Drei
Monate nach "Tancredi" im Teatro Fenice hatte der einundzwanzigjährige
Rossini mit "L'Italiana in Algeri" am 22. Mai 1813 seinen zweiten Riesenerfolg.
Das zweiaktige Dramma giocoso wurde im Teatro San Benedetto in Venedig
uraufgeführt, und Rossini wurde damit über Nacht weltberühmt. Der Erfolg
der "Italiana" war nie in Frage gestellt, sie gehört zu den beliebtesten
Opern Rossinis.
Diese
Koproduktion mit dem Maggio Musicale Fiorentino, dem Teatro Real Madrid,
der Houston Grand Opera und der Opéra National de Bordeaux, ist sicher
die schönste und witzigste Inszenierung einer Rossini-Oper, die ich seit
Jahrzehnten gesehen habe. Bühnenbilder und Kostüme wurden in den Werkstätten
in Bordeaux und die vielen Versatzstücke in Madrid fabriziert. Die Produktion
begann ihre Tournee 2009 in Florenz und kam gerade aus Madrid zurück.
Regisseur
Joan FONT, Begründer und Direktor der Truppe ELS COMEDIANTS in Barcelona,
hat eine atemberaubende Bilderbuch-Inszenierung gemacht, an der seine
Mitarbeiter, der Bühnen- und Kostümbildner Joan GULLÉN und der Beleuchter
Francisco PLANAS sehr verdienstvoll beteiligt waren. Es bedarf vieler
Einfälle und Phantasie, um einen so geistreichen Dekor zu schaffen. Alles
spielt vor einem Hintergrund, der abwechselnd das Mittelmeer oder das
beleuchtete Algier darstellt, mit sechs Stufen herab zur Bühnenfläche,
wo mehrere Versatzstücke (ein Hochsitz, gekachelte Fenster, ein riesiger
Käfig, aufgehängte Wäsche usw.) die verschiedenen Szenen möbeln. Ein basiliskenköpfiges
Wesen entpuppt sich als der flinke Schoßtiger Mustafas.
Es
wimmelt von geschmackvollen, charmanten Gags und vielfarbigen, bisweilen
himmlischen Kleidungen, ohne Kitsch, z. B.: der Beginn des 1. Akts spielt
im Frauen-Bad des Beys Mustafa. Sechs Eunuchen links und sechs rechts
schwingen langsam weiße und blaue Schleier, die zwischen ihnen gespannt
sind, und die "Wellen" des Bassins darstellen: Szenenapplaus! In Isabellas
Lobhymne auf die Italiener im 2. Akt "Amici, in ogni evento" spielen die
Seeleute - als Spaghettiköche verkleidet - vor einer gigantischen Kanone,
bestehend aus einer (mindestens 50 l) Chianti-Flasche, die beim Entkorken
Flitter schießt! Am Schluß erscheint - à la "Holländer"- ein schwarzes
Geisterschiff im Hintergrund von dem man nur das Segel sieht; die Spaghettiköche/Seeleute
kommen mit ihrem Gepäck - die Planken des Schiffs - bauen es aus und hauen
ab, während Pappataci Mustafa auf einem Hochsitz in 4 m Höhe seine Spaghetti
verschlingt, usw.. Dutzende solcher Einfälle, die auch nach zweieinhalb
Stunden nicht langweilig werden. Die Personenführung von Joan Font ist
natürlich auf den Millimeter genau, was bei einer so inspirierten Inszenierung
absolut notwendig ist.
Musikalisch
war die Aufführung ausgezeichnet. Bereits in der Ouvertüre fühlte man,
daß es ein fröhlicher Abend sein wird: das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen
Oboe und Piccolo war perfekt, daß man das Beste erwarten konnte - und
man wurde nicht enttäuscht. Paolo OLMI leitete das ORCHESTRE NATIONAL
BORDEAUX AQUITAINE mit Schwung und Italianità; wie man sie nicht oft hört.
Der unterschätzte italienische Maestro weiß genau die accelerandi und
rubati dort einzusetzen, wo sie sein sollen. Absolut atemberaubend das
Finale des 1. Akts, das ganz langsam begann, dann die kurze Unterbrechung
durch Mustafa, gefolgt von einer zum Presto steigernden Stretta. Fabelhaft!
Der neue Chorleiter, der Engländer Alexander MARTIN, hatte den CHOR DER
OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX bestens einstudiert, alle Choristen waren vollbeschäftigt
- und das sagte ihnen sichtlich zu.
Die
Sänger waren durchwegs sehr gut, angeführt von Bey Mustafa, dem Luciano
DI PASQUALE in einem sehr fülligen Kostüm nicht nur durch seine Bühnenpräsenz,
sondern auch stimmlich sehr viel Substanz gab. Die allseits begehrte Isabella
war die junge Amerikanerin Daniela MACK, die ihre Koloraturen sehr gepflegt
perlen ließ und auch blendend spielte. Daß sie auch sehr gut aussieht,
ist kein Nachteil. Ihr Liebhaber Lindoro kam auch aus den Staaten, Alek
SHRADER. Mit seinem gepflegtem tenore di grazia erinnert er an den jungen
Rockwell Blake. Nach seiner Kavatine "Languir per une bella" hatte er
seinen ersten Szenen-Applaus, dem noch mehrere weitere folgen sollten;
wie bei der 2. Arie "Oh, come il cor di giubilo", wo er drei Sandkübeln
leert und ausziehbare Sandburgen aufstellt! Er spielte auch den frechen,
aufmümpfigen Sklaven sehr gut, der auch der eigentliche Drahtzieher ist.
Riccardo
NOVARRO als Taddeo spielte etwas weniger vertrottelt als gewohnt die undankbare
Rolle des nie erhörten Liebhabers, denn er sang bestens, entweder mit
einem halben Meter hohen Zylinder auf dem Kopf oder mit einem riesigen
Turban als Kaimakan. Nahuel DI PIERO als Haly wollte ständig Taddeo aufspießen
und sang gut seine hübsche Arie "Le femmine d'Italia" im 2. Akt. Daß Mustafa
sich von Elvira trennen will, ist schwer verständlich, denn Mélody LOULEDJIAN
ist auch eine ausgesprochen schöne Frau und singt einfach prachtvoll (ihr
Sopran dominierte sie mehrmals die Ensembles) - nur ein bißchen aufdringlich
ist sie, aber das gehört ja zur Rolle. Claire LARCHER war eine hübsch
singende und spielende Zulma. Nicht zu vergessen der Tänzer Alfonso CAYETANO
als Schoßtiger, der Taddeo ebenso Furcht einflößte wie der spießende Haly.
Erst
der fallende schwarze Vorhang konnte das begeisterte Publikum nach langem
Applaus zur Heimkehr bewegen! wig.
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