Saisoneröffnung
Grand Théâtre
Da
es in "Madame Butterfly" nur eine wirkliche Hauptrolle gibt, steht und
fällt jede Aufführung mit der Interpretin der Titelrolle und der Zusammenarbeit
mit dem Dirigenten. Die beiden Herren sind eigentlich nur Stolpersteine
in Cio Cio Sans Schicksal, denn der Tenor ist eine angeberische Niete
und der Bariton ein rechthaberischer Prediger. Puccinis ausnehmend gefühlvolle,
überschwengliche Musik kann leicht zu Kitsch verleiten, wenn der Dirigent
sich gehen läßt und nicht zügig den Zusammenhalt betreut.
Seit
einer grandiosen Aufführung von "Butterfly" in Wien vor mehr als 50 Jahren
unter Dimitri Mitropoulos, wohl einem der wenigen Dirigenten, der selbst
Barbers "Adagio for Strings" zu einem packenden Werk machen konnte, bin
ich etwas vorsichtig. Denn an diesem Abend wagte eine junge Sängerin,
die vorher fast nur Hosenrollen gesungen hatte, den Sprung ins dramatische
Fach und sollte eine der ganz großen Sängerinnen ihrer Zeit werden: Sena
Jurinac - sie ist vor kurzem 90 Jahre geworden. Als Jurinac mit dem Kind
auf der Schulter zu Beginn des 3. Akts auftrat, schluchzte das ganze Haus.
Unvergeßlich! Deshalb habe ich diese Oper nicht sehr oft gesehen, um nicht
enttäuscht zu werden - und war es fast immer, selbst bei Rundfunk-Gala-Übertragungen.
Deshalb
immer die Befürchtung, ob die "Butterfly" ordentlich über die Bühne gehen
würde. Diesmal wurde diese Ungewißheit rasch gedämpft, denn die Dirigentin
Julia JONES zeigte gleich zu Beginn, daß sie nicht in eine kitschige Auffassung
verfallen würde. Ein sehr straffes Dirigat und die Berücksichtigung aller
Sänger während des Abends kamen der üppigen Partitur zu gute. Eine hervorragende
Leistung der musikalischen Leiterin des Teatro San Carlos in Lissabon!
Das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE folgte der Dirigentin mit grosser
Präzision und hörbarer Freude und die 1. Pulte brillierten in ihren Soli.
Der neue englische Chorchef Alexander MARTIN leitete die CHOReinlagen
des 1. Akts sehr gut und hat offenbar seinen Platz in Bordeaux gefunden.
Wir
sahen die 2. Besetzung, eben wegen der Titelheldin der Madame Butterfly,
die mit Alketa CELA eine außergewöhnliche Interpretin fand. Die junge
Albanerin hatte uns bereits mehrmals sehr positiv beeindruckt, und ihre
wunderbare, gut tragende, bestens geführte Stimme zeigte auch in der Rolle
der Cio Cio San ihre Ausdruckskraft und ihre gesangliche Intelligenz.
Bereits ihr Auftritt (in einer Art großem Lampion) war sehr gelungen und
ließ viel erwarten. Ihre große Szene "Un bel dì, vedremo" zeigte sie ihre
ganze Dominanz dieser Rolle. Der Abschied "Con onor muore chi non può
serbar vita con onore." war erschütternd in Intensität, ganz groß! Daß
die attraktive Sängerin auch hervorragend spielt, war natürlich ein weiterer
Vorteil dieser schönen Aufführung. Es ist verwunderlich, daß diese ausgezeichnet
Sängerin nicht mehr und in großen Häusern zu hören ist. Namen merken!
Im
Vergleich dazu kommen die Herren natürlich nicht ganz mit. Chad SHELTON
spielte den Pinkerton als angeberischen, leichtsinnigen Ami-Kapitän -
sehr "America for ever!" - und sang auch ordentlich, wenngleich seiner
Stimme für diese Rolle die Leichtigkeit und Finesse fehlt. Der Texaner
forciert oft und singt zu laut. Zu Beginn des Liebesduetts ("Bimba dagli
occhi pieni di malìa") versuchte er sogar, piano zu singen! Dafür sang
David GROUSSET den Sharpless sehr dezent und spielte nicht nur diplomatisch,
sondern auch menschlich. Wenn er mit Zylinder auftritt, um Butterfly die
schlechte Nachricht zu überbringen, erinnert er an einen Quäker.
Die
Suzuki sang Qui Lin ZHANG und gab der Rolle mütterliche Liebe. In den
Nebenrollen waren Christophe BERRY ein schmieriger Goro und Eric MARTIN-BONNET
ein tobender Onkel Bonze. Claire LARCHER (Kate Pinkerton), Florian SEMPEY
(Yamadori), David ORTEGA (Kommissar) und Giorgos PAPAEFSTRATIOU (Schreiber)
waren rollendeckend. Sehr lieb Nathan MALAVAL als Butterflys Söhnchen
Dolore auf dem Schaukelpferd.
Die
Inszenierung von 2003 (Koproduktion mit der Opera de Marseille) war von
Numa SADOUL, dezent "japanisch", ohne in einen kitschigen Orientalismus
zu verfallen, auch kein Versuch Kabuki oder No-Theater wie in Wilsons
Bastille Inszenierung!) machen zu wollen. Das Bühnenbild von Luc LONDIVEAU
war einfach - links ein hölzernes Häuschen, mit Schiebewänden, geschmückt
mit einen großen, hellblauen, gerahmten, exotischen Schmetterling und
einer Flagge, als Zeichen ihrer Amerikanisierung, ein Laufsteg und das
Meer im Hintergrund, davor ein kleines Hausboot für die Hochzeitsnacht.
Weiters ein paar Versatzstücke: eine Lourdes-Madonna, zwei japanische
Ahnen-Statuen, eine kleine amerikanische Freiheitsstatue, die Cio Cio
San am Ende zerschlägt, sowie ein Schaukelpferd des Buben.
Die
Kostüme von Katia DUFLOT waren ebenfalls dezent und diskret der Handlung
entsprechend. Die Aufführung, sogar der etwas verschleierte Vollmond in
der Liebes-Szene des 1. Akts, war sehr passend von Philippe MOMBELLET
beleuchtet worden.
Ein
sehr erfreulicher Abend, der mich mit "Butterfly" ausgesöhnt hat. wig.
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