Der
Abend begann eigentlich mit einer so angenehmen Überraschung: Scott MacALLISTER,
dessen Namen man doch schon einige Male in Besetzungslisten wesentlich
renommierterer Opernhäuser gelesen hat, gibt sich die Ehre, in unserem
kleinen Theater den Don José zu spielen. Auf die Freude folgte bald Ernüchterung:
Wenn das, was er am Donnerstag in Darmstadt abgeliefert hat, jetzt seine
normale Leistung ist, dann dürfte man ihn demnächst wesentlich häufiger
in kleinen Provinztheatern sehen!
MacAllister
wirkte durchgängig, als sei ihm die Rolle zu anstrengend. Sobald die Lautstärke
das Mezzoforte erreichte, kamen die Töne gequetscht, fast geschrieen.
Stellenweise sang er mit einem Vibrato, das ausreichen dürfte, Gebäude
zum Einstürzen zu bringen. Einsätze waren falsch und zum Teil eher gebrüllt
oder gar gequietscht als gesungen. Auch habe ich noch keinen Sänger erlebt,
der so viele Textfehler macht, mit der Folge, daß sich ganze Passagen
nicht mehr reimten. Bei seinem "Ich werde in das Gras von meinem Gegner
beißen" hätte ich fast losgelacht. Dabei will ich nicht mal alles kritisieren.
Die leisen und lyrischen Passagen waren stellenweise sehr schön. Bei Josés
Lied "Dragon d'Alcala" habe ich für einen Moment überlegt, ob sie den
Sänger ausgetauscht haben, so wohlklingend war der Gesang auf einmal.
Leider
ist Don José nicht der einzige Ausfall auf der Bühne. Georg ARTHUS als
Escamillo macht ihm deutliche Konkurrenz. Ich weiß auch, warum er ein
so erfolgreicher Torero werden konnte - er singt den Stier an und dann
schläft dieser ein! Sein Spiel erinnert an einen Büroangestellten, der
versucht den coolen Rocker zu mimen; sein Gesang ist größtenteils so unauffällig
und langweilig, daß mir nicht mal mehr ein bissiger Kommentar einfällt.
Außerdem - ich habe das Gefühl, diesen Satz schon so oft geschrieben zu
haben - schien ihm die Tiefe zu fehlen, die seine Rolle nun mal erfordert.
Von
den drei Hauptfiguren, die sich für Carmen interessieren, hätte diese
sich meiner Meinung nach am besten für Zuniga entschieden. Wahrscheinlich
war das auch dem Regisseur klar, denn um die Sympathien für die Rolle
gar nicht erst aufkommen zu lassen, wurde Zuniga so unsympathisch wie
möglich dargestellt, dessen Interesse an der Festnahme Carmens sicherlich
nicht das Aufrechterhalten von Recht und Ordnung war. Thomas MEHNERT war
nämlich der Einzige der Drei, der eine gesanglich und schauspielerisch
gute Leistung auf die Bühne brachte. Abgesehen von dem überzeugenden Schauspiel
- so zündete er sich beispielsweise während des ersten Akts eine Zigarette
an und amüsierte sich rauchend über Josés ungeschicktes Verhalten gegenüber
Carmen - sang er im zweiten Akt mit seinen wenigen Zeilen ohne Schwierigkeiten
Don José, Dancairo und Remendado nicht nur an die Wand, sondern glatt
durch sie hindurch. Wenn ich außer seinem undeutlichen Französisch etwas
an ihm zu kritisieren habe, dann die Tatsache, daß er wohl vor dem Schlussapplaus
nach Hause gegangen ist und mir damit die Möglichkeit nahm, ihn gebührend
zu beklatschen.
Aber
die Sprachkenntnisse der Sänger will ich außer Acht lassen. Es sang nicht
einer fehlerfrei Französisch, und stellenweise war der Gesang ein einziger
Lautbrei. Am besten verständlich war wohl Dancairo, der dafür allerdings
einen fast schon schmerzhaften deutschen Akzent hat.
Von
den tatsächlichen Hauptfiguren, war Erica BROOKHYSER als Carmen die Einzige,
die überhaupt etwas Anständiges zustande gebracht hat. Schauspielerisch
war sie nicht großartig; die Zigeunerin nahm man ihr nicht unbedingt ab,
aber wenigstens dafür konnte sie wenigstens singen.
Carmens
Freundinnen waren so gespalten wie die gesamte Besetzung des Abends. Carolin
NEUKAMMs Mercédès war völlig unauffällig und stellenweise unhörbar, dagegen
war Aki HASHIMOTO als Frasquita eine echte Freude. Ihr Gesang war kräftig,
und sie wirkte im Gegensatz zu Mercédès nicht so, als ob sie das Ganze
hier nicht anginge. Tatsächlich würde ich Aki Hashimoto als die beste
Schauspielerin der drei Zigeunerinnen bezeichnen.
Eine
weitere freudige Überraschung war Sven EHRKE als Dancaïro. Auch hier fiel
vor allem auf, daß er sich stimmlich gegen den Chor durchzusetzen vermochte.
Meine Kritik an ihm ist nicht einmal seine Schuld; ich bin es nur gewöhnt,
daß Dancaïro mit einem Bariton besetzt wird und so wirkte Ehrkes Stimme
immer zu hoch. Lasse PENTTINENs Remendado war wesentlich unauffälliger,
ohne in irgendeiner Art schlecht zu sein.
Bleibt
noch Susanne SERFLING als Micaëla. Hier wurden leider meine früheren recht
guten Eindrücke eher enttäuscht. Sie schien stellenweise mit den höheren
Tönen zu kämpfen, und warum war es möglich, sie in "Katja Kabanova" auf
junge Frau zu schminken, während Micaëla aussah wie vierzig?
CHOR
(Einstudierung: André WEISS) und ORCHESTER (musikalische Leitung: Vladislav
KARKLIN) lieferten sehr wechselnde Leistung ab, die ich als gedämpfte
Schwingung bezeichnen würde.
Das
Libretto wurde mit der Axt oder gar der Kettensäge bearbeitet. Drei Stücke
ohne allzu deutlichen Handlungsbezug wurden komplett gestrichen, viele
andere Chorparts oder rezitativ-ähnliche Stücke zumindest gekürzt. Nicht
einem Sprechtext wurde der weitere Aufenthalt erlaubt. Kein Wunder, daß
es gelingt, die Aufführungsdauer auf zwei Stunden und neunzehn Minuten
zu kürzen. Durch die fehlende Einführung in "Sur la place", mußte zu allem
Überfluß auch noch die Ouvertüre inszeniert werden - und zwar so, daß
es möglichst laut auf der Bühne wird.
Die
Inszenierung (Mei Hong LIN) reicht mal wieder von seltsam bis unverständlich.
So wird aus der Corrida die Tomatina - die Tomatenschlacht - die meines
Wissens nach eine eher neue Veranstaltung ist, sie außerdem nur in einem
Dorf Spaniens gefeiert wird. Wofür man da wohl einen Torero braucht? Wahrscheinlich
gibt es dort besonders wehrhafte Tomaten… Weiterhin nimmt der veränderte
Schauplatz jeglichen Sinn aus den Texten des -stark gekürzten - "Voici
la quadrille".
Getanzt
wird etwas, das zwar einige Elemente des Flamenco enthält, aber nicht
eindeutig irgendeiner Tanzrichtung zuzuordnen ist. Albern wird es dadurch,
das auch der männliche Teil des Tanzensembles in den typischen Röcken
auftritt… Und das, ohne vorher die Stiefel ausgezogen zu haben. Weiterhin
scheint die Choreographin (auch Mei Hong Lin) der Meinung zu sein, daß
Spanierinnen nicht in der Lage sind, auch nur einen einzigen Schritt zu
machen, ohne mit ihren Röcken zu wackeln. Außerdem merkt man deutlich,
daß eine Choreographin das Stück inszeniert hat, da kaum eine Szene ohne
Tanz abläuft.
Weiterhin
gibt es einige weitere seltsame Regieentscheidungen: So ist beispielsweise
der Chor während Carmens Lied für José im zweiten Akt anwesend, was ich
als sehr unpassend empfinde. Die Schmuggler schleusen in Wahrheit Menschen,
die erste Chorszene spielt in einer Art öffentlichem Dampfbad, und José
zieht Carmen aus, bevor er sie umbringt. Na ja…
Der
Kostümier (Dirk HOFACKER) war wohl der Meinung, daß Spanier grundsätzlich
nur rot, schwarz und ein bißchen weiß tragen, denn das sind mit Ausnahme
der Uniformen die einzigen Farben, die wir auf der Bühne sehen.
Alles
in allem, eine Enttäuschung, welche die durchaus vorhandenen Lichtblicke
leider nicht mehr herausreißen können. NG
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