E sogno ? O realta ! Da gibt es in Hamburg eine "Falstaff"-Produktion, die szenisch einfallsreich, genau auf die Musik inszeniert und größtenteils hochklassig besetzt ist, die einfach Spaß macht, und trotzdem waren die Vorstellungen nicht einmal ansatzweise ausverkauft. Wie konnte sich das Hamburger Publikum dieses Juwel nur entgehen lassen, anstatt es zu stürmen ?

Die Inszenierung von Marco Arturo MARELLI hat vermutlich nur einen einzigen Schönheitsfehler: Sie macht es durch ihre sehr präzisen Bewegungsabläufe für neu einsteigende Sänger schwer. Durch die Umbesetzung von vier Rollen ließ sich dies bereits in der zweiten Serie bemerken.

Ana Maria GONZALES als Alice brachte mit sehr dunklem Sopran durch diese Färbung das Damenquartett etwas aus der Balance. Zudem erschien sie nicht völlig intonationssicher, obwohl sich dies im Laufe der Serie bereits deutlich verbessert hatte. Die Quickley von Viorica CORTEZ war weit näher am üblichen Klischee der alten Intrigantin als die wesentlich jüngere Premierenbesetzung. Sie hatte besonders mit den Tiefen und den schnellen Parlandopassagen zu kämpfen und siegte hier nicht immer.

Peter GALLIARDs Bardolpho zeichnete sich szenisch vor allem dadurch aus, daß er es offenbar für komisch hielt, seinen Partnern ständig im Weg zu stehen. Als ob diese Inszenierung solche lächerlichen "Einfälle" bei der ohnehin schon leicht überzogenen Zeichnung dieser Figur benötigen würde ! Immerhin blieb er stimmlich unauffällig. Die einzige Neubesetzung, die sich nahtlos in die Inszenierung einfügte, betraf den Fenton Vincente OMBUENAs. Gesanglich war er durch ein größeres Stimmvolumen und auch mehr Routine der Premierenbesetzung sogar überlegen.

Seit der Premiere dabei ist seine Nanetta Sabine RITTERBUSCH. Von einigen Unsauberkeiten in der Höhe abgesehen, war stimmlich nichts zu beanstanden, darstellerisch übertrieb sie jedoch an diesem Abend zu sehr. Ihr glückloser Freier war Jürgen SACHER, der mit schlank geführtem Tenor und Regenschirm bewaffnet eine köstliche Studie des pedantischen Doktors bot. Simon YANGs tumber Pistola wartete mit profunden Baßtönen auf, und Yvi JÄNICKE als Meg ist schon fast eine Überbesetzung zu nennen. So, wie sie spielte und sang, wünschte man, daß Meg eine Hauptrolle wäre.

Und dann ist da noch das durch diverse "Nozze"-Vorstellungen bereits perfekt aufeinander eingespielte Team Lucio GALLO und Alan TITUS. Da stimmt jede Phrasierung, jede Geste sowohl im Zusammenspiel als auch einzeln. Gallos Ford ist eigentlich ein aufgeblasener Pedant, dabei aber trotzdem enorm beweglich. Seine schöntimbrierte Stimme wird mit soviel Nuancen und einer außergewöhnlich deutlichen Diktion eingesetzt, daß sich die Frage, ob er nun Verdi singen sollte oder nicht, von selbst verbietet.

Alan Titus hat mit dem Falstaff eine absolute Glanzrolle gefunden. Da steht - in dieser Rolle nicht unbedingt selbstverständlich - ein Sänger im Vollbesitz seiner Stimme auf der Bühne, der keinen Augenblick lang vergessen läßt, daß er der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist. Persönlichkeitsstark und souverän durchschreitet er vom Falsett über das Parlando bis zu den dramatischen Ausbrüchen alle Facetten der Partie mühelos und ist schon allein durch die Stimmleistung von umwerfender Komik. Da sich dies auch noch im Spiel fortsetzt, ist von einem echten Glücksfall zu sprechen.

Der Chor war ebenso mit Spaß bei der Sache, wie das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER, das ich Verdi noch niemals so animiert spielen gehört habe wie hier. Gerd ALBRECHT verband die exzellente Orchesterleistung mit dem Bühnentrubel problemlos. Verdi gilt eigentlich nicht so als seine Sache, aber den "Falstaff" dirigiert er, als wollte er dieses Vorurteil Lügen strafen. MK