Gibt
es das - einen Tenor, der die Titelpartie dieser Verdi-Oper singt und
nicht brüllt? Der tatsächlich die musikalischen Nuancen erkennt und auch
nutzt? Der zudem den Charakter spielt? Dunkel kann ich mich daran erinnern,
dies bereits einmal live erlebt zu haben, und ich bin nicht unglücklich,
daß Carl TANNER dieser Partie nicht nur 100%ig gewachsen war, sondern
sie auch zu gestalten wußte. Hier schien alles richtig. Bar jeder aufgesetzten
Attitüde und stets mit der passenden stimmlichen Entsprechung entwickelte
sich Otellos Eifersucht zum regelrechten Wahn. Jeder Ton saß, und man
war fasziniert von der Eleganz des Gesangs. Definitiv ist das eine Rolle,
in der der Tenor öfter zu hören sein sollte.
Gerard
QUINN, der mit dieser Serie sein Debüt an der Semperoper gab, bewies,
daß auch ein größeres Haus kein Problem für seine Stimme darstellt. Eine
Herausforderung? Sicherlich. Allerdings eine, an der der Bariton gewachsen
ist. Die Tragfähigkeit der Stimme beeindruckte. Keine Sekunde wurde vom
gewohnt sicheren Gesangsstil abgewichen. Die Töne verloren nichts von
ihrer Wärme oder Feinheit. Hinzu kam ein durchdachtes Spiel. Jago ist
hier nicht stets vordergründig der Übeltäter, sondern vielmehr ein Meister
im Verstellen und Täuschen. Das "Credo" jedoch und später im Racheschwur
mit Otello wurde der Charakter schonungslos enthüllt, was auch dem Gesang
eine spannende Facette gab.
Als
Cassio zeigte Wookyung KIM viel Temperament. Seiner Stimme tat das sehr
gut und er wirkte so lebendiger als zuletzt in Hamburg. Stimmlich ist
er über diese Partie sicherlich bereits hinaus, doch sie bot ob der seinem
Tenor innewohnenden Kraft ein gutes Gegengewicht zum Otello.
Ein
wenig konventionell wirkte dagegen Desdemona. Sie war mehr Anlaß als Teilnehmende.
Nichtsdestotrotz beeindruckte Serena FARNOCCHIA mit ihrem sicheren, in
allen Lagen schönklingenden Gesang. So erhielt ihre Heldin Zartheit und
Verletzlichkeit. In dieser Form betörte sie Otello. Das erste Duett beider
wirkte in seiner Anmut und seinem trefflich ausgewogenen Klang lange nach.
In
den kleineren Rollen wußten an beiden Abenden vor allem Orlando NIZ (Rodrigo)
und Tomislav LUCIC (Montano) zu beeindrucken. Auch Sofi LORENTZEN (Emilia)
bot eine gute Leistung. Tilmann RÖNNEBECK enttäuschte als Lodovico durch
einem recht unsauber klingenden Baß.
Jacques
DELACÔTE hatte die musikalische Leitung gut im Griff, ohne diktatorisch
zu wirken. Man hörte ein ausgewogenes Dirigat, das selten zu laut, nie
langatmig war und in jedem Moment nach purem Verdi klang. Die SÄCHSISCHE
STAATSKAPELLE beeindruckte mit homogenem Spiel und hoher Virtuosität.
Aufgrund
der hohen musikalischen Qualität störte die Inszenierung von Vera NEMIROVA
wenig. Es spielt in ihrer Sichtweise auf Zypern, das gerade von Touristen
erobert wird. Im Vordergrund ist eine der üblichen Bettenburgen am Entstehen,
welche das dramatische Ende aber nur als Rohbau erlebt. Das Bühnenbild
von Johannes LEIACKER erwies sich als eher spartanisch. Wozu der halbaufgehängte
Jeep in der ersten Szene? Was macht Otello im Getränkekühlschrank? Man
weiß es nicht. Die zumeist unvorteilhaften Kostüme (Frauke SCHERNAU) werden
sich in besonders dramatischen Momenten gern auch mal in mehreren Schichten
vom Leib gerissen. Beeindruckend und stimmungsvoll war hier allein die
Lichtregie, für die Jan SEEGER verantwortlich zeichnete.
Verdis
Opern sind am besten, wenn man auf der Bühne und im Graben mit Leidenschaft
dabei ist, und deshalb waren diese beiden Abende in der Semperoper auch
schlicht gelungen. Es wäre ausgesprochen schade gewesen, sie zu verpassen.
AHS
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