Offenbar
kann ich die Zahlen 8 und 9, sowie 0 und 3 nicht auseinanderhalten, sonst
hätte ich mitgekriegt, dass die o.e. Aufführung nicht um 19.30, sondern
um 18.00 Uhr beginnt, so daß ich wertvolle zwanzig Minuten der Aufführung
verpaßt habe. Schande über mich! Aber ist ja nicht das erste Mal...
Dafür
war es mein erstes Mal im schönen Staatstheater Braunschweig, wo mich
u.a. meine Liebe zum „Macbeth“ hinverschlagen hat. Die dortige Oberspielleiterin
Kerstin Maria PÖHLER ließ es sich nicht nehmen, das hochgradig vielschichtige
Werk persönlich zu inszenieren. Für meine Verhältnisse war die Umsetzung
jedoch viel zu statuarisch und unemotional. Pöhler verlegt die Handlung
in ein modernes faschistisches Regime, wo die Hexen am Laptop agieren
– zumindest in der zweiten Hexenszene, die erste habe ich ja verpaßt...
Das
Ganze spielt sich auf zwei Ebenen ab, einmal auf der normalen Bühne (Frank
FELLMANN, der auch die angemessenen uniformen Kostüme entwarf), die ohne
Requisiten auskommt, und auf der das niedere Fußvolk zu sehen ist, und
einmal auf einer Empore, die den Herrschern und dessen Handlangern vorbehalten
ist. Dort befindet sich auch ein großer Fernseher, der nach der Ermordung
Duncans den Herrscher Macbeth (Big Brother is watching you) zeigt, was
jedoch in der Bankettszene sich zu Banco wandelt.
Leider
versteift sich die Regie auf die Kritik an derartigen diktatorischen Regimen
und dem Thema der Herrschaft im allgemeinen (und erinnerte mich daher
etwas an den Hamburger „Nabucco“), vernachlässigt darüber jedoch die Personenführung.
Alles in allem ist mir die Regie auch zu ernst, wenngleich die Mörderszene
durchaus ihren Humor hat, wenn diese in Geheimagentenkluft gekleidet zuerst
ihre Messer zücken, dann aus ihren Aktenkoffern Äpfel holen und diese
schälen. Aber gerade die Chorszenen wirken zu statisch.
Macbeth
wurde hier vom neuen Ensemblemitglied Jan ZINKLER gesungen (ehemals lange
Jahre Comprimario in München). Er konnte mich nicht überzeugen. Zwar war
an seiner Phrasierung nichts auszusetzen, und die hohen Töne saßen ebenfalls,
die Differenzierung war mein Geschmack aber nicht, außerdem war mir persönlich
sein Vortrag zu larmoyant und zu wenig präsent. Hinzu kam ein oftmals
sehr verschattetes Timbre und eine furchtbar übertriebene klischeehaft-sächselnde
Behandlung der Sprache („sölö ün möttö“). An manchen Stellen dachte ich
mir dann „Warum nicht gleich so!?“, aber die waren eindeutig zu wenig.
Dafür macht er alle seine Stunts selber (so mußte er sich z.B. einmal
von der erwähnten Plattform fallen lassen!). Naja, aber vielleicht lag’s
ja auch an der Rolle.
Von
ganz anderem Kaliber war da die junge Iordanka DERILOVA (Lady), die sich
in meine bislang noch kurze Liste an (kongenialen) Live-Ladies einreiht
(Sylvie Valayre in Berlin und Yvonn Füssel-Harris in Lüneburg) – eine
konträre gibt’s nicht! Sie ist eine Furiosa wie sie im Buche steht, verfügt
über eine sehr große, individuell timbrierte Stimme (Richtung Gheorgiu,
aber viel, viel besser!!!), eine stupende Technik und eine blitzsaubere
Höhe. Dazu kommt eine unglaubliche stimmliche wie darstellerische Präsenz,
sowie ein enormes Wissen um die Partie und deren Tücken. Doch sie hatte
auch die nötigen Zwischentöne, so daß ihre Nachtwandelszene derartig packend
gesungen (und gespielt!) wurde, daß ich danach erst nach etwa zwei Minuten
in der Lage gewesen wäre, zu applaudieren, geschweige denn mich zu bewegen,
da sich mein Puls ersteinmal wieder langsam aus dem vierstelligen Bereich
runterfahren mußte... Das ging wohl auch vielen anderen so, so daß der
Applaus ausblieb – dafür war er nachher um so stärker.
Bei
Frank VAN HOVE frage ich mich ernsthaft, ob er nicht besser als Macbeth
aufgehoben wäre – ich habe selten einen so hohen Bass gehört... Dennoch
sang er einen zufriedenstellenden, sympathischen Banco. Er starb allerdings
etwas pathetisch.
Bei
Kor-Jan DUSSELJEE (Macduff) kriegte ich im ersten Akt Panik ob seiner
Arie im letzten, das war nämlich alles andere als gut. Aber offenbar habe
ich mich verhört, oder er braucht Zeit, um sich einzusingen... Wie dem
auch sei, der letzte Akt war doch sehr erfreulich. In der Arie phrasierte
er sehr schön, neigte weder zum Protzen, noch zum Forcieren oder gar zum
larmoyanten Schluchzen und sang noch sehr schöne Schwelltöne gegen Ende.
Ob er sich allerdings mit seinen Plänen in Richtung Turiddu/Canio (bei
den Eutiner Festspielen - open air wohlgemerkt) einen Gefallen tut, wage
ich zu bezweifeln. Ich sehe ihn eher als lyrischen Spinto. Ein solcher
ist auch Seung-Hyun KIM, der als Malcolm auf sich aufmerksam machte (singt
ja auch alternierend mit Dusseljee den Macduff) und ebenfalls rundum überzeugte.
Sehr
toll waren auch die anderen Comprimarii. So sang Mario KLEIN den „Mann
aus dem Hintergrund“, sprich 1. Erscheinung, Mörder, Diener und Arzt mit
durchschlagendem kernig-kraftvollem Baß (wäre auch eine gute Alternative
als Banco). Jennifer CROHNS ließ als Kammerfrau der Lady einen runden,
volltönenden Mezzo hören, den ich gerne auch mal in größeren Rollen (Cherubino)
hören würde. Sabine BRANDT und Karen Antje VOGEL (beide Choristinnen)
sangen die beiden anderen Erscheinungen, ohne groß aufzufallen. Die beiden
stummen Rollen wurden von Hans Günther MÜLLER (Duncan) und Luis MÜLLER
(Fleance) dargestellt.
Unter
der Leitung von dem Noch-GMD Jonas ALBER (er wird seinen Vertrag, der
noch bis 2007 läuft, nicht verlängern) spielte das STAATSORCHESTER BRAUNSCHWEIG
sehr solide (mit kleinen Patzern). Gelegentlich war mir das Holz (Solo-Oboe)
zu laut. Manchmal hätte das Tempo etwas schneller sein können, und ein
wenig mehr Brio und Feuer könnte sich auch nicht schaden, aber dennoch
war es eine akzeptable Leistung. CHOR und EXTRACHOR des Staatstheaters
unter der Leitung von Georg MENSKES absolvierten ihren auch teils sehr
anspruchsvollen Part (Hexen!) im besten Sinne des Wortes souverän.
Sehr
befremdet war ich jedoch über die Striche - Ballett und Tod von Macbeth
ist ja nichts Ungewöhnliches (LEIDER), aber weshalb muß man die einleitenden
Phrasen zum Dolchmonolog im ersten Akt streichen????? Ich meine, das sind
doch vielleicht fünfzehn Sekunden, wenn’s hochkommt! Außerdem wurde auch
in den Hexenszenen fleißig gekürzt, so fehlt der letzte Chor in der zweiten
Hexenszene, und in der ersten fehlte mit Sicherheit auch mindestens einer
– anders kann ich mir nicht erklären, daß ich, als ich etwa zwanzig Minuten
später ins Haus kam, direkt zur Cabaletta der Lady kam.
An
dieser Stelle möchte ich mich noch mal ganz herzlich bei den sehr freundlichen
Damen an der Kasse bedanken, die uns schon mit den reservierten Karten
in der Hand empfingen und uns ohne Probleme reinließen. Das ist nicht
selbstverständlich!!! WFS
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