Bestimmen
sonst die Gassenhauer der Opern- und Musicalliteratur das Geschehen auf
der Seebühne in Bregenz, so hat man sich für die Doppelsaison 2011/12
für das weit unbekanntere Werk "André Chénier" von Umberto Giordano entschieden.
Ein kleines Wagnis.
Die
Geschehnisse um den Dichter André Chénier, der zwischen die Fronten der
Französischen Revolution gerät, seine Liebe in der Adeligen Maddalena
di Coigny findet und mit ihr in den Tod geht, haben allerdings alles,
was die Seebühne braucht. Massenszenen in der Revolution, eine Liebesgeschichte,
Intrigen und den gefangennehmenden Verismoklang von Giordanos Musik.
Regisseur
Keith WARNER erweckt all das auf der Bühne von David FIELDING zu prallem
Leben. Da sehen wir den toten Marat nicht in der Badewanne sondern im
Bodensee, auf der einen Schulter ein aufgeschlagenens Buch, in der linken
Hand, ganz wie auf dem Gemälde von Jacques-Louis David einen Brief, beides
Bühnen auf denen das Geschehen spielt, wenn nicht Kopf und Oberkörper
selbst, mit Treppen bestückt, den Hintergrund bilden. Da wird nichts ausgelassen;
Tänzer seilen sich oben vom noch verhüllten Turban ab und tanzen auf dem
Kopf, da blitzen die Augen des Marat, eine alte Frau deklamiert aus dem
Mund, Stuntmen springen von der Schulter in den See oder werden als Opfer
der Revolution im übergroßen Bilderrahmen als Verräter erhängt. Überblendete
Bilder zeigen die Erinnerung der Personen, der Tod rudert als Bote zwischen
den Szenen. Zwischendurch klappt das Gesicht gar nach oben weg und im
Hirn des Marat wird ein Bücherstapel sichtbar, auf dem das Gericht tagt.
Die Kostüme von Constance HOFFMAN ergänzen das Bild, ohne es überbieten
zu wollen. Bregenz bietet immer viel fürs Auge, aber soviel war selten.
Trotzdem
gelingt es Warner die Figuren immer so zu positionieren, daß sie präsent
bleiben, wo es wichtig ist, und nur in der Menge untergehen, wo es zur
Geschichte gehört. Besonders zu genießen scheint all das John LUNDGREN
als Gérard, der vom Diener zum Revolutionsführer aufsteigt und zwischen
Gut und Böse hin und her gerissen ist. Die Partie bietet vieles, und Lundgren
nutzt es. Arnold RAWLS als Chénier muß da etwas zurückbleiben, auch wenn
er und seine Maddalena Amanda ECHALAZ ein bewegendes Duett im Angesicht
ihrer Hinrichtung singen. Die vierte große Partie, die Dienerin Bersi,
ist bei Krysty SWANN in guten Händen, die sie leidenschaftlich und warmherzig
zugleich zeigt.
Ulf
SCHIRMER und die WIENER SYMPHONIKER geben der Dramatik der Musik viel
Raum, mal zügig, mal lyrisch und die Bregenzer Tontechnik trägt den Klang
perfekt ins Publikum.
Wenn
es dann, wie an diesem Abend, auch noch einen orangeroten Sonnenuntergang
und ein Feuerwerk in weiter Ferne gibt, meint man fast in einer Zeitschleife
zu sein, zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert. KS
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