"FEUX D'ARTIFICE VIVALDI/HAENDEL" - 10. November 2011

Das Konzert von Philippe JAROUSSKY wurde mit diesen Worten angekündigt! Völlig richtig, denn es war ein wahres Feuerwerk! Nicht nur daß der Countertenor Jaroussky hervorragend und sehr musikalisch singt, er besitzt auch ungewöhnliche Bühnenpräsenz. Die halsbrecherischen Koloraturen meistert er mit nachtwandlerischer Sicherheit, höchster Präzision und perfekter Phrasierung. Bisweilen hat man den Eindruck, daß er zwischen den irren Läufen nicht atmet (wie ein Taucher, der minutenlang unter Wasser bleibt). Da die Stimme nicht trocken wirkt, sondern sehr wohlklingend und ausgesprochen angenehm ist, ist Jaroussky ein richtiges Naturphänomen. Das Grand Théâtre von Victor Louis aus dem Jahre 1780 ist natürlich ein idealer, prächtiger Rahmen für dieses Feuerwerk.

Wie viele seiner Kollegen, nimmt sich Jaroussky mit großem Erfolg der wenig gespielten Werke des Barocks an, diesmal Vivaldis und Händels. Nächstes Frühjahr wird er mit Marie-Nicole Lemieux eine Tournee mit Monteverdi, Cavalli und Barbara Strozzi unternehmen. Er verfolgt damit eine sehr verdienstvolle Arbeit, einerseits der Erziehung des Publikums, anderseits der Aufnahme und Auswahl aus dem riesigen Repertoire. Denn unter den 42 Opern Händels und den mehr als 50 (meist nur teilweise) erhaltenen Opern Vivaldis (von 94 (!) in seinem eigenen Werksverzeichnis) ist ja nicht alles Gold, was glänzt. Beide Komponisten - ebenso wie Porpora, Mayr, Leo, Graun, etc. - schrieben vor allem Auftragswerke für kirchliche und weltliche Fürsten, aber auch für bestimmte Kastraten, wie Cafarelli, Carestini, Farinelli, Nicolini (der 1. Rinaldo), Senesino usw. Viele dieser Werke der opera seria sind nicht unbedingt interessant und schwer aufführbar, selbst wenn man die, oft sehr langen, secco Rezitative kürzt.

Es ist Jarousskys Verdienst, hier zu sichten, denn bisweilen findet er richtige Juwelen. So kann er sich sozusagen die Rosinen aus einem bisweilen trockenen Kuchen heraus holen. Dies gilt ja auch für die zahllosen Concerti Vivaldis, von denen die besten und brillantesten ja heute schon als Klingeltöne für Mobiltelefone verwendet werden. Außerdem waren Vivaldi und Händel nicht alleine, denn die klassische opera seria zog sich bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, mit Gluck, Jomelli, Pergolesi, Paisiello, Die letzte bedeutende Oper dieser Art ist wohl Mozarts "La Clemenza di Tito".

Begleitet wurde Philippe Jaroussky vom Ensemble APOLLO'S FIRE, unter der Leitung der Gründerin, der Cembalistin Jeanette SORELL. Das stehend spielende Streicher-Ensemble aus Cleveland (4, 3, 2, 2, 1, Theorbe, Cembalo) spielt zwar ausgezeichnet und mit großem Einsatz, hat jedoch einen etwas metallischen Klang, trotz Barock-Celli und Theorbe.

Zur Einleitung gab es ein sehr differenziert gespieltes Concerto grosso (RV 511) von Vivaldi. Es folgte eine fulminante da-capo-Arie aus Händels Oreste, "Agitato da fiere tempeste", gefolgt von einem Rezitativ (von ganzen Ensemble gespielt, nicht nur Generalbaß) und Arie aus "Parnasso in Festa", "Ho perso il caro ben". In dieser Largo-Arie konnte Jaroussky seine ganze Palette der Phrasierung zeigen.

Als Zwischenspiel spielte der Violinist Olivier BRAULT Vivaldis Concerto Tempesta di mare (RV 433) mit viel Einsatz und Ausdruck. Das Werk folgt zwar dem klassischen System Presto - Largo - Presto, aber das Largo ist eigentlich nur eine Kadenz. Der Solist erhielt natürlich großen Beifall.

Den 1. Teil des Konzerts beschlossen zwei Arien Händels: "Se potessero i sospiri miei" aus seiner letzten Oper (1740) "Imeneo", von Jaroussky sehr innig und ausdrucksvoll interpretiert, gefolgt von "Con l'ali di costanza", aus "Ariodante", beginnend mit einem kurzen Rezitativ, gefolgt von einer stupenden Da-Capo-Arie, wo in der Wiederholung noch zusätzliche Verzierungen eingeführt werden. Das Haus stand Kopf!

Nach der Pause spielte Jeanette Sorell - diesmal sitzend - zwei Chaconnen für Cembalo, davon eine aus Händels früher Oper "Il Pastor fido", die eine Tanzszene der Terpsichore zu sein scheint. Aus Vivaldis "Catone in Utica" sang Jaroussky "Se mai senti spirati sul volto", eine sehr ausdrucksvolle, subtile Arie mit ppp Ausklang, in der die tiefen Streicher durchwegs pizzicato und das ganze Ensemble ohne Noten spielte.

Als Überleitung übertraf sich Olivier Brault in Vivaldis bekannten Concerto grosso "La Follia", mit seinem brillantem Presto-Finale, ein richtiger Teufelstanz. Jaroussky beschloß den offiziellen Teil mit zwei Vivaldi-Arien: "Vedro con mio diletto" aus "Giustino". Zwar in der A-B-A Form, ist die Arie eher ein langes Arioso und das ganze Ensemble spielte hier pizzicato. Auch hier ist die Wiederholung noch mehr verziert als das erste Mal. Die Schluß-Arie "Frà le procelle" aus "Tito Manlio" beginnt mit einer terremoto-Einleitung, gefolgt von einer Presto-Bravourarie, wo der Star seine ganze Kunst an Läufen, Trillern und Koloraturen zeigen konnte. Unglaublich!

Vor der "standing ovation" des gesteckt vollen Hauses mußte Jaroussky natürlich Zugaben singen. Zuerst eine für Farinelli komponierte Trauer-Arie von Porpora, gefolgt von einer Presto-Arie Händels und zum Schluß "Ombra mai fu" aus Serse. Ein Triumph für den jungen Sänger mit dem Engelsblick! wig.