Vorurteilsfrei
ging ich nicht in diese Dresdner Aufführung. Schließlich zeichnete Christine
MIELITZ für die Regie verantwortlich. Keine Ahnung, was ich mir eigentlich
genau vorstellte. Die Fotos auf der Homepage der Semperoper waren jedenfalls
nicht sehr aussagekräftig.
Was
ich zu sehen bekam, überraschte mich - und zwar im überaus positiven Sinne.
Die Inszenierung aus dem Jahr 1983 (Wiederaufnahme 2002) besitzt all das,
was man von einer guten Werkdeutung erwartet. Die Handlungsstränge zwischen
den Personen sind gut entwickelt, jeder Charakter ist akkurat ausgearbeitet
worden. Nie wirkt etwas planlos. Nichts ist überzogen.
Zugleich
gibt es die kleinen, feinen Gemeinheiten, die man heute teilweise nur
noch plakativ mit dem Holzhammer geboten bekommt. Wenn z.B. die Kirche
im Säbelgerassel vor dem Münster eben mal das Banner segnet, oder sich
die Stimmung vor dem sich anbahnenden Krieg langsam aufheizt, ist dies
Teil der Geschichte und harmoniert hervorragend mit dem Gesamtkonzept.
Der
eigentliche Machtkampf findet zwischen Elsa und Ortrud statt, die beide
die Krone Brabants begehren, und es ist Elsa, nicht Lohengrin, die vor
dem Münster gekrönt wird. Ungewöhnlich? Vielleicht, aber eigentlich folgerichtig,
denn nach Gottfrieds Verschwinden ist sie allein die Erbin ihres Vaters.
Das
Bühnenbild von Peter HEILEIN, von dem auch die Kostüme stammen, entpuppte
sich aus heutiger Sicht als geradezu üppig, doch alles paßte punktgenau.
Details wie z.B. der Schwan als Altarbild im Münster oder das purpurrote
Bett mit hohen Himmel als Mittelpunkt des Brautgemachs ließen den Blick
auch mal abschweifen.
Der
Schwan war tatsächlich ein Schwan. Ein kitschig gleißend-glänzender zwar,
doch er bewegte sich bei Lohengrins Auftritt samt selbigen auf dem Rücken
tatsächlich vom Bühnenhintergrund einige Meter nach vorn.
Die
Kostüme, m.E. in der Zeit Kaiser Rudolf II. ansiedelt wurden, waren herrlich
farbenfroh und/oder rollenangemessen sowie (fast) alle sehr kleidsam (nur
das erste Lohengrin-Kostüm fiel hier ein wenig ab, beflügelte aber durchaus
die Kreativität.).
Ein
solches Meisterwerk verdiente natürlich auch eine erstklassige Besetzung,
welche man an diesem Sonntagabend auch zu hören bekam.
Eine
Überraschung gleich zu Beginn bot Jürgen LINN, der Hartmut Welker ersetzte,
als verschlagener, perfekt intonierender Telramund. Seine Stimme besitzt
den genau richtigen Charakter und die passende Klangfarbe für die Rolle.
Gleichzeitig war sie mit genügend Durchschlagkraft gesegnet, um den z.T.
zu machtvollen Klängen aus dem Orchestergraben die Stirn zu bieten.
Janina
BAECHLE, die Ortrud des Abends, zeigte all das, was zu einer perfekten
Verkörperung dieser Rolle gehört. Präsent, selbst wenn sie nichts zu singen
hatte, böse bis ins Mark, hinterlistig, wandlungsfähig und agil, bot sie
einen temperamentvollen Gegenpart mit dem richtigen Maß an hoheitsvollem
Gebaren. Bei einer Sängerin mit einem derart kraftvoll tönenden Mezzosopran
ist dem Zuhörer um die Zukunft dieser Stimmgattung nicht bange, denn trotz
der hervorragenden Abendleistung wird man das Gefühl nicht los, daß da
noch viel mehr möglich sein wird.
Kurt
RYDL (Heinrich) begann den Abend besorgniserregend. Es wurde besser, doch
seine Wortdeutlichkeit blieb stellenweise beklagenswert, und vor schwierigeren
Stellen atmete er häufig hörbar ein. In der Darstellung beschränkte er
sich zumeist aufs Herumstehen. Dagegen besaß Matthias HENNEBERG neben
Stimme und Haltung eine natürliche Präsenz, die dem Heerrufers Respekt
verschaffte. Der Sänger verlieh so der eigentlich eher sekundären Rolle
einen festen Platz in der Geschichte.
Der
Begriff "Traumpaar" wird in der Opernszene derzeit ein wenig inflationär
verwendet. So ist es wohl eher angebracht, hier von einer idealen Kombination
in bezug auf die Besetzung von Elsa und Lohengrin zu sprechen. Anne SCHWANEWILMS
und Robert Dean SMITH ergänzen sich im Zusammenspiel auf der Bühne perfekt.
Jede kleine Geste sitzt, auf jedes Handeln des Anderen wird scheinbar
blind eingegangen. Beide Rollengestaltungen passen perfekt zueinander.
Strahlend
schön und mit makellosem Gesang eroberte Anne Schwanewilms sich das Publikum.
"Es gibt ein Glück.", überhaupt ihr gesamter Auftritt am Anfang des zweiten
Aktes war einer der Höhepunkt des Abends. Brav und duldend wird ihre Elsa
wohl nie sei, was der Rolle sehr gut tut, denn so entwickelt sie sich
vom noch verhaltenen Beginn vor Gericht, über einen ersten kämpferischen
Ausbruch vor dem Münster hin zur Antwort fordernden Frau im Brautgemach.
Eine schlicht logische Entwicklung und eine großartige Interpretation
bar jeden Makels.
Robert
Dean Smith war an diesem Abend stimmlich nicht 100%ig in Form. Streckenweise
mußte er viel Druck auf die Stimme geben. Die musikalische Begleitung
des Abends machte es ihm zudem nicht einfach, sich hier ein wenig zurückzunehmen.
In den entscheidenden Momenten jedoch saßen die Töne, und die Gralserzählung,
behutsam begonnen, wurde so schön wie lyrisch gesungen.
Punkten
konnte der Tenor ein weiteres Mal in der Charaktergestaltung. Der neu
entdeckte Machismo Lohengrins war höchst amüsant. Die tragische Komponente
im letzten Akt, wenn die Regie dem Schwanenritter am Ende Raum für Dramatik
jenseits des strahlenden Helden läßt, kam seiner Interpretation sehr entgegen.
Gerald
HUPACH, Timothy OLIVER, Jürgen COMMICHAU und besonders Sangmin LEE drückten
sich als Brabantische Edle nicht nur verschwörerisch in den Ecken herum,
sondern ließen so interessante wie homogene Stimmen hören. Gabriele MÜLLER,
Yvonne REUTER, Heike LIEBMANN und Andrea ALBERT ergänzten als Edelknaben
schönstimmig. Gottfried von Brabant, der gleich nach seiner Rückkehr von
König und Heerrufer vereinnahmt wird, wurde von Dominik KAU verkörpert.
Der
CHOR DER SÄCHISCHEN STAATSOPER DRESDEN (Einstudierung: Matthias BRAUER)
präsentierte sich als Muster kollektiven Gesanges. Es gab keine Ausstiege,
keine Wackler. Kurz, die große Aufgabe wurde perfekt gemeistert.
Nahezu
perfekt spielte auch die STAATSKAPELLE DRESDEN. Leider wurde der positive
Eindruck im Zwischenspiel zwischen Brautgemach und Schluß von mehreren
Blechpatzern arg getrübt. Christoph PRICKs Dirigat war alles in allem
ordentlich, auch wenn man hin und wieder Romantik vermißte und manches
viel zu laut geriet.
Es
war ein wundervoller Abend, weil man sich auf Handlung, Gesang und die
durchweg gute Besetzung konzentrieren konnte. Manchem mag es zu kitschig
oder überladen gewesen sein, aber "Lohengrin" ist nun einmal eine romantische
Oper. Oder nicht? AHS
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