Auf
den Tag genau 46 Jahre nach der Uraufführung an der Mailänder Scala am
26. Januar 1957 präsentierte die Hamburgische Staatsoper zum ersten Mal
Francis Poulencs Dialogues des Carmélites. Der äußere Rahmen der Handlung
folgt historischen Tatsachen: der Auflösung des Klosters der Karmeliterinnen
von Compiègne durch die französischen Revolutionsbehörden im August 1792
und der Hinrichtung von 16 Ordensschwestern wegen angeblicher Verschwörung
am 17. Juli 1794, so wie sie sich einerseits aus dem 1836 veröffentlichten
Bericht von Mère Marie de l’Incarnation (der einzigen Überlebenden) und
andererseits aus den erhaltenen Dokumenten (Anklageschrift und Urteil)
ergeben.
Direkte
Grundlage für das vom Komponisten verfaßte Libretto war das einige Jahre
früher entstandene Schauspiel „Die begnadete Angst“ von Georges Bernanos,
eines führenden Vertreters der Renouveau Catholique. Dieses wiederum beruhte
auf einem Filmscript, das nach der 1931 erschienenen Erzählung „Die Letzte
am Schafott“ der zum Katholizismus konvertierten Deutschen hugenottischer
Abstammung Gertrud von le Fort geschrieben worden war. Letztere erfand
mit der zentralen Figur der Blanche de la Force (die Namensähnlichkeit
ist schon auffällig) und ihrer Familie auch die einzigen fiktiven Figuren
der Geschichte. Wichtig für das Stück sind jedoch nicht die Äußerlichkeiten,
sondern die immer wieder um Angst und Tod und die Überwindung der Todesangst
in einem bewußten Märtyrertod kreisenden Gespräche der Nonnen. In der
streng katholischen Ausrichtung der Thematik ist eine gewisse Ähnlichkeit
mit „Saint François d’Assise“ gegeben. Doch wo Messiaens naiv in sich
selbst ruhender Glaube einfach wirkt, ohne überreden zu wollen, erscheint
hier auf Dauer ein messianischer, katholisch sein wollender Zug mit unechtem
Unterton. Die stark an „Pelléas et Melisande“ orientierte – und damit
für ihre Zeit äußerst konservative – kunstvoll instrumentierte Musik bekommt
beim Versuch der heroischen Überhöhung einen kitschig kunstgewerblichen
Beigeschmack – Oberammergau läßt grüßen.
Leider
verstärkt die Inszenierung von Nikolaus LEHNHOFF diesen Eindruck noch,
anstatt gegenzusteuern. Dabei hat er erfreulich unspektakulär und äußerst
präzise gearbeitet. Die am Anfang ganz auf die Charakterisierung der Figuren
und ihre Beziehungen untereinander konzentrierte Personenführung orientiert
sich in ihrer formellen Distanz an den Konventionen der Zeit (hierbei
gut von den geschickt, weil unauffällig, auf die dreißiger und vierziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts – die Zeit der Entstehung der literarischen
Vorlagen also – modernisierten Kostümen von Andrea SCHMIDT–FUTTERER unterstützt)
und bietet damit zunächst ein durchaus faszinierendes Bild einer in ihren
Ritualen erstarrten, dem Untergang geweihten Gesellschaft.
Nach
der Pause aber legt sich ein immer stärkerer Hang zur Ästhetisierung wie
Blei auf die Szene. Die dramatische Wahrheit wird einer Schönheit ohne
Sinn geopfert, wichtigster Punkt scheint die in ihrer Penetranz irgendwann
peinliche Symmetrie des Bildes zu sein. So verkommt die Szene im Kerker
zum kitschigen Gruppenbild mit Priorin – optische Frömmelei ersetzt die
Inbrunst der zum Martyrium Bereiten. Theatralische Wirksamkeit kann so
kaum aufkommen; allein die Szene der sterbenden Priorin (von Kathryn HARRIES
mit facettenreicher Charakterstimme und atemberaubender Präsenz grandios
gezeichnet) packt wirklich. In einem kurzen Moment, wenn die Nonnen ihre
Tracht ablegen und in ihren weißen Hemden verängstigt wie nackt dastehen,
blitzt sogar so etwas wie eine Theaterpranke auf und weist darauf hin,
was hätte sein können.
Und
auch das Einheitsbühnenbild von Raimund BAUER, ein hoher, leerer Raum
praktisch ohne Mobiliar, in dem die Beleuchtung das Gittermuster einer
Zelle zeichnet, ermüdet trotz seiner logischen Konsequenz irgendwann.
Die Lichteffekte, die ihn verändern, bleiben schöne Spielerei.
Musikalisch
kann sich der Abend dagegen durchgehend hören lassen. Ingo METZMACHER
entlockt dem gut disponierten und hervorragend präparierten PHILHARMONISCHEN
STAATSORCHESTER eine Vielzahl an Farben und hält die Musik trotz der häufig
getragenen Tempi im Fluß. Eine gewisse Anlaufzeit benötigt allein die
dynamische Balance zwischen Bühne und Graben, selbst auf den akustisch
günstigen Parkettplätzen laufen die Solisten zu Beginn des öfteren Gefahr,
überdeckt zu werden.
Beeindruckend
die Geschlossenheit des Damenensembles, dem es durchweg gelingt, sich
neben der Ausnahmeleistung der Harries zu behaupten. Ana Maria MARTINEZ
findet für die Blanche wunderbar schwebende melancholische Töne zur Charakterisierung
ihrer Weltangst. Nur in den wenigen Ausbrüchen fehlt vorerst noch das
letzte Quentchen Kraft. Ganz auf lyrische, wie gläsern klingende Bögen
setzt Danielle HALBWACHS als Neue Priorin; eine stimmlich hervorragende
Leistung, an der mir persönlich jedoch die Identifikation mit der Figur
fehlt.
Die
nicht sonderlich große, aber dramaturgisch wichtige Partie der Mère Marie
de l’Incarnation ist mit Anja SILJA (die an der Scala demnächst die Priorin
singen wird) wahrhaft luxuriös besetzt. Und Inga KALNA überzeugt als lebensfrohe
Soeur Constance mit ihrem in der Höhe strahlkräftigen, leicht anspringenden
Sopran. Komplettiert wird die Riege durch Gabriele ALBAN (Soeur Mathilde)
und Olive FREDRICKS (Mère Jeanne), die in ihrem einzigen größeren Solo
mit zappeligen Bewegungen leider vor allem sich selber spielt.
Bei
den Herren punkten die Tenöre: Jürgen SACHER mit einer klugen Studie als
Beichtvater und Yann BEURON mit frischem lyrischem Tenor als Blanches
Bruder. Wicus SLABBERT macht als Vater dagegen zwar gute Figur, läßt aber
nurmehr einen brüchigen, verbrauchten Bariton hören.
Die
meisten kleineren Partien sind mit Moritz GOGG (Offizier), Peter VEIT
(Thierry), Carl SCHULTZ (Monsieur Javelinot) und Jan BUCHWALD (Kerkermeister)
solide besetzt. Frieder STRICKER gelingt sogar trotz ausgesprochen unidiomatischer
Diktion eine nette Szene als Erster Kommissar, dem man nur einen besseren
Kollegen als den ebenso stimmlich wie sprachlich unschönen Alexander TSYMBALYUK
gewünscht hätte. Hartmut Kühnel
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