Vor
ziemlich genau zwanzig Jahren hatte Gian-Carlo del MONACOs „Turandot“
an der Hamburgischen Staatsoper Premiere. Und nach all dieser langen Zeit
hatte ich, als jemand, der sie zum ersten Mal sah, das Gefühl, daß sie
nicht zu einer dieser „Jeder macht das, was er gerade meint, machen zu
müssen und sei’s nur rumstehen“-Produktionen verkommen ist.
Das
Bühnenbild (Peter SYKORA) besteht, mit Ausnahme der in einem weißen, lichtdurchfluteten
Raum spielenden Ministerszene im ersten Bild des zweiten Akts, aus einer
nach hinten abfallenden, Decke, die eine gewisse Enge erzeugt, je zwei
Treppen beiderseits der Bühne, wo sich der Chor tummelt, und einer weiteren,
die zur Decke führt, die durch sie geteilt wird. In dieser Teilung befinden
sich zwei übereinandergeordnete Türen, die Altoum und Turandot für ihre
Auftritte vorbehalten sind, die Seiten der unteren werden von den abgeschlagenen
Köpfen „geziert“. Del Monaco verzichtet auf große Umdeutungen und erzählt
vornehmlich die Handlung.
Nicht
so ganz zufrieden war ich mit den Kostümen (auch Sykora), die für meine
Begriffe nicht „chinesisch“ genug waren. Die Minister trugen beispielsweise
wenig kleidsame, schwarze Latze, die glücklicherweise im dritten Akt durch
die schwarzen Gewänder verdeckt waren. Dafür verwunderten mich die Schärpen
(eine war rot, die andere gelb, die dritte grün), was mir spontan den
Gedanken aufkommen ließ, daß das die Verkehrsminister sein müssen! Ein
Kostüm, das ich hingegen sehr gelungen fand, ist das Calafs. In dem kann
man gar nicht blaß aussehen!
Bei
der sängerischen Seite überzeugten in erster Linie Timur und Liu. Harald
STAMM gestaltete den gestürzten König der Tartaren mit großer Intensität
und Glaubwürdigkeit. Seine Stimme ist für diese Partie nahezu ideal. Hellen
KWON zeigte mir einmal mehr, daß sie einen Fachwechsel vollziehen sollte.
Auch ihre Stimme paßt bestens zu der Musik. Auf lange Sicht könnte man
sich auch das jugendlich-dramatische Fach vorstellen.
Die
Partie der Turandot dürfte für Eva URBANOVA, die ihr Hausdebüt gab, noch
eine Nummer zu groß sein. In der Höhe mußte sie mit einigem Nachdruck
singen und auch sonst war ihr Vortrag nicht frei genug. Dennoch ist sie
nicht uninteressant, wenngleich in ihrer Stimme etwas ist, was ich nicht
so mag, ich aber auch nicht beschreiben kann.
Auch
der Calaf wurde von einem Hausdebütanten gesungen. Viktor LUTSIUK ist
erfreulicherweise kein Tenor, dem Lautstärke über alles geht und der das
hohe C für das Wichtigste in seinem Beruf hält. Etwas problematisch ist
jedoch seine nicht optimal fokussierte Stimme, die ein leichtes Flattern
(v.a. in der Mittellage) verursacht. Ein Kuriosum war für mich das „Nessun
Dorma“. Ich schwanke bei den Attributen für dieses zwischen „interessante
Variante“ bis hin zu „interpretatorischer Amoklauf“.
Der
Altoum wurde von Frieder STRICKER mit sehr verbrauchter Stimme gesungen,
was aber zu der Rolle auch paßt. George PETEAN (Ping) entwickelt sich
ganz langsam zu einem guten (Verdi-)Bariton, Michael SMALLWOOD (Pang)
gefiel mit seinem Charaktertenor. Bei dem Ministerterzett fiel lediglich
Peter GALLIARD (Pong) aus der Reihe, der erneut arge Intonationsprobleme
offenbarte und sich nicht so recht in irgendein Ensemble einfügen will.
Sehr
gut gefielen mir die Kammerfrauen von Gabriele ALBAN und Lucja MARINKOVIC.
Jörn SCHÜMANN sang den Mandarin solide in einem sehr eigenwilligen Italienisch.
Ralf
WEIKERT am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS hält den Hamburger Dirigentenstandard
aufrecht: die meiste Zeit waren alle zusammen, aber mehr auch nicht. Da
war weder Brutalität noch ostasiatisches Flair zu spüren. Zudem war er
recht laut, allerdings waren die Sänger noch zu hören. Der CHOR unter
Florian CSIZMADIA und die HAMBURGER ALSTERSPATZEN präsentierten sich in
sehr guter Verfassung.
In
der Vorstellung am 15.10. gab es dann ein Wiedersehen mit Gabriele SCHNAUT,
die in der vorigen Saison mit ihrer faszinierenden Elektra einen großen
Erfolg verbuchen konnte. Auch ihre Turandot kann sich hören lassen. Sie
gibt ein differenziertes Portrait, dieser so schweren Rolle. Allerdings
nerven nach einer gewissen Zeit ihre eher geschrieenen hohen Töne, die
sie auch nicht wirklich kontrolliert bildet. Etwas seltsam mutet auch
ihre verzerrte Mimik beim Singen an. Ein tolle Darstellerin ist sie jedoch
allemal.
Sabina
CVILAK übernahm in den zweiten beiden Vorstellungen mit ihrem Hausdebüt
die Liu und vermochte durchaus zu überzeugen. Sie verfügt über eine schöne
Stimme, mit der sie wirklich feinste piani singen kann, die zu Herzen
gehen.
Alberto
CUPIDO (Calaf) lieferte sich mit Schnaut und Weikert regelrechte Lautstärkewettbewerbe
(die meist von Schaut gewonnen wurden). Dieser Sänger kennt exakt drei
Lautstärken: „zu laut“, „aua, meine Ohren!“ und „lassen wir das“, eine
widerliche Abart eines Versuches, ein mezzopiano zu singen, wo seine Stimme
immer versagte. Leider läßt sich diese Kritik auf ALLE seine Darbietungen
anwenden, man mu nur den Rollennamen ändern. Das nächste Mal, wenn er
hier wieder Calaf macht und ich ihn höre, werde ich sicherlich NACH dem
„Nessun Dorma“ aus der Pause zurückkehren. Jeder Mensch kann singen, nur
sollte man es nicht jedem erzählen, er könnte es gegen dich verwenden...
WFS
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