durch
die kurze Partie. Jonas OLOFFSON als Spoletta blieb völlig unauffällig,
Wilhelm SCHWINGHAMMER als Sciarrone konnte ein wenig mehr in Erinnerung
bleiben. Wir sind dann nach dem zweiten Akt gegangen.
Frédéric
CHASLINs Leitung des Abends setzte keine großen Akzente, dafür schaffte
er es an diesem Abend, etwas mehr Rücksicht auf die Sänger zu nehmen,
deckte sie nur in Ausnahmefällen zu und hielt Graben und Bühne einigermaßen
zusammen. Ein aufregendes Dirigat ist allerdings etwas anderes. PHILHAROMIKER
und CHOR erledigten sich ihrer Aufgaben fehlerlos.
Robert
CARSENs Produktion in der Ausstattung von Anthony WARD wird auch beim
wiederholten Betrachten weder schöner noch nachvollziehbarer. Aber es
gibt im Hamburger Repertoire weit größere Aufreger. MK
P.S.:
Eine Bitte an alle Shicoff-Fans... Bitte schickt keine mails mit „In der
‚Jüdin’/im ‚Grimes’/im ‚Billy Budd’/als Hoffmann ist er aber gut.“, was
komischerweise der übliche Satz ist, den man zu hören bekommt, wenn einem
Neil Shicoff nicht gefallen hat. Es mag sein, daß Shicoff in den oben
genannten Rollen gut ist, aber hier sang er keine dieser Rollen, und dem
Cavaradossi wurde er nun einmal nicht gerecht.
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