Es
ist kaum möglich, diese Vorstellung anders zu überschreiben, denn es ist
nicht vorstellbar, daß eine andere Sängerin derzeit in der Lage ist, die
vielschichtige und anstrengende Rolle der Emilia Marty in dieser Perfektion
zu singen und zu spielen, nein, zu sein.
Ich
habe niemals zu den rückhaltlosen Verehrern von Anja SILJA gehört, aber
was sie hier bietet, ist außergewöhnlich. Sie singt mit einer runden Stimme,
die zu allen Aufschwüngen und zu allen Nuancen fähig ist, die diese Rolle
erfordert. Zynismus, Verletzlichkeit, Stärke, girrende Verführung und
gleichzeitig kaltes Eis, all das kann sie schon allein mit der Stimme
ausdrücken und spielt sich dann doch auch noch die Seele aus dem Leib.
Dabei wirkt sie nicht nur rollengemäß alterslos, sie wirkt stimmlich und
darstellerisch so jugendlich, als habe sie das Elixier selbst eingenommen.
Und
toll sieht sie in ihren Kostümen aus. Der Hosenanzug mit großem Hut im
ersten Akt als Auftritt à la exaltierte Diva, das Bühnenkostüm mit langem
Beinschlitz im zweiten Akt und im Finale erst in ein Handtuch geschlungen,
dann im Morgenmantel, schließlich, ohne dabei vulgär zu wirken, im Lederkostüm
und ganz zum Schluß barfuß im schlichten Kleid. Man muß solche Kostüme
auch zu tragen wissen, um sich so, wie Anja Silja es tut, darin bewegen
zu können.
Naturgemäß
müssen hinter einer solchen Leistung die anderen Rollen verblassen, aber
daß dies in einigen Fällen nicht so sehr geschah, spricht für die Produktion.
Albert wurde von Pär LINDSKOG mit kräftigem, individuell timbriertem Tenor
gesungen und engagiert gespielt. An manchen Stellen scheint er etwas zuviel
Druck auf die Stimme zu geben, aber der Gesamteindruck war positiv. Kristina
war Renate SPINGLER, die mit wesentlich gewachsener Stimme und engagiertem
Spiel dafür sorgte, daß Emilia eine glaubhafte Bewunderin und Neiderin
hatte.
Wolfgang
SCHÖNE als Prus war stimmlich seiner Rolle an manchen Stellen nicht vollauf
gewachsen, sie scheint nicht sonderlich bequem für ihn zu liegen, allerdings
war er glaubhaft als alternder Lebemann und zunächst harter, dann trauernder
und rachedurstiger Vater. Sein Sohn Janek, der von allen herumgestoßen
wird, wurde von Jürgen Sacher mit so schön phrasierendem, lyrischem Tenor
und glaubhaftem Spiel gegeben, daß er großes Mitleid bei mir erweckte.
Als Hauk-Sendorf gab Nigel DOUGLAS eine sehr gute darstellerische Leistung
des verrückten Verehrers einer von Emilias früheren Identitäten, was darüber
hinwegtröstete, daß er gesanglich nicht sehr sicher war. Als Bühnentechniker
nutzte Carl SCHULTZ seinen kurzen Auftritt zur Profilierung.
Der
Anwalt Dr. Kolenatý (Andrew SHORE) fand im dritten Akt zu beeindruckenderer
Form, während er zu Beginn weder stimmlich noch darstellerisch besonders
auffiel. Indiskutabel hingegen war sein Schreiber Vitek (Anthony RODEN).
Weshalb für diese Rolle ein Gast engagiert werden mußte, ist nicht nachzuvollziehen,
denn der Sänger hatte seine Stimme überhaupt nicht unter Kontrolle, klang
quäkend und intonierte unsauber. Als Garderobiere war Olive FREDRICKS
zu hören, deren überzogenes Spiel und dünne Stimme mir mittlerweile in
jeder Rolle, die ich von ihr höre, auf die Nerven geht.
Ingo
METZMACHER am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERs spielte die Rauheiten
der Partitur klug gegen die fast schon pucciniesken Momente aus und schuf
so scharfe Kontraste. Die Sängerbegleitung war vorbildlich und setzte
nicht auf Lautstärke, wie dies leicht der Fall sein könnte. Auch das Orchester
war dem schwierigen Stück mehr als gewachsen.
Die
Inszenierung ist eine Übernahme aus Glyndebourne und war bereits in Barcelona
zu sehen. Nikolaus LEHNHOFF hat hier mit dem Ausstatter Tobias HOHEISEL
und Mark HENDERSON (Licht) eine gemäßigt moderne Produktion geschaffen,
in der für das menschliche Auge fast unmerklich die Requisiten auf einem
Bühnenteil über die Bühne gezogen werden. Man kann mit dieser Inszenierung
leben, auch wenn es sicherlich kein großer Wurf ist.
Angesichts
der Leistung der Silja , die die Aufmerksamkeit so fesselt, werden jedoch
sowieso jedes Bühnenbild und jede Konzeption zur Nebensache. MK
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