Hamburg
ist eine glückliche Stadt, möchte man meinen, wenn man in die letzten
Tagen die hiesigen Zeitungen durchblättert. Zwei „Tenöre der Weltklasse“
innerhalb einer Woche in der Stadt! (... und dazu noch Johannes Heesters...
aber das gehört nicht hierher.) Die Musikhalle voll, die Staatsoper für
zwei Vorstellungen ausverkauft.
Doch
von Anfang an.
Die
Inszenierung von Robert CARSEN aus dem Oktober 2000 ist wenig spektakulär
(Theater auf dem Theater? Das habe ich doch neulich schon gesehen. – Bühnenbild
und Kostüme: Anthony WARD). Nach den Sachen, die ich in der letzten Zeit
auf der Bühne der Staatsoper gesehen habe, ist das allerdings schon sehr
viel. Die Personenregie läuft nach dem Motto „Wer will und kann, der macht.“.
Ansonsten fallen auch Rampenstehen oder sinnloses Herumgefuchtel nicht
weiter auf.
Tosca
als Callas, die Diva schlechthin, ist auch nicht neu. Peinlich nur, wenn
es nicht funktioniert, weil die Tosca des Abends diesen Gedanken in ihrer
Darstellung nicht transportieren kann. Dann bleibt nämlich nur ein Abziehbild,
was Carol Vaness nicht nötig gehabt hätte.
Als
ungenügend stellt sich dar, daß Carsen vergessen hat, daß ein Opernhaus
nicht nur aus dem Parkett besteht. Entscheidende Szenen der Oper (z.B.
Scarpias Auftritt) oder der Inszenierung (Tosca als Madonnenerscheinung
im „TeDeum“) bleiben einem in den oberen Rängen einfach verborgen.
Wozu
im Programm extra Davy CUNNINGHAM für das Lichtkonzept aufgeführt ist,
bleibt unklar. Vielleicht ging es um die Spots, die mal zur richtigen
Zeit den Sänger trafen, und ihn ein anderes Mal im Dunkel stehen ließen?
Ich weiß es nicht.
Dem
Dirigenten Frédéric CHASLIN entfällt hin und wieder, daß es bei einer
Opernaufführung auch Sänger auf der Bühne stehen. Symphonisch gesehen
kann man seine Leistung am Pult des PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTERs
als solide bezeichnen, doch die Koordination zwischen Graben und Bühne
war stellenweise katastrophal. Da geriet man allzuoft auseinander, oder
die Orchesterwogen gerieten viel zu laut. Außerdem vermißte man eine gewisse
Inspiration.
Carol
VANESS war keine schlechte Tosca. Sie vermochte aber auch nicht, den Zuhörer
von den Sitzen zu reißen. Vielleicht war sie diejenige, die unter dem
Dirigat des Abends am meisten litt. Beim „Vissi d’arte“ kam es zu großen
Diskrepanzen, die man der Unachtsamkeit Chaslins anlasten muß. Aber auch
so hinterließ die Künstlerin ein unbefriedigendes Gefühl. Sie konnte sich
weder gegen den extrovertierten Tenor noch gegenüber ihrem eigentlichen
Gegenspieler wirklich durchsetzen.
Als
Meister der wandlungsfähigen Rolleninterpretation zeichnete Lucio GALLO
bei seinem – für mich dritten – Scarpia diesmal das Bild eines Dandys
in gehobener Position. Vollendet gelang es ihm, die Balance zwischen dem
Umschmeicheln Toscas, der obsessiv en Liebe zu ihr und dem grausamen Polizeichef
Roms zu visualisieren. Seine musikalische Interpretation besitzt eine
hohe Sicherheit, die ihn am diesem Abend besonders zugute kam. Weder die
orchestralen Wogen im „TeDeum“, noch die weiteren Hürden aus dem Graben
vermochten es, ihn aus der Bahn zu werfen.
Während
Andreas HÖRL den mit Abstand schlechtesten Mesner ablieferte, den ich
bisher gehört und gesehen haben, war der Angelotti von Alexander TSYMBALYUK
exzellent gesungen. Seine Bühnenpräsenz ist weiter gewachsen, und so machte
er aus der kurzen Partie eine gelungene Charakterstudie.
Der
Spoletta von Frieder STRICKER weckte in mir Assoziationen an Erich Ponto.
Scarpias Erfüllungsgehilfe als Beamtenseele im positiven Sinne. Moritz
GOGG (Sciarrone) fiel mehr durch sein Spiel als durch seinen Gesang auf.
Bei Rainer BÖDDEKER (Schließer) bewirkte dies nur die ausgefallene Uniform.
Tamara GURA sang den Hirten mit einer achtbaren Leistung.
Und
dann war da Neil SHICOFF. Der Tenor, der laut „Welt“ „gleichermaßen berühmt...,
doch vielleicht nicht ganz so populär“ wie José Carreras ist, hinterließ
als Cavaradossi einen zwiespältigen Eindruck. Er dient nicht der Kunst,
sondern läßt sich vom Publikum hofieren. Legitim, vielleicht, aber es
gab Cavaradossi schlicht nicht. An der Rampe und häufig nur da stand eben
Neil Shicoff. Da war kein verliebter Maler mit revolutionären Ambitionen.
Es fehlte die Tragik, das Leid und die Liebe (außer ein paar laut hingeschmatzten
Küssen, die man bis zum vierten Rang hinauf hörte).
Vielleicht
liegt hier der Unterschied zwischen „berühmt“ und „populär“. Carreras
wird auch dafür geliebt, daß er sich in den Dienst der Rolle stellt, und
dem Publikum die Gedanken und Gefühle der jeweiligen Person gut vermitteln
kann.
Bei
Neil Shicoff besteht eine tiefe Kluft zwischen eignem, oft geäußerten
Anspruch und der abgelieferten Leistung. Es gab in der besuchten Vorstellung
rhythmische Ungenauigkeiten, völlig unbekannte Textvariationen und sprachliche
Undeutlichkeiten. Besonders anstrengend waren die überlang gehaltenen
Töne, von denen die meisten nicht einmal schön gesungen waren.
Irgendwie
war es also wie immer. Doch halt! Nicht ganz. Der Tenor psychelte an diesem
Abend nicht. Vielleicht besitzt Cavaradossi keine Neurosen oder seelischen
Deformierungen, die ausgelotet werden können. Vielleicht hat Herr Shicoff
diesen Teil seiner Darstellung auch aufgegeben. Man wird sehen.
Im
Oktober soll Neil Shicoff laut „Hamburger Abendblatt“ für Verdis „Ballo“
wieder an die Staatsoper kommen. AHS
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