Aus
alt mach neu.
Hundert
Jahre nach der Uraufführung von Puccinis Verismo-Werk "Tosca" widmete
sich die Staatsoper diesem Stoff. Der junge kanadische Regisseur Robert
CARSEN, der bereits vor einigen Jahren mit einem Puccini-Zyklus an der
De Vlaamse Opera in Antwerpen Aufsehen erregt hatte, zeichnete für diese
Produktion verantwortlich. Gerechterweise muß an dieser Stelle gesagt
werden, daß die Inszenierung nahezu identisch mit der belgischen von vor
einigen Jahren ist. Offensichtlich war Carsen nur wenige Tage vor der
Premiere anwesend, die Hauptarbeit hatte er durch einen Assistenten machen
lassen. Aber muß die Inszenierung deshalb schlecht sein? Ich meine, ganz
im Gegenteil!
Ich
weiß, daß ich mit dieser Meinung ziemlich allein auf weiter Flur stehe,
denn die Kritiker der Feuilletons sowie ein Großteil des Premierenpublikums
stürzten sich wie die Geier auf die Brocken, die man ihnen in der Presse
vor der Premiere hingeworfen hatte. Man hörte und las also Empörung aller
Orten ob der "Unglaublichkeit", eine etwas ältere Produktion auf die Bühne
der Staatsoper zu bringen und dann auch noch die "Frechheit" zu besitzen,
diese nur minimal zu verändern. Das ist aber immer noch besser, als völlig
verstaubte und antiquierte Inszenierungen, wie die beiden, nahezu 25 (!)
Jahre alten Everding-Regiearbeiten "La Traviata" und "Othello", die in
der vergangenen Saison den Spielplan bereicherten.
Carsens
Idee ist die der Bühne auf der Bühne. Und das macht Sinn, denn der Stoff
basiert auf einem Theaterstück von Victorien Sardou, der dieses für die
damals berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt geschrieben hat. So sieht
man im ersten Akt einen Zuschauerraum mit zwei hohen Säulen, im Bühnenhintergrund
einen roten Samtvorhang und an der linken Seitenwand eine (nicht wirklich
erkennbare) Tür, die in die Kapelle der Attavanti führt. Rote Stühle komplettieren
die Szenerie, auf denen Programmhefte mit dem Konterfei der Floria Tosca
ausgelegt sind. Bei
ihrem ersten Auftritt entwindet sie sich Mario, um der Madonna Blumen
zu bringen - verschwindet hinter dem roten Vorhang - der Sinn erschließt
sich dem Zuschauer erst später.
Grandios
der Auftritt Scarpias, der nahezu unbemerkt hoch über den Köpfen der anderen
Protagonisten zwischen den beiden Säulen auf einem Podest erscheint -
sozusagen die Überhöhung der Staatsgewalt.
Das
"Te Deum" geriet zum Höhepunkt des Abends, wenn der Chor auf den Stühlen
Platz nimmt, sich der rote Vorhang öffnet und umhüllt von Nebelschwaden
und umgeben von Mitgliedern des Klerus Tosca als die personifizierte Madonna
erscheint - ein starkes Bild!
Der
zweite Akt spielt auf der Hinterbühne eines Theaters. Auf dem "Eisernen
Vorhang" liest man das Verbot "Vietato Fumare"; Scarpia, für den dies
nicht zu gelten scheint, setzt sich darüber hinweg, indem er genüßlich
eine Zigarette raucht. Platt, aber ok. Beeindruckend das Ende, wenn Tosca,
nachdem sie ihn erstochen hat, eines der Programmhefte auf seine Brust
legt - als Ironie des Schicksals - seine Verehrung für sie als Künstlerin
und auch als Frau wurde ihm zum Verhängnis.
Im
dritten Akt nimmt Cavaradossi Abschied vom Leben, der Brief an Tosca gerät
zum kindlichen Malversuch an einer Backsteinwand, er wird erschossen;
Toscas Verzweiflung über seinen Tod, aber auch die Erkenntnis, dass sie
von Scarpia hintergangen wurde, gipfelt bekanntlich in ihrem Sprung von
der Engelsburg. Zum Schlußapplaus erscheint Tosca in einem Scheinwerferkegel,
verbeugt sich vor dem imaginären Publikum Richtung Hinterbühne, bevor
sie die Ovationen des "echten" Publikums entgegennimmt. Das Konzept von
der Bühne auf der Bühne geht auf!
Isabelle
KABATU in der Titelpartie spielt und singt die Tosca nicht nur - nein,
sie ist Tosca! Man erlebte das faszinierende Portrait eines jungen Mädchens
einerseits, andererseits der "Gewußt-wie"-Verführerin die genau
weiß, was sie tut. Isabelle Kabatu garniert all dies mit leuchtender Strahlkraft
und einer voll strömenden, gesunden Stimme, sie neigt nie zum Schrillen
(besonders im 2. Akt), ist absolut wortverständlich und eigentlich müßte
jeder Mann schwach werden, wenn sie beginnt, Cavaradossi zu umgarnen,
und man glaubte, das Schnurren einer Wildkatze hören zu können, was auch
an ihrer erotischen Ausstrahlung und den panthergleichen Bewegungen lag.
Walter
FRACCARO als Cavaradossi war nicht der leidenschaftliche, verliebte Maler,
sondern verhielt sich Tosca gegenüber eher steif und hölzern. Sein Tenor
ist - obwohl die Spitzentöne sauber, wenn auch nicht ganz unangestrengt
- klangen, meiner Meinung nach für diese Rolle nicht lyrisch genug und
zu eng geführt. Die Stimme konnte an diesem Abend nicht frei strömen.
Ganz
anders dagegen Franz GRUNDHEBER als Scarpia. Hatte man seinen Jago gesehen
und gehört, so hoffte man auf ein ähnlich gelungenes Portrait, kam aber
nur bedingt auf seine Kosten. Er beherrscht die Partie auch in den großen
Ausbrüchen des zweiten Aktes brillant, auch bereits im ersten Akt konnte
er einmal mehr durch seinen vollströmenden, sonoren Bariton für sich einnehmen.
Es gelang ihm aber nicht ausreichend, das Perfide und subtil Dämonische
dieser Figur überzeugend darzustellen. Sein Habitus entsprach nicht dem
des von sich selbst überzeugten, über Leichen gehenden Machtmenschen.
Dennoch eine bravouröse Leistung, die auch vom Premierenpublikum lautstark
gewürdigt wurde.
Der
Sacrestano Simon YANGs überzeugte mit warmen Baßtönen, Ironie und Witz.
Ihm gelang es, ein nicht ganz so steifes Portrait dieser eigentlich recht
undankbaren Rolle zu zeichnen.
Das
Dirigat lag an diesem Abend in den bewährten Händen Ingo METZMACHERs,
der sich erstmalig als Puccini-Dirigent vorstellte. Es gelang ihm, die
Partitur aufzufächern, transparent zu machen und immer in großen Bögen
fließen zu lassen. Die wuchtigen Fortissimo-Passagen waren so intelligent
musiziert, daß sie die Sänger niemals überdeckten, so daß ein harmonischer
Gesamtklang entstand.
Verdientermaßen
großer Beifall für dieses gelungene Debüt. Die Hamburger "Tosca" ist insgesamt
eine solide Arbeit, wenn auch nicht außergewöhnlich - vielleicht lohnt
sich ein direkter Vergleich mit der zum selben Zeitpunkt herausgekommenen
Produktion am Bremer Theater. Ralf-Michael Ziebold
|