In
dieser Produktion von Ulrich ENGELMANN scheint Falstaff der Obdachtlosigkeit
anheimgefallen zu sein. Die Idee ist nicht neu, krankte dafür jedoch schon
immer daran, daß auf der Straße lebende Personen leider höchst selten
nur nach einem Wirt zu rufen müssen, der ihnen dann das Gewünschte bringt.
Es gibt einige hübsche Einfälle (Fords Fontana-Verkleidung sieht arg zusammengesucht
aus, in Anbetracht der Eile durchaus nachvollziehbar, Falstaff zweckentfremdet
den Lenker eines Fahrrades inklusiv Vorderlicht als Hörner für seinen
Auftritt als Schwarzer Jäger), aber im Ganzen entwickelt sich sonderlich
viel Esprit. Auf der fast leeren Bühnen (Hartmut SCHÖRGHOFER) bieten sich
nicht allzu viele Möglichkeiten für die Figuren, sich zu verstecken oder
unbemerkt heranzukommen. Die Kostüme von Christine STROMBERG sind irgendwo
nahe der Entstehungszeit der Oper angesiedelt, wobei die Mäntel der Damen
im zweiten Bild schon arg trutschig wirken.
Dann
jedoch, im letzten Bild, passiert ein kleines Wunder. Mittels phantasievoller
Kostüme und vor allem einem simplen Tuch wird ein Zauberwald auf die Bühne
gebracht, der alles hat, was der Inszenierung zuvor fehlte: überraschende
Lösungen, clevere Kleinigkeiten, sinnvolle Personenführung.
Die
musikalische Seite stellte sich ohne Ausfall, aber zum Teil auch ohne
großen Glanz dar. Es fehlte einfach das entscheidende Quentchen Spielfreude,
möglicherweise auch die Hand eines Regisseurs bei vielen Sängern. Tom
MARTINSEN (Bardolf), Markus MARQUARDT (Pistol) und Oliver RINGELHAHN (Dr.
Cajus) sangen gut, spielten auch angemessen, schöpften aber nicht die
Komik ihrer Rollen voll aus.
Rossella
RAGATZU (Alice) nahm man von der Darstellung her nicht unbedingt die Rädelsführerin
der Intrige ab, dafür entschädigte sie mit einem leuchtendem Sopran, der
die Ensembles problemlos überstrahlte. Christa MAYER war eine sehr dezente,
relativ hellstimmige Quickly, sowohl stimmlich, als auch von der Darstellung
her hätte man sich hier eine saftigere Interpretation vorstellen können.
Ursula HESSE VON DEN STEINEN (Meg) konnte mit der dunkleren Stimme aufwarten,
aber auch sie blieb darstellerisch unauffällig.
Eva
KIRCHNER litt als Nannetta bei ihrem Feenlied darunter, daß sie zu Beginn
aus dem Off singen mußte. Dort klang die auf der Bühne frische Stimme
spitz und säuerlich. Als sie zum zweiten Teil dann auf der Bühne erscheinen
durfte, war dieser negative Eindruck wieder verschwunden.
Eine
interessante Entdeckung war der Fenton von Woo-Kyung KIM. Er ließ einen
schön und individuell timbrierten Tenor hören, der die sehr lyrische Partie
schon fast sprengte. Man sollte diesen Sänger im Auge behalten.
Vor
fast genau sechs Jahren nannte ich den Falstaff von Alan TITUS und den
Ford von Lucio GALLO schon einmal ein Dream-Team. An diesem Eindruck hat
sich seitdem nichts geändert, obwohl beide Sänger inzwischen schwereres
Fach singen. Da stimmt jede kleine Geste, jede Betonung, da wird spontan
reagiert, jede Nuance wird ausgekostet. Ihre gemeinsame Szene war sicher
der Höhepunkt des Abends. Daß sie beide dabei auch noch prachtvoll singen,
versteht sich fast von selbst. Gallo ließ in „E sogno“ die Eifersucht
toben. Titus ist gerade in seiner Selbstverliebtheit wundervoll anzusehen
und -zuhören, und es ist nicht vorstellbar, daß es derzeit einen Falstaff
gibt, der nach seinem Bad in der Themse noch überzeugender granteln kann.
Daniele
GATTI am Pult dirigierte einen flotten Verdi; auf wessen Konto der Beinaheschmiß
im Damenensemble des zweiten Bildes ging, war schwer festzustellen. Insbesondere
nach der Pause fand der Dirigent zu schönen subtilen Farben, während er
zu Beginn doch ein wenig zu sehr auf Lautstärke setzte. Bis auf minimale
Unsauberkeiten nach der Pause war das Spiel der SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE
DRESDEN tadellos, und auch der CHOR entledigte sich seiner Aufgabe ohne
Probleme.
Der
Großteil des Publikums bestand aus offenbar opernunkundigen Touristen,
die sich während der Vorstellung lautstark unterhielten, was das Vergnügen
meines ersten Semperopernbesuches schon erheblich beeinträchtigte. MK
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