Moderne
Kunst und klassisches Liedgut
„Die Winterreise“ führt direkt in die Galerie Chaco
„Acryl
auf Leinwand, 20 x 20 cm, 60 Euro“. Ich stehe in der Galerie Chaco
und schaue mir moderne Kunst an. Eigentlich bin ich ja wegen der „Winterreise“
gekommen. Die Liedergalerie Hamburg ist ein neues Musikprojekt von drei
Hamburger Künstlern. Sie wollen das Kunstlied an ungewöhnlichen Orten
zur Aufführung bringen. In dieser Saison treten sie in der Galerie Chaco
auf, in den Zeisehallen. Moderne Kunst und klassisches Liedgut. Die Saison
beginnt mit der Winterreise von Franz Schubert, gesungen von Thomas FRANKE
und am Flügel begleitet von Michael BALKE. Bei der Premiere am 22.11.03
ist die Galerie überfüllt.
Michael
Balke spielt einwandfrei und fehlerlos. Souverän und doch unaufdringlich
begleitet er durch den Abend und setzt dabei seinen eigenen musikalischen
Akzent. Mit kraftvoller Stimme gelingt es Thomas Franke, die „Winterreise“
eindringlich und dramatisch zu vermitteln. Besonders bei den tieferen
Partien glänzt er mit einem weichen Timbre. Als erfahrener Opernsänger
bringt er die lauten und zornigen Passagen souverän vor, doch auch in
den zurückhaltenden Momenten bleibt bei ihm selbst das leiseste Piano
tragfähig.
„Gefrorne
Tropfen fallen von meinen Wangen ab. Ob es mir denn entgangen, daß ich
geweinet hab’?“ Jedes Wort ist verständlich, jedes Gefühl ist nachvollziehbar.
Pianist und Sänger halten die emotionale Spannung über den ganzen Zyklus
aufrecht. Dabei ist es bemerkenswert, daß Thomas Franke den Zyklus der
24 Lieder auswendig singt. So hat er die Freiheit zu Mimik und Gestik,
die er gekonnt dezent einsetzt. Die Emotionen werden faßbar.
„Was
vermeid’ ich denn die Wege, wo die ander'n Wandrer gehn...?“ Sicherlich
beschreitet das künstlerische Duo den schwierigeren Weg. Sie gönnen weder
sich selbst noch dem Publikum eine Pause. Die düstere Stimmung wird ohne
Unterbrechung aufrecht erhalten und bis zum dramatischen Ende weiter geführt.
In absolut harmonischem Zusammenspiel gehen sie auf eine Winterreise,
der sich niemand entziehen kann.
Entsprechend
die Reaktionen des Publikums. „Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehn?
Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ So endet die „Winterreise“.
Der letzte Ton verklingt. Stille. Tatsächlich ist es den Künstlern gelungen,
das Publikum zu entrücken. Als schließlich der Applaus einsetzt, ist er
frenetisch.
Lange
noch werde ich mich an diesen Abend erinnern. Nicht zuletzt, weil ich
ein schön gestaltetes und professionell geschriebenes Begleitheft in der
Hand halte, welches im Eintrittspreis inbegriffen ist.
Das
Werk „Acryl auf Leinwand, 20 x 20 Zentimeter“ habe ich dann nicht gekauft.
Aber ich habe ja noch Zeit zu überlegen. Die Liedergalerie wird sechs
weitere Auftritte in der Galerie Chaco präsentieren. Am 31. Januar und
1. Februar geht es zunächst weiter mit „Lieder & Duette“ von Brahms. „Die
Dichterliebe“ von Schubert steht am 6. und 7. März auf dem Programm und
die Saison endet am 8. und 9. Mai mit Liedern nach Texten von Goethe.
Benedikt Allenstein
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