Triumphale
französische Erstaufführung
Rolf
Liebermann (1910-1999) war nicht nur ein weltweit berühmter und geschätzter
Operndirektor, vor allem in Hamburg und Paris, sondern auch ein bedeutender
Komponist. Vor allem in dieser Funktion ist er mit Salzburg verbunden,
denn zwei seiner Opern wurden bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt
("Penelope", 1954 und die dreiaktige deutsche Fassung von "Die Schule
der Frauen", 1957). Diese Oper hat eine eigentümliche Vorgeschichte, denn
das Louisville Orchester in Kentucky (USA) hatte sie als Auftragswerk
(auf Englisch) bestellt und 1955 in Louisville uraufgeführt. Dieses amerikanische
Orchester hat in den 1950er und 60er Jahren unter der Leitung seines Chefdirigenten
Robert Whitney weltweit mehr als 130 Kompositionen in Auftrag gegeben
und in jedem Abonnement-Konzert eines der Auftragswerke uraufgeführt.
Liebermanns Oper "School of wives" dirigierte Moritz Bomhard 1955 mit
den Sängern der Louisville Opera und hat sie gleich auf LP eingespielt.
Dies ist umso mehr überraschend, denn Louisville ist die mittelgroße Hauptstadt
(heute ca. eine halbe Million Einwohner) des US Staates Kentucky, der
in erster Linie für Tabak, Whisky und so genannte "Hill-Billy-Music" bekannt
war und ist, alles Dinge, die nicht unbedingt avantgardistisch oder tragend
sind.
Rolf
Liebermann stammte aus einer alten Berliner Dynastie, der auch der Maler
Max Liebermann und der ermordete Kanzler Walther Rathenau entstammten.
Seine Musik ist vielleicht nicht "umwerfend modern", hat aber beachtliche
Substanz. Was ihn nicht hinderte, 1954 bei den Musiktagen in Donaueschingen,
der Dodekaphonie-Hochburg, sein "Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra"
aufzuführen - das dort Kopfschütteln auslöste. Diese Gattung der Musik
der 1950er Jahre wurde dann als Crossover-Music bezeichnet. Dieses Concerto
wurde übrigens im Juni 1955 in Wien erstaufgeführt und sehr gefeiert.
Als gewiegter Theatermann hat Liebermann nie das Publikum vergessen und
immer sehr dramatische und publikumswirksame Werke geschrieben, wie die
2002 in der Bastille-Oper posthum erstaufgeführte "Medea".
Wenn
ein Opernnarr eine Oper nur einmal in seinem Leben vor über einem halben
Jahrhundert gesehen, aber noch einen sehr guten Eindruck in Erinnerung
hat und seither erfolglos versucht, diese wieder zu sehen, freut er sich,
diese Erinnerung auffrischen zu können, besonders wenn dies sozusagen
"vor der Haustür" stattfindet. Bisweilen ist man enttäuscht, oft aber
freut man sich, daß man als junger Mann bereits ein Werk richtig eingeschätzt
hat. Letzteres ist mir mit Liebermanns "Schule der Frauen" passiert, denn
ich habe 1957 die Uraufführung in Salzburg erlebt und besitze außerdem
die amerikanische einaktige Erstfassung von 1955 auf LP Platte.
Es
war der große Verdienst von Thierry Fouquet, Direktor des Grand-Théâtre
in Bordeaux, der an der Pariser Oper mit Liebermann gearbeitet hatte,
zum 100. Geburtstag des deutsch-schweizer Komponisten diese Oper entdeckt
und zur französischen Erstaufführung gebracht zu haben. Und das prächtige
Grand Théâtre (von 1770) in Bordeaux war natürlich ein idealer Rahmen
dafür. Zwar wurde "L'École des femmes" angekündigt, aber es wurde die
Salzburger deutsche Fassung des Dramaturgen und Librettisten Heinrich
Strobel gespielt. Musikalisch und dramatisch ist "Die Schule der Frauen"
ein ausgesprochen gelungenes Werk. Komponist und Librettist ergänzen sich
hier nahtlos. In der knapp zweistündigen Oper (mit kurzer Pause) hat Strobel
Molières fünfaktige Komödie auf drei reduziert und adaptiert, denn Poquelin/Molière
tritt persönlich auf und greift mehrmals in die Handlung ein. So wenn
er bereits im 1. Akt Arnolphe rügt: "Ich bin der Autor dieses Stücks!
Ich bin Molière!", worauf Arnolphe antwortet: "Zum Teufel mit dem Autor!"
Bis zum Deus ex machina-Auftritt am Schluß. Dabei gibt es natürlich einige
Seitenblicke auf andere alte Eseln, die eine junge Unschuld vom Lande
heiraten wollen. Bartolo aus Rossinis "Barbiere" wird verulkt und "Falstaff"
und andere haben sichtlich bei der Verfassung des Librettos Pate gestanden,
auch "Die schweigsame Frau" ist nicht weit. Die Erklärung der zahlreichen
"Seitenblicke" würde mehrere Seiten einnehmen.
Liebermann
hat diese Farce mit einer sehr ausgefeilten und geistvollen Musik in der
seit den 1920er Jahren beliebten neoklassischen Art vertont ("Die Liebe
zu den 3 Orangen" wurde 1921, "Pulcinella" 1922, "Die schweigsame Frau"
1935, "Capriccio" 1942, "The Rake's Progreß" 1952, etc. uraufgeführt).
Es gibt mehrere Anklänge an "Ariadne auf Naxos", und Liebermann schrieb
bravouröse Belcanto-Arien für die junge Agnès (eine Rolle, zwischen Zerbinetta
und Alkestis, die für die blutjunge Anneliese Rothenberger geschrieben
wurde), einen gelungenen dramatischen Monolog Arnolphes mit dem Refrain
"Ich habe das Spiel verloren!" im 3. Akt, mehrere Duette und Arien und
sehr geschickte und amüsante, bisweilen fugierte Ensembles. Aber auch
Ländler und Walzer werden aufgeboten. Die Orchestrierung ist sehr farbig
und gibt vor allem den Bläsern vielfach Gelegenheit sich zu zeigen, wie
das Englischhorn Solo in der Ouvertüre - sehr an "Ariadne" erinnernd -
oder der Auftritt Henris mit Trompeten-Geschmetter. Das Ganze wird mit
einem an Rossini anklingenden accellerando Schluß-Sextett beendet ("Voulez-vous
donner de l'esprit a une sotte, enfermez-la!".). Kurz davor gibt es noch
eine Erkennungsszene mit einem direkten Text-Zitat aus Mozarts "Figaro"
"Er ist ihr Vater, er sagt es ja selbst!" Liebermann ist ein ganz großer
Könner, und seine Musik ist ausgesprochen geistreich. Es macht ihm hörbar
Freude, diese Musik zu schreiben und das Publikum zu unterhalten, das
ihm auch dankbar folgte und mehrmals herzlich lachte.
Der
Regisseur, der bekannte französische Schauspieler Eric GÉNOVÈSE, Sociétaire
de la Comédie française, zieht alle Register der Zeit der Komödie Molières.
Das Einheitsbühnenbild von Jacques GABRIEL und Claire STERNBERG ist denkbar
einfach und effizient: ein durchsichtiges einstöckiges, quadratisches
Haus, das sich drehen kann (bisweilen recht schnell) ist die ganze Szenerie.
Im 3. Akt sind die Wände weg, und das Liebespaar tanzt vor dem besternten
Himmel. Links vorne steht noch Molières Schreibtisch mit einem kleinen
TV-Monitor, worauf der Dichter die Vorgänge auf der Bühne verfolgt und
nach Bedarf einschreitet. So wird er Alain, Faktotum Arnolphes, oder die
alte Frau, die Agnès Horaces Liebesschmerz übermittelt und am Schluß Henri,
der aus Amerika zurückkehrende Vater von Agnès, der seine Tochter mit
dem Sohn seinen Freundes Oronte vermählt, der zufällig ihr Liebhaber ist.
Die sehr kleidsamen Kostüme von Luisa SPINATELLI - besonders das bildhübsche
rot-hellblaue Kleid Agnès' - finden in der Schlußszene ihren Höhepunkt,
wo Agnès' Vater Henri (Molière) als Uncle Sam mit Fliegerbrille und Flügeln
einfliegt. Zum Schreien! Sehr geschickt war auch die Lichtregie von Olivier
TESSIER, vor allem die indirekte Beleuchtung des Inneren des Hauses in
verschiedenen Farben. Traumhaft!
Der
holländische Dirigent Jurjen HEMPEL hatte sichtlich viel geprobt und aus
dem ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE in kleiner Besetzung eine Vielfalt
Nuancen aus der farbigen Partitur herausgeholt. Der sehr engagierte Dirigent
und das Orchester hatten hörbares Vergnügen die bisweilen sehr witzige
Musik zu spielen, in der alle Pulte zur Geltung kommen, sogar ein Cembalo.
Die
sechs Sänger - alle schon hier oder in Paris gesehen - waren ausnahmslos
hervorragend und äußerst passend für die Rollen. Obwohl für keinen der
Sänger Deutsch die Muttersprache ist, war die Diktion großteils recht
gut, daß man meist den Text verstand! An der Spitze war natürlich der
Autor, Poquelin/Molière in Person, den der hünenhafte Paul GAY mit souveräner
Kunst auf die Bühne stellte. Im Handumdrehen wird er der Diener Alain
im Haushalt Arnolphes. Aber auch der aus USA zurückkehrende Henri, der
Vater von Agnès. Köstlich die kurze Szene, wo er die alte Frau falsettierend
bucklig mimt! Mit seinem kultivierten Basso cantante dominierte er das
ganze Ensemble.
Arnolphe
war bei dem Engländer Andrew GREENAN bestens aufgehoben. Er bringt nicht
nur seinen angenehmen Charakter-Baßbariton sehr gut zur Geltung, er besitzt
auch eine ausgezeichnete Diktion und spielt blendend den geilen eifersüchtigen
Alten. Sein Mündel, die junge Agnès war die hübsche Daphné TOUCHAIS, die
entzückend die naive Unschuld vom Land, die es aber faustdick hinter den
Ohren hat, spielte und hervorragend sang. Sie besitzt einen angenehmen
Koloratur-Sopran, der sehr gut trägt, und den sie klug und ausdrucksvoll
einsetzt. Sie ist sichtlich dem Soubretten-Fach entwachsen, das sie seit
Beginn ihrer Karriere singt. Ihr Liebhaber Horace - stimmlich eine Art
Fenton - der auf einem feuerroten Fahrrad auffährt, war der junge Australier
Michael SMALLWOOD, der einen hübschen und gut geführten Spiel-Tenor sein
eigen nennt. Er spielt den sehr naiven Jüngling mit Herz und guter Laune.
Das junge Liebespaar braucht aber noch etwas Nachhilfe für die deutsche
Diktion.
Als
Magd Georgette im Haus Arnolphes war Sophie PONDJICLIS sehr gut am Platze.
Die heute beste Figaro-Marcelline hat hier eine weitere dieser schwierig
zu besetzenden Charakter-Rollen in ihr Repertoire aufgenommen. Als Oronte,
Horaces Vater, der - auch auf Fahrrad - nur ganz am Schluß auftritt, war
Jacques SCHWARZ mit bester Diktion rollendeckend (er lehrt an der Musikhochschule
Hannover). In der Führung der Sänger sah man die Hand von Eric Génovèse,
der genau weiß wie man sich auf der Bühne in einer Komödie bewegen muß.
Weshalb
sollen gute Opern eigentlich immer ernst oder tragisch sein? "Barbiere",
"Italiana in Algeri", "Don Pasquale", "Elisir d'Amore", "Falstaff", "Schweigsame
Frau" oder eben die "Schule der Frauen" sind die besten Gegen-Beweise.
Wie mir der Dirigent Jurjen Hempel sehr treffend sagte "‚Schule der Frauen'
ist Zerbinetta meets ‚Fledermaus'".
Ein
sehr geistvoller und erfreulicher Abend! Seit Wochen gab es keinen einzigen
Platz mehr, und das volle Haus feierte die Künstler triumphal.
Eine
Empfehlung an alle Theaterdirektoren (die übrigens in Massen kamen): diese
entzückende Produktion einladen! Warum nicht im Theater an der Wien oder
im Cuvillié-Theater? wig.
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