Richard
Strauss und Hugo von Hoffmannsthal haben mit "Ariadne auf Naxos" nicht
nur eine erweiterte Bühnenmusik für Molières "Bürger als Edelmann" geschrieben;
der Komponist schleudert seine Verachtung für die Mäzene in den Saal und
vor allem, wenn diese einzig und allein damit "angeben" wollen. Am Morgen
nach der Premiere von "Ariadne" in Bordeaux, las ich im Wiener "Standard"
auf Internet, daß der Opernball wieder einmal für Aufregung sorgte. Es
ist zu vermuten, daß viele der Besucher des Balls selten oder gar nicht
während der Saison die Wiener Oper besuchen. Genau das prangert ja der
geniale Text Hoffmannsthals an - es hat sich wirklich nichts geändert
seit 1913!
Die
Komposition der "Ariadne" hat aber auch eine eigene, eher ungewöhnliche
Geschichte und wirft ein ganz weiteres Problem auf: das alte Problem zwischen
Wort und Musik einerseits und zwischen opera seria und opera buffa andererseits,
ein Streit; den Strauss über 20 Jahre später wieder in "Capriccio" aufwerfen
sollte. Doch diese künstlerische Seite hat das Bühnenteam - leider - total
verpatzt.
In
Frankreich nennt man die neureiche Angeberei "Bling-bling"-Gesellschaft
(Motto: "Wer mit 50 keine Rolex trägt, hat sein Leben verpfuscht!"), und
man hatte eine entsprechende Inszenierung erwartet. Das ist nur teilweise
gelungen, denn der Regisseur Roy RALLO ist kein "Einheimischer", sondern
stammt aus Süd-Kalifornien. Dort ist Schickeria oder "Bling-bling"-Gesellschaft
ja Gewohnheit. Im Vorspiel wird die Eingangshalle des "Hauses des reichsten
Mannes von Wien" in eine schicke Kunst-Galerie verwandelt. Bereits vor
Beginn der Vorstellung bei offenen Vorhang thront vor einer weißen Wand
eine riesige, orange-gelbe Plastik-Skulptur des Minotaurus (aber mit nur
einem Horn; Bühnenbild: Marsha GINSBERG), ganz im Stil von Andy Warhols
"Factory", von Rallo auch so gewollt. Ein junger Mann mit einer kleinen
blauen Picknick-Kühltruhe sieht sich das kleine Schildchen an der Wand
an und schießt - wie ein kleiner Junge - auf das Kunstwerk mit ausgestreckten
Fingern "Pan! Pan!": das ist der Komponist. In diesem Augenblick hebt
Dirigent Kwamé RYAN den Stab und beginnt mit der Musik.
Zerbinettas
Komödianten-Truppe ist dementsprechend ein recht lässiger Verein und auch
danach gekleidet (Kostüme: Doey LÜTHI), d. h. zwischen zerlumpt und H&M.
Auch die sonstige Gesellschaft trägt gewöhnliche Straßenkleidung. Dieses
Konzept ist in der heutigen neureichen Geld-Gesellschaft und über 90 Jahren
nach der Uraufführung - mit einem zwinkernden Auge - vertretbar und gibt
Anlaß zu einigen recht netten Gags: so bricht der Haushofmeister das einzige
große Horn des Minotaurus ab und überreicht es dem Komponisten, was andeutet,
daß man für Kunst und Kultur in diesem Haus wenig oder gar nichts übrig
hat.
Doch
gibt es einiges zu kritisieren. Denn das Konzept versinkt im 2. Teil in
banalsten Trübsinn, denn Mr. Rallo hat mit der eigentlichen Oper aber
schon gar nichts anzufangen gewußt. Er hat nur den einen oder anderen
Aspekt der zeitgenössischen bildenden Kunst aufgegriffen und daraus eine
"installation" oder "performance" gemacht und auf die Oper angewandt.
Najade und Dryade sitzen im Hintergrund auf einer - natürlich schicken
und teuren - Designer-Couch und werden mehrmals von Statisten mit schwarzer
Asche begossen. In einem besonders banalen Kleid sitzt Ariadne unbeweglich
auf einem Stuhl in einem Quadrat von Neonröhren und singt ihre große Szene
ab. Zerbinetta und ihre nun weiß geschminkten Kumpane gesellen sich zu
ihr und treiben ihren Unfug in und um das Neonröhren-Becken. Dazu trägt
Harlekin ein kleines Schiff auf dem Kopf und ist mit einem Schwert aus
Sperrholz bewaffnet, das er während seines Auftritts langsam zerbröckelt...
Der Sinn all dieser "Symbole" ist selbst einem guten Kenner des Werks
schleierhaft. Worauf sich Ariadne mit gespreizten Beinen links vorne,
an eine Säule gelehnt, hinsetzt. Erst wenn Bacchus ruft, erhebt sie sich.
Am Schluß stehen sich Ariadne und Bacchus praktisch unbeweglich in einem
Meter Abstand gegenüber und singen ihr Duett ab. Personenführung scheint
für Mr. Rallo ein Fremdwort zu sein. Schwamm darüber! Christopher Akerlind,
aus Wexford bestens bekannt, beleuchtete, wie es der Regisseur wollte.
Der
musikalische Teil des Abends war erheblicher erfreulicher, ja mehrmals
ausgezeichnet. Für die Mehrzahl der Sänger war der Abend ein Rollendebüt,
einschließlich für den Dirigenten Kwamé Ryab, dem noch eine gewisse "Familiarität"
mit der Oper fehlt. Neben einigen sehr subtilen Stellen - besonders das
Treffen zwischen Komponist und Zerbinetta war sehr schön und innig - war
das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE selbst in kleiner Besetzung
mehrmals zu laut.
Daß
Strauss in erster Linie für Frauen geschrieben hat, ist ja nicht neu.
Die Damen hielten sich auch bestens und holten ein Maximum aus ihren sehr
dankbaren Rollen heraus. Heidi MELLON, die wir vor zwei Jahren hier als
Elizabeth in "Tannhäuser" sahen, sang Ariadne. Ihr großer Monolog in der
Oper gelang ihr vorzüglich, besonders "Ach, von allen wilden Schmerzen
…." und "In den schönen Feierkleidern" war sehr intensiv und gefühlvoll
gesungen. Diese Rolle ist für ihre Stimme heute sehr passend. Daß die
vor zwei Jahren bereits vollschlanke amerikanische Sängerin sichtlich
noch zugenommen hat, ist ein ausgesprochenes Handicap für sie, und das
Tonnen-Kleid im Vorspiel war eine schlechte Idee. Den Komponisten sang
Elza VAN DER HEEVER, die vor etwa drei Jahren hier als fulminante Elettra
in "Idomeneo" zu erleben war. Die sehr gut geführte Stimme ist aber sehr
viel größer und dramatischer geworden und ist für diese Rolle bereits
zu schwer (sie wird im Mai Leonore in "Trovatore" singen). Sie hat natürlich
keinerlei Schwierigkeiten mit den Höhen ("Musik ist eine heilige Kunst..."
war umwerfend), und die junge Südafrikanerin spielte sehr gut und überschwenglich.
Die
Sensation des Abends war aber zweifellos die Zerbinetta der blutjungen
Brenda RAE. Sie singt nicht nur absolut perfekt die äußerst schwierige
Rolle, sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin und sieht auch bestens
aus. Sie ließ ihre Koloraturen glockenrein perlen und besitzt einen prächtigen
angenehmen lyrischen Sopran wie weiland Rita Streich. Man kann sie sich
ohne weiters als Susanna oder Pamina (bereits in Frankfurt gesungen) vorstellen.
Ein Namen, den man sich unbedingt merken soll! Alle drei Damen zeichneten
sich durch hervorragend gute Diktion aus, obwohl keine von ihnen Deutsch
als Muttersprache spricht.
Bei
den Herren ist ebenfalls nur Gutes zu melden. Oliver ZWARG ist zwar ein
etwas jungendlicher Musikmeister (die "30 Jahre älter" als der Komponist
glaubt man ihm nicht recht), doch sein voller Baßbariton flößte selbst
dem Haushofmeister Martin TURBA fast Respekt ein. Obwohl dieser ständig
mit seinem iPhone spielte und ihn wie den letzten Roßknecht behandelte,
wenn er auf die ihm herunterfallende Partitur den Fuß setzte. Turba machte
aus der Rolle eine wirklich widerliche Figur, ein zynischer Ekel. Eine
sehr schöne Leistung war der Bacchus von Arnold BEZUYEN, der der Rolle
nicht das Klischee des eitlen Tenor gab und seinen Schlußauftritt - vom
Regisseur szenisch total verpatzt - in schicker Freizeit-Jacke hervorragend
sang. Ein wirklicher Strauss-Tenor, von Herodes über Kaiser bis Apollo
- eine Rarität.
Olivier
DUNAIT war ein etwas dünnstimmiger Tanzmeister, obwohl er ebenfalls gute
Diktion hat und gut spielte. Die Komödianten-Truppe zog sich sehr gut
aus der Affäre, von der schönen Stimme des Harlekin von Thomas DOLLÉ dominiert.
Der junge Bariton ist uns schon mehrmals stimmlich sehr angenehm aufgefallen,
sowie durch sein natürliches und diskretes Spiel. François PIOLINO als
Scaramuccio war ganz richtig am Platz, ebenso wie der Brighella von Xin
WANG und der Truffaldino von Andrey ZEMSKOV. Das Quartett zeichnete sich
durch völlige Homogenität aus, denn keiner versuchte zu outrieren.
Das
Nymphen-Trio war passend mit wohlklingenden Stimmen besetzt, Mélody LOULEDJIAN
als Najade, Leslie DAVIES als Dryade und Eve CHRISTOPHE als Echo. Weshalb
letztere den großen Teil ihres Auftritts mit Herumgehen verbrachte, wissen
die Götter, ebenso weshalb die beiden ersten mehrmals mit Schutt begossen
wurden - die Ärmsten.
Das
Palais-Personal steuerten SOLISTEN DES CHORS DER OPER bei und machten
das sehr gut: Pascal WINTZNER als Lakai, David ORTEGA als Perückenmacher
und Olivier BEKRETAOUI als Offizier.
Begeisterter
und langer Beifall des Premieren-Publikums für Sänger und Dirigenten -
heftige Buhs für das Bühnenteam. wig.
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