Um
es gleich vorweg zu nehmen. Es gibt Aufführungen, bei denen alles stimmt.
Aber von vorn.
Diesjähriger
Schwerpunkt bei den Festspielen in Bregenz ist der fast vergessene polnisch-russische
Komponist Mieczslaw Weinberg (1919-1996). Weinberg floh 1939 vor den Deutschen
aus Polen nach Rußland, wo er mithilfe von Komponistenkollege Schostakowitsch
eine zweite Heimat fand. Seine auch musikalisch große Nähe zu Schostkowitsch
führte vielleicht aber auch zu seinem Vergessen. Ein Werk wie die 17.
Symphonie ist zu dicht am Vorbild und zu wenig eindrucksvoll, um selbst
bestehen zu können.
Völlig
anders liegt der Fall bei Weinbergs Oper "Die Passagierin". Basierend
auf der autobiographischen Novelle von KZ-Insassin Zofia Posmysz schuf
Alexander Medwedew ein Libretto um die ehemalige SS-KZ-Aufseherin Lisa,
die 1960, glücklich verheiratet mit einem BRD-Diplomaten, auf der Überfahrt
nach Brasilien, auf eine ehemalige Insassin von Auschwitz trifft, Martha,
die sie tot wähnt. Diese Begegnung zwingt sie zur Lebensbeichte ihrem
Mann gegenüber, zur Konfrontation mit der Vergangenheit, deren Zeuge wir
nun werden. Lisa versucht, ihre Taten zu rechtfertigen, von Reue und Einsicht
keine Spur. Und auch ihr Ehemann ist erst entsetzt, dann aber um Schadensbegrenzung
bemüht. Als die Schiffsband aber den Lieblingswalzer des Lagerkommandanten
anstimmt, ist auch Lisa klar, daß es kein Entrinnen mehr gibt.
Holocaust-Themen
in der Oper oder auf dem Theater sind schwierig, wenn sie aber auf Geschichten
von Überlebenden basieren, menschlich drastisch ohne plakativ zu sein
sind, kann es funktionieren wie hier. Es ist eindrucksvoll, wie die weiblichen
Häftlinge, aus unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Alters, mit
unterschiedlichen Sprachen, eine Ebene der Menschlichkeit untereinander
finden, die sogar die SS-Schergen verstört. Dementsprechend versucht sich
Lisa zu rechtfertigen, die Häftlinge haben sie gehaßt, also haßte sie
die Häftlinge. Welch eine Logik der Täter.
Michelle
BREEDT als Lisa gebürt alle Hochachtung, sich dieser Rolle anzunehmen,
die eine Gratwanderung darstellt, zwischen unmenschlicher Borniertheit
und einem Willen, einfach nur zu leben. Schließlich war sie erst 20 Jahre
alt damals, irgendwie selbst ein Opfer ihrer jugendlichen Begeisterung
für die völlig falschen Werte. Keine Entschuldigung, aber ein Versuch
der Erklärung.
Überhaupt
ist die Besetzung ein Glücksgriff. Von Roberto SACCÀ als Lisas Ehemann
Walter über die eindringliche Elena KELESSIDI als Martha, Svetlana DONEVA
als russische Partisanin Katja, Liuba SOKOLOVA als ältere Gefangene Bronka,
Helen FIELD als dem Wahnsinn verfallene Gefangene, Talia OR als junge
Französin Ivette, Agneszieska REHLIS als jiddisch sprechende junge Jüdin,
Angelica VOJE als Polin Krzystina oder Elzbieta WRÓBLEWSKA als Tschechin
Vlasta überzeugt das gesamte Ensemble stimmlich wie darstellerisch.
Intendant
David POUNTNEY ließ es sich nicht nehmen, selbst Regie zu führen und schuf
eindringliche Bilder im Bühnenbild von Johan ENGELS, das oben das Deck
eines weißen Ozeanriesen darstellt, mit weiß gekleideten Menschen (Kostüme
Marie-Jeanne LECCA), und unten die oft gezeigten Schienenstränge von Auschwitz
integriert mit Wagen und engen Schlafstätten.
Nicht
zuletzt ist da Weinbergs Musik. Weinberg läßt immer der Stimme den Vorrang.
Nie überdeckt er den Gesang, Textverständlichtkeit scheint ihm ein wichtiges
Anliegen gewesen zu sein. Orchesterausbrüche gibt es nur an Stellen, wo
die Stimme schweigt. Hier bietet es eine eigene Musiksprache, klingt gar
nicht mehr nach Schostakowitsch, sondern findet seinen eigenen Klang.
Einen starken Ton, der vielleicht als konservativ verbrämt wurde, aber
der Geschichte bestens dient. Teodor CURRENTZIS am Pult der WIENER SYMPHONIKER
macht das deutlich.
Diese
Stück hat viele Aufführungen verdient, und diese Produktion wird zum Glück
noch in Warschau, London und Madrid zu sehen sein. Leider hat Weinberg
nicht einmal die konzertante Erstaufführung seines Werkes 2006 mehr erleben
können, für ihn war Zofia Posmysz in den Aufführungen anwesend. KS
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