Bei
Rossini, dem es gelang am einem 29. Februar (1792) geboren zu werden und
an einem Freitag, den 13. November (1868) zu sterben, ist alles, selbst
eine Krönungsoper, nicht sehr ernst zu nehmen. Zumal Charles X nur sechs
Jahre später hinaus geworfen wurde! Rossinis einaktige "Krönungsoper"
ist deshalb eher eine Farsa als ein Dramma giocoso, Werkbezeichnung, die
Mozart für "Don Giovanni" verwendet hatte. Da es sich um ein festliches
Auftragswerk handelte, gab es nur zwei Aufführungen (am 19. und 20. Juni
1825) im Théâtre Italien. Was Rossini nicht hinderte ein wahres Feuerwerk
zu schreiben, einschließlich ein Dezett und ein Ensemble mit allen 19
Beteiligten mit Chor!
Luigi
Balochi schrieb das Libretto in Anlehnung an Mme de Staëls "Corinne ou
l'Italie". Die mehr oder weniger aristokratischen Personen der bunten
Gesellschaft haben alle eine "Schlag" oder spinnen sonst wie. Rossini
und Balochi mokieren sich dabei auch über ihre Zeitgenossen und die opera
seria. Rossini verwendete mehrere Stücke seiner letzten italienischen
Oper in seiner ersten französischen "Le Comte d'Ory" wieder.
Das
ursprüngliche Werk war so gut wie verloren und wurde erst nach langem
Suchen in Bibliotheken in Paris, Wien und Neapel wieder zusammen gestückelt.
Claudio Abbado führte die neue Fassung von "Il Viaggio a Reims" 1984 in
Pesaro in großer-Besetzung auf. Berechtigt, denn 1825 sangen die damaligen
Stars in Paris: Giuditta Pasta war Corinne, Laure Cinti sang Folleville,
Marco Bordogni Liebenskof und Nicolas Levasseur Alvaro, etc.
Die
laufende Reise-Produktion ist eine Initiative eines guten Dutzend Opernhäuser
Frankreichs. Das sehr gelungene Spektakel mit ausschließlich jungen Nachwuchssängern
- in zwei Besetzungen - hatte Premiere 2008 in Reims und besuchte seither
bereits fünfzehn Städte und heuer schon Nizza, Marseille und Toulouse
und kam nun am Palmsonntag nach Bordeaux.
Die
Szenographie ist einfach und effizient, genau das was man für eine Reise-Inszenierung
braucht. Die Drehbühne dreht sich heftigst durch zwei Türen, denn die
Gäste des Kurhotels "Zur goldenen Lilie" in Plombières in den Vogesen
kommen auf Sitzen einer Reise-Diligence auf der Drehbühne herein, ebenso
wie die Versatzstücke (inklusive die Fahrräder des Fitness-Klubs, sowie
das Schluß-Gelage). Der italienische Regisseur Nicola BELOFFA hat im Dekor
und den verrückten Kostümen von Guia BUZZI in fulminantem Tempo die zehn
Hauptdarsteller und neun Comprimarii geführt. Das ganze dramatische Gefüge
ist intelligent durchdacht und perfekt durchgeführt, einschließlich der
sehr gelungenen Beleuchtung von Gabriele CLEMENT. Die Truppe ist kaum
verändert worden und kann sichtlich die Partitur aus dem effeff.
Die
musikalische Leitung liegt in den Händen von Luciano ACOCELLA, der mit
sparsamer Gestik die Partitur in den Fingerspitzen hat und praktisch jeden
Einsatz gibt. Er ist ebenso zu Hause im opera seria Stil der larmoyanten
Szene der Contessa di Folleville, wenn sie ihre verlorenen Hutschachteln
beweint, wie in den fulminanten Ensembles. Einfach perfekt! Das ORCHESTRE
NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE war sichtbar begeistert, denn die Solisten
der einzelnen Gruppen - besonders der Hörner und die Harfe - sind sehr
beschäftigt. Dies trifft auch für den CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX
zu, der herzlich mitmachte und blendend sang.
Ich
sah die B-Besetzung, die sich allerdings sehenswert war! Denn die internationalen
jungen Sänger zeigten sich völlig der Aufgabe gewachsen und waren ausnahmslos
ausgezeichnet. Allen voran Hye-Myung KANG als Corinna, die römische Dichterin,
sieht nicht nur blendend aus, sondern besitzt auch einen ausgezeichnet
geführten jugendlich-dramatischen Sopran und spielte sehr treffend. Sie
"improvisierte" am Schlusß sehr romantisch "All' ombra amena del Gilio
d'oro" (mit Harfen-Begleitung!). In den Höhen hat sie kleine Schärfen,
doch das wird sich sicher geben.
Die
Mezzosopranistin Kleopatra PAPATHEOLOGOU sang die an ihrem Hochzeitstag
verwitwete polnische Marchesa Melibea, mit riesiger Stimme, was sie nicht
hinderte die halsbrecherischen Koloraturen brillant zu meistern. Außerdem
spielte sie sehr treffend die von mehreren Herren angebetete Witwe, beginnend
mit dem spanischen Granden, Don Alvaro, dem Armando NOGUERA die passende
Grandezza gab. Die Contessa di Folleville, auch eine junge Witwe und "fashion
victim", der sich einige der anwesenden Herren annehmen wollen, war bei
Elisabeth BAILEY in besten Händen. Sie fällt genau richtig in Ohnmacht
als ihre Hutschachteln bei einem Unfall einer Karosse verschwinden, worauf
Patrick BOLLEIRE als Don Prudenzio, der Arzt des Heilstation, "Fu un sincope"
deklariert. Folleville erwacht als man eine gerettete Hutschachtel bringt,
aus der sie ein winziges blau-weiss-rotes, Brotkorb- ähnliches Gebilde
aufsetzt ("Caro! Dal reo naufragio..."). Der
sehr musikalische deutsche Major, Baron von Trombonok, steuert lächelnd
bei: "La sincope si si fa molto effetto: Mozart, Haydn, Bethoven, Back
(sic! Diese Namen deutscher Komponisten sind in der Erstauflage des zwei-sprachigen
Textbuchs von 1825 in Paris zu finden!), ne trassera un gran partito",
was Vladimir STOJANOVIC mit überlegenem Snobismus darbot. Er sang auch
würdig die Haydn-Hymne mit einem sehr paneuropäischen Text: "Or che regna
fra di genti la più placida armonia. Dell' Europa sempre fia il felice
destin' appien …."
Madama
Cortese, die resolute Besitzerin des Hotels war mit Oxana SHILOVA besetzt,
die die Rolle bestens, mit großer Komik meisterte. Der Cavaliere Belfiore,
der französische Charmeur, Liebhaber der Folleville, der auch Corinne
den Hof macht, stellte James ELLIOTT mit Schwung und schönem Tenor dar,
während der streitsüchtige russische General Graf Libenskof mit Alexey
KUDYRA ausgezeichnet besetzt war, der zwar den Streit zwischen Trombonok
und Alvaro schlichtet, aber die Marchesa Malbei verführt ("D'alma celeste,
o Dio!"). Der schüchterne Lord Sidney, der täglich Corinna Blumen schickt,
war Istvan KOVACS, der mit schönem Baß "God save the King" sang. Er wurde
auch noch von dem ausgezeichneten Marco DI SAPIA als Don Profondo, Sammler
von Antiquitäten, mit seinen Fragen zur Verzweiflung gebracht ("E matto!").
Umwerfend war er mit seinen schönen warmen Bariton, wenn Profondo das
Inventar der Besitzungen der Reisenden macht.
Die
Comprimarii waren ebenfalls sehr gut besetzt, Ekaterina METLOVA als Maddalena,
der Gouvernante des Hotels, Jean-Christophe BORN als Koch Don Luigino,
Rany BOECHAT als Modestina, der schüchterne und etwas beklopfte Zofe der
Folleville, Céline KOT als Délia, ein griechisches Mündel und Corinnas
Reisebegleiterin, der Bellboy Zefirino, den Baltazar ZUNIGA lustig mit
einer zu großen Mütze darstellte. Yann TOUSSAINT und Romain PASCAL waren
die Diener Antonio und Gelsomino.
Das
Publikum war begeistert, lachte oft und laut und unterbrach mehrmals die
Vorstellung mit Szenenapplaus. wig.
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