Die
gute Nachricht ist, daß auch die absurdeste Regie einer Oper wie Bizets
„Carmen“ herzlich wenig anhaben kann. Allerdings ist das ebensowenig eine
neue Erkenntnis wie die Tatsache, daß sängerische Qualität sich stets
über inszenatorische Stümperei hinwegsetzt, und so der Abend zumeist trotzdem
ein gelungener wird.
Wie
gesagt, altbekannte Tatsachen, und wir wären dankbar gewesen, nicht schon
wieder daran erinnert werden zu müssen.
Das,
was Konstanze LAUTERBACH (Inszenierung) da auf die Bühne der Semperoper
stellte, entstammte wohl dem Handbuch „Moderne Opernregie für Dummies“,
wobei darin allerdings die Kapitel „Chorregie“ und „Personenführung“ gänzlich
zu fehlen schienen. Weshalb man eine chorlastige Oper inszeniert, dabei
den Chor auch selbstredend in den Mittelpunkt zu stellen versucht, obwohl
man mit den Mitgliedern dieses Klangensembles nichts anzufangen weiß,
war nur eine der offenen Fragen des Abends. Das Fehlen einer eindeutigen
Personenregie führte zum bekannten Jeder-macht-was-er-kann-Phänomen. Es
sollte eine „Carmen“-Deutung fern von jeglichem Lokalkolorit bzw. mit
stark verzeichneter Deutung eines solchen werden, herausgekommen ist nur
Langeweile.
Völlig
absurd war das Auslegen des Bühnenbodens mit Straßenpflastersteinen (Bühnenbild:
Peter SCHUBERT), was der Akustik sehr abträglich war. Der angedeutete
Regen inkl. lautem Geplätschers (nervig!) im 3. Akt sei nur am Rande erwähnt.
Die
Gründe, weswegen man eine Mischung aus Rezitativ- und Dialog-Fassung meinte,
spielen zu müssen, die vor allem irritierend war, erschloß sich auch bei
genauerer Lektüre des Programmheftes nicht. Es gibt gute Gründe für die
Dialog-Fassung, weniger gute Gründe für die Rezitativ-Fassung – und keine,
die beiden zu mischen.
Hadar
HALÉVY (Carmen) gab mit dieser Partie ihr Dresden-Debüt. Leider fehlt
es ihr an Präsenz und bedauerlicherweise auch an den notwendigen stimmlichen
Mitteln. Insgesamt ist ihre Stimme zu wenig flexibel und besitzt besonders
in der Mittel- und den unteren Lagen ein unschönes Tremolo. Von der aggressiven
erotischen Ausstrahlung, die Carmen zu eigen ist, war sie stimmlich und
darstellerisch meilenweit entfernt.
Von
ganz anderem Kaliber war da Michaela KAUNE als Micaela. Hätte das Libretto
eine direkte Auseinandersetzung beider Figuren gestattet, wäre Micaela
an diesem Abend als haushohe Siegerin vom Platz gegangen. So bekam allein
Don José die Autorität dieser selbstbewußten, jungen Frau zu spüren. Michaela
Kaunes Sopran hat seit dem letzten Hören weiter an Umfang und Variationsreichtum
zugelegt. Trotzdem wirkt die Stimme niemals zu groß oder zu mächtig für
die Rolle, da die Künstlerin die ihr nun zur Verfügung stehenden Ressourcen
geschickt zur Interpretation einsetzt.
Zur
intensiven Persönlichkeit dieser Micaela paßte, daß Don José von Robert
Dean SMITH eigentlich bar jeglichen Machismo war. Eine keineswegs störende
Sichtweise, da sich dieses Rollenporträt als insgesamt gut durchdacht
zeigte. Robert Dean Smith bewies, wie unklug es wäre, ihn einfach in die
Kann-gut-Wagner-Schublade zu stecken, und katapultierte sich mit seiner
exzellenten Leistung in unsere Top 5 der Don Josés. Vielleicht ist ihm
das Duett mit Micaela eine Spur zu lyrisch, aber er schlug sich gut, um
dann zu großer Form aufzulaufen. Die Blumenarie war ergreifend als Akt
der vollständigen Selbstaufgabe gesungen und mit einem mühelosen Spitzenton
gekrönt, der sich ganz natürlich aus der Phrase entwickelte. Es wäre ihm
zu wünschen gewesen, hier eine Partnerin zu haben, von der von seiner
Leidenschaft in Stimme und Spiel wenigstens etwas zurückgekommen wäre.
Jacques-Greg
BELOBO (Escamillo) verausgabte sich leider im ersten Teil seines Auftrittsliedes,
wodurch der zweite Teil etwas schwächer geriet. Dafür allerdings, daß
er dabei z.T. auf einer Schaukel (!) sitzen mußte, klang es dann aber
doch passabel. Insgesamt ist er ein Ausbund an musikalischer und schauspielerischer
Beweglichkeit. Entwicklungsfähig dürfte dieser Künstler allemal sein.
Etwas
überraschend (ja, man sollte die Besetzungsliste im Internet sorgfältiger
lesen...) brachte der Abend ein Wiederhören mit Jochen KUPFER. Ein Szenendieb
wie er hat es natürlich leicht, wenn die Präsenz um ihn herum eher gering
ist. Sein Moralès behauptete sich aber aufgrund der sehr guten stimmlichen
Leistung auch neben den „Leistungsträgern“ des Abends.
Die
verbleibende Besetzung fiel in der Qualität z.T. sehr ab. Georg ZEPPENFELD
(Zuniga) und Oliver RINGELHAHN (Remendado) zeigten zumindest in der Darstellung
Potential. Stimmlich gab es leider das eine oder andere Defizit. Roxana
INCONTRERA (Frasquita) und Anke VONDUNG (Mercedes) erfüllten das übliche
Klischee – beide, während Tom MARTINSEN (Dancairo) hoffentlich nur einen
sehr schlechten Abend hatte.
Jacques
DELACÔTE wäre ein idealer Dirigent für einen Katastrophenabend. Da die
Katastrophe glücklicherweise ausblieb, konnte man in aller Ruhe seine
Bizet-Interpretation genießen sowie hin und wieder interessiert beobachten,
wie er den aus den Fugen geratenen Chor musikalisch wieder „einfing“ oder
Quintettpartner zurück auf den gemeinsamen Weg brachte. Wunderbar ausmusiziert
war das Vorspiel zum 3. Akt, was leider seitens der Regie sinnlos bebildert
worden war und von der Musik abzulenken drohte.
Die
SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN hätte seiner inspirierten Leitung durchaus
noch mehr folgen können, und die Patzer im Blech wären auch nicht nötig
gewesen.
Der
CHOR DER SÄCHSISCHEN STAATSOPER DRESDEN (Leitung: Matthias BRAUER) mühte
sich mit durchwachsenen Erfolg mit der ihm von der Regie zugedachten Rolle
als Bewegungschor und seinen eigentlichen musikalischen Aufgaben nicht
unterzugehen.
Weniger
ist mehr, aber schön war es trotzdem (s.o.). MK & AHS
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