JENSEITS DES REPERTOIRES

Vor einem Jahr wurde in Hamburg das erste Mal Francis Poulencs recht unbekannte Oper „Dialogues des Carmélites“ nach dem gleichnamige Stück von Georges Bernanos aufgeführt und konnte eine großen Erfolg verbuchen, wenngleich festzustellen gilt, daß die von mir besuchte Vorstellung nicht wirklich ausverkauft war.

In dem Stück geht es um den strengen Orden der Karmeliterinnen, in den die junge Blanche eintritt. Kurze Zeit darauf verstirbt die Priorin, die von Madame Lidoine beerbt wird, die den Orden mit friedlicher Hand leiten will. Durch eine politisch angespannte Situation der Revolution soll der Orden aufgelöst werden, die Nonnen „normale Menschen werden“. Die Abwesenheit der Priorin nutzt ihre „Vertretung“, in Form von Mère Marie, die gegen den Willen der eigentlichen Priorin den Nonnen das Märtyrergelübde abnimmt, woraufhin Blanche flieht. Es kommt, wie es kommen muß: Sie werden gefangen genommen (nur Marie kann fliehen) und hingerichtet. Blanche kehrt zurück und teilt das Schicksal ihrer Schwestern.

Poulenc schrieb zu dem von ihm verfaßten Text hauptsächlich ruhig dahinfließende Musik, die stets ein wenig Trostlosigkeit wiederspiegelt. Von großer Wirkung sind die lauten Ausbrüche im zweiten und dritten Akt, die teilweise schon atonal sind. Ansonsten klingt die Oper des öfteren nach einem Oratorium und manchmal auch ein bißchen veristisch. GMD Ingo METZMACHER fühlt sich bei dieser Musik wohl. Er blieb auch hier seinem eher sanften Herangehen an Werke treu, von mir aus könnte gelegentlich mehr aus sich herausgehen. Dennoch zählt dieses definitiv zu seinen besseren Dirigaten. Das ORCHESTER spielte da fehlerfrei mit. Selbiges läßt sich auch über den CHOR (Tilman MICHAEL) sagen.

Die Inszenierung wurde Nikolaus LEHNHOFF angetragen, der auch für den Salzburger „Fidelio“ verantwortlich zeichnet. Er verwendet nur die nötigsten Requisiten und läßt das ganze in einem düster-sterilen Raum (Raimund BAUER) spielen. Alle drei Wände sind mit einer Art Gitter, bei dem die Querstreben fehlen, versehen. Zwischen den Längsstreben sind jeweils schwarze Stoffe, die bei Bedarf hochgezogen werden und dann in Kombination mit den eintretenden Gestalten eine düstre Stimmung verbreiten, was noch durch die fast durchweg dunklen Kostüme (Andrea SCHMIDT-FUTTERER) noch verstärkt wird, die durchweg gut gerieten – aber was will man bei Nonnekluft schon groß falsch machen???

Die Inszenierung deutet nicht großartig herum und wertet auch nicht, sondern erzählt die Handlung solide nach. Etwas lächerlich wirkt allerdings das kleine Lagerfeuerchen, das den Klosterbrand symbolisieren soll, v.a. wenn es dann zum nächsten Bild wieder rausgefahren wird... Aber dieses kleine Manko wurde durch das unglaublich packende und ergreifende Schlußbild wieder wettgemacht, wenn dann noch eine vierte Wand in Gestalt der anderen gen Zuschauerraum herunterkommt, und die Nonnen einzeln nacheinander langsam nach vorne schreiten und die Stoffe wie eine Guillotine herunterfallen, einer nach dem anderen und eine nach der anderen plötzlich schweigt.

Die gesangliche Seite war in erster Linie solide. Gabriele ROSSMANITH sang die Blanche sehr souverän. Ich vermißte bei ihr allerdings ein wenig die rechte Identifikation und wünschte mir, daß sie sich, wo angebracht, ein bißchen stärker gibt. Bei Inga KALNA (Soeur Constance) merkt man, daß ihr die zahlreichen fiesen Belcanto-Rollen nicht gut getan haben. Sie wurde meiner Ansicht nach verheizt. Vielleicht erholt sie sich ja ein bißchen (hoffentlich...) durch die demnächst anstehende Pause, da sie, wenn mich meine Augen nicht täuschen, schwanger ist.

Nancy GUSTAFSON war als Madame Lidoine zu hören und sie gefiel mir recht gut, ebenso wie Kathryn HARRIES, die mit schütterem Mezzo die sterbende Madame de Croissy angemessen, aber nicht überragend sang. In dieser Rolle hätte man sich auch gut Anja SILJA vorstellen können, die jedoch die Mère Marie mit ihrer typisch hysterischen Intensität interpretierte, auch wenn man nicht immer genau die Sprache identifizieren konnte. Susanne BOHL (Soeur Mathilde), Olive FREDRICKS (Mère Jeanne) und Ines KREBS (Stimme einer Frau) ergänzten das Frauenensemble, ohne groß aufzufallen.

Aber in der Oper gibt es ja auch Männer... Thomas MÖWES sang einen grundsoliden Marquis de la Force, Christoph GENZ (Chevalier de la Force) sollte besser Oratorien singen, in Opern nervt mich sein dünner Tenor zunehmend. Xavier MAS sang mit ins Charakterfach tendierendem Tenor den Beichtvater des Carmel souverän.

Carl SCHULTZ (Monsieur Javelinot), Moritz GOGG (Offizier) und Rainer BÖDDECKER (Thierry) fielen nicht weiter ins Gewicht, Jan BUCHWALD hatte mit dem Kerkermeister erneut eine Rolle, in der er mir nicht gefiel. Frieder STRICKER zeigte mit dem ersten Kommissar, daß er doch noch so was wie eine Stimme hat und sang für seine Verhältnisse sehr anständig. Eine absolut grandiose Leistung lieferte Alexander TSYMBALYUK mit dem zweiten Kommissar ab, dem er mit seinem hochgradig interessanten Baß Profil verlieh. Wann kriegt der Mann endlich mal eine große Rolle??? Das Zeug dazu hat er!

Alles in allem bleibt als Fazit, daß diese Oper mal wieder eine der Erfahrungen war, die man sich angeschaut hat, aber nicht unbedingt wieder sehen muß, wenngleich es da weit Schlimmeres gäbe. WFS