Vor
wenigen Monaten war Benjamin Britten für mich noch einer der Komponisten,
deren Namen man mal gehört hat - auf Empfehlung habe ich mir dann eine
"Billy Budd"-Aufnahme besorgt und jetzt auch noch das Glück gehabt, beim
ersten Live-Besuch gleich auf eine auf jeden Fall empfehlenswerte Aufführung
zu stoßen. Zwar bewegte sich die Inszenierung (Immo KARAMAN) größtenteils
irgendwo zwischen seltsam und langweilig, dafür war die Musik (Musikalische
Leitung: Peter HIRSCH) fast ausschließlich sehr erfreulich.
Für
einen Hobby-Segler war es natürlich erst einmal schade zu sehen, daß der
Großsegler "Indomitable" durch ein modernes Kriegsschiff oder sogar ein
U-Boot ersetzt wurde. Das Bühnenbild (Nicola REICHERT) besteht aus Stahlwänden,
die, je nach Szene von den Matrosen in Position geschoben werden, um wahlweise
die Brücke, die Mannschaftsquartiere etc. darzustellen. Der Umbau bei
offenem Vorhang funktioniert hier sogar - jedoch fällt es mir schwer einzusehen,
warum an einigen Stellen Umbau nötig ist und an anderen nicht. Die Wände
kommen nach Billys Ankunft bis zur Szene in Captain Veres Kajüte nicht
zum Stehen. Und die gewisse Unruhe für die das Hin- und Herschieben (Choreographie
und "Raumbewegung": Fabian POSCA) hoher Wände sorgt, ist stellenweise
(z.B. in "Come along, kid") einfach unpassend. Ein gegenteiliges Beispiel
wäre die Vorbereitung zur Seeschlacht - hier wäre ein geschäftiges Hin
und Her wesentlich passender gewesen. Stattdessen werden an jeden der
in Reih und Glied stehenden Matrosen Bomben ausgeteilt; mit dem gesungenen
Text hat die Handlung auf der Bühne gar nichts mehr zu tun.
Dies
ist überhaupt ein häufigeres Problem, daß sich vor allem durch die gesamte
erste Szene an Bord der "Indomitable" zieht - laut Text werden hier ein
Deck geschrubbt, Segel eingestellt etc. Auf der Bühne jedoch steht die
gesamte Mannschaft, inklusive der Offiziere, in Unterwäsche und bekommt
gerade erst Uniformen ausgeteilt. Veres Gespräch mit den Offizieren findet
auf der Brücke statt, und obwohl ich ja voller Lob dafür bin, daß keiner
von ihnen während der Dienstzeit trinkt, steht der Wein doch nun mal im
Libretto…
Der
seltsamste Punkt in der Aufführung dürfte jedoch die neue Figur der "Krankenschwester"
(Victoria WOHLLEBER) sein. Diese tritt zuerst im Prolog auf und scheint
sich dort um den alternden Vere zu kümmern. Es wird schnell klar, daß
sie noch ein anderes Interesse an ihm hat, was er jedoch zurückweist.
Seltsam wird es allerdings, als sie während der Schlacht auftritt, und
das dann auch noch in einem hinten offenen Kleid. Auch verstehe ich den
Sinn dieser Figur nicht. Soll sie uns noch mal mit der Nase darauf stoßen,
daß Vere kein Interesse an Frauen hat? Das haben wir sicherlich alle schon
vorher begriffen. Oder brauchte man nur eine Quotenfrau in der Aufführung?
Bei
allen diesen negativen Punkten, will ich jedoch eine Sache, die mir sehr
positiv aufgefallen ist, nicht auslassen: Obwohl Programmheft und Inhaltsangabe
immer wieder gerne betonen, daß eine "willkürlich brutale Ordnung" herrscht,
ist die Darstellung von Gewalt eher vorsichtig. Ich erwähne das deshalb,
weil ich eigentlich eher das Gefühl habe, daß die Tendenz meist die Gegenteilige
ist, und Gewalt auf der Bühne deutlich (und gerne) dargestellt wird, wo
eine Oper die Gelegenheit dazu bietet. Nun ja, das ist sicher nicht nur
in Opern so. Es hat mich daher angenehm überrascht, daß in einer Oper,
die ja sogar mehrere Gelegenheiten enthält, die Gewaltdarstellung eher
ausblieb und dafür ein ausdrückliches Lob für das Gegen-den-Stromschwimmen.
So
wenig mich die Inszenierung irgendwie packen konnte, so gelang das der
Musik doch wesentlich besser.
Die
DÜSSELDORFER SYMPHONIKER lieferten eine sehr saubere Untermalung des Ganzen,
und der Dirigent scheute sich nicht, stellenweise sehr deutliche Akzente
zu setzen. Einzelne Instrumente dürfen an ihren solistischen Stellen brillieren,
und der Gesamtklang des Orchesters war glasklar.
Leider
war im Gegensatz dazu die Leistung des CHORs recht zweigeteilt: Im ersten
Akt war es ein Genuß, ihm zuzuhören; besonders der Shanty war eine Freude.
Doch der zweite Akt… Die Vorbereitung der Seeschlacht war besonders enttäuschend.
Stellenweise klingt der Gesang völlig kraftlos bis uninteressiert, geht
schon fast im Orchester unter und von der freudigen Erwartung ist in der
ganzen Szene fast nichts zu merken, außer beim erwähnten Orchester. Die
Hinrichtungsszene war danach deutlich besser, aber der Chor fiel dabei
ein wenig auseinander, und einzelne Stimmen sollten aus einem Chor eigentlich
nicht herauszuhören sein.
Mehr
Schuld der musikalischen Leitung dürfte der nächste Punkt sein: Daß man
keinen Knabenchor hat, ist eine Sache. Daß man diesen dann durch Solisten
des erwachsenen Chors ersetzt, ist auch in Ordnung. Aber wenn man erwachsene
Sänger in derselben Oktave singen läßt wie sonst einen Knabensopran, ist
eine Garantie für Ohrenschmerzen.
Doch
zu den Solisten:
Unter
den kleinen Rollen fällt vor allem Daniel DJAMBAZIAN als der Bootsmann
auf. Er nennt eine ausgesprochen kraftvolle Stimme sein Eigen. Am Besten
gefiel er mir in der allerersten Szene, als er dem Neuling drohte - mit
einer so vor Gemeinheit triefenden Stimme, daß man selbst als Zuschauer
fast Angst bekommen konnte.
Dmirti
VARGIN (1. Maat), Rolf BROMAN (2. Maat), Dmitry TRUNOV (Ausguck), Laimonas
PAUTIENIUS (Der Freund des Neulings) und Dmitry LAVROV (Arthur Jones)
lieferten gute, aber, wohl wegen der eher kleinen Rollen, unauffällige
Leistungen ab.
Bei
Squeak ist zumindest eindeutig, woher der ungeliebte Schiffskorporal seinen
(Spitz-?) Namen hat, denn Florian SIMSON hat in der Tat eine leicht quietschige
Stimme - und das meine ich gar nicht so negativ, wie es klingt. Zwar kann
man den Klang seiner Stimme vielleicht nicht als angenehm bezeichnen,
aber es ist ein Teil einer ausgesprochen guten Charakterisierung.
Erfreulich
war auch Bruce RANKINs Red Whiskers, besonders während seines ersten Auftritts.
Zwar wirkte er an zwei Stellen abgelenkt, als sei er mit den Gedanken
woanders, dann aber wieder steigerte er sich mit einer unglaublichen Energie
in Gesang und Spiel hinein.
James
BOBBYs Donald war zwar nicht schlecht, aber unter allen Aspekten ziemlich
unauffällig. Im Quartett im ersten Akt geht seine Stimme fast vollständig
unter. Ebenso wenig ist mir Carlos KRAUSEs Dansker in Erinnerung geblieben.
Auch ihn kann man unter keinen Umständen als schlecht bezeichnen - nur
auch nicht gerade unvergeßlich gut.
Corby
WELCH gelang vor allem eine ziemlich Mitleid erregende Darstellung des
Neulings. "Come along, kid" reichte für Tränen, auch wenn die Szene schauspielerisch
eher seltsam war. Leider gab es später, im Dialog mit Claggart, einige
Stellen, an denen es sich anhörte, als sei seine Stimme kurz davor sich
zu überschlagen
.
Von den drei Offizieren lieferte Ashley HOLLAND als Mr. Flint die schwächste
Leistung ab. An den wenigen Stellen, an denen er eindeutig zu identifizieren
ist, brummt er eher, als daß er singt; über das Orchester ist er stellenweise
kaum zu hören.
Die
beiden anderen Offiziere, Mr. Redburn (Markus MARQUARDT) und Mr. Ratcliffe
(Timo RIIHONEN) sind wegen der gleichen Stimmlage bereits schwerer auseinander
zuhalten. Musikalisch haben sie mir beide gefallen, schauspielerisch fielen
alle drei Offiziere in die Kategorie "Legofigur" - Stehen und sitzen können
sie. Riihonen fällt allerdings noch wegen des ausgesprochen angenehmen
Klangs seiner Stimme auf. Wenn er die Stimme für Telefonwarteschleifen
liefern würde, könnte man auf die Idee kommen, nur deswegen die entsprechende
Nummer zu wählen…
Edward
Fairfax Vere, gespielt von dem Mann mit dem passenden Namen Raymond VERY,
besticht durch eine sehr kraftvolle und emotionsgeladene Art zu singen,
auch wenn ich seiner Stimme nicht allzu viel abgewinnen kann. Als schrill
kann man sie noch lange nicht bezeichnen, aber es geht ein klein wenig
in diese Richtung. Auch seine Charakterisierung der Rolle gefiel mir weniger
(auch wenn das wohl eher dem Regisseur zuzuschreiben ist). Sein Interesse
an Billy scheint ausschließlich sexueller Art zu sein (anzunehmen, wenn
er auf den Stuhl zu kriecht, auf dem Billy saß - und diesen umarmt und
daran zu schnüffeln scheint…) und den flehenden Billy ignoriert er kurz
vorher völlig. Näher an Melvilles Vorlage und doch unpassend.
Lauri
VASAR scheint mir eine ausgesprochen passende Besetzung für Billy Budd
- er sieht recht jung aus, und auch die Darstellung des naiven Matrosen
gelang ihm sehr gut. Seine Stimme klingt glasklar, und er singt mit einer
Wärme, welche die Figur sofort sympathisch macht. Eine einzige kleine
Kritik habe ich - stellenweise nuschelt er etwas und eine deutlichere
Aussprache wäre vorteilhaft.
Mein
persönlicher Favorit des Abends war jedoch eindeutig Sami LUTTINEN als
John Claggart. Er hat eine beeindruckende Stimme, die den ihn meist begleitenden
Baßinstrumenten auch bei den tiefsten Tönen mühelos Konkurrenz macht.
Gleichzeitig spielt er den gnadenlosen Schiffsprofos von vorne bis hinten
überzeugend und läßt diese Maske nur während seiner "Arie" "Oh Beauty,
oh handsomeness, goodness" fallen; ein Stück, in dem für ihn wohl die
Zeile "And the darkness comprehends it and suffers" am Wichtigsten war.
Diesem Claggart nehme ich es wirklich ab, daß er unter Billys Gutherzigkeit,
die ihm die eigene Bösartigkeit vor Augen führt, tatsächlich leidet. Ohne
weitere Hintergedanken. Außerdem hat auch Luttinen, was ich bei der Rolle
nicht für möglich hielt, meinen Taschentuchkonsum weiter erhöht.
Man
kann "Billy Budd" sicherlich einfallsreicher inszenieren, aber letztendlich
ist mir diese unauffällige Inszenierung immer noch deutlich lieber als
eine erzwungen moderne oder anderweitig verrückte Inszenierung. Und von
musikalischer Seite war der Abend (größtenteils) ein Genuß. Um es Zeitungsüberschrift-ähnlich
zusammenzufassen: Auf jeden Fall empfehlenswert. NG
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