Offenbach
ist derzeit in Frankreich sehr "in". Gut so! Seine dreiaktige Opéra-bouffe
paßt ganz in die Mode von Räubern und Schurken des 19. Jahrhunderts. Von
Schillers "Die Räuber" inspiriert, wimmelt es zu dieser Zeit von Räubergeschichten,
von Verdis "Masniadieri" über Hérolds "Zampa" bis Aubers "Fra Diavolo"
und viele, viele mehr. Sogar Nestroy und Franz von Suppé hatten 1849 eine
Posse "Die Räuber auf dem Semmering" auf dem Gewissen!
Das
Textbuch von Offenbachs Hauslibrettisten Meilhac und Halévy ist nicht
besser oder schlechter als andere und wurde am 10. Dezember 1869 im Pariser
Théâtre des Variétés uraufgeführt. Die Personen sind ausnahmslos Idioten
oder Nieten, bei denen alles ins Auge geht. Außerdem nehmen die Autoren
auch noch die Monarchie von Napoléon III. aufs Korn, die ja ahnungslos
in den Abgrund schlitterte. In dieser unwahrscheinlichen Geschichte haben
die Herzogtümer von Mantua und Granada gemeinsame Grenzen! Offenbach hat
den ganzen Salat mit einer Mischung von Can-can und Märschen übergossen.
Spritzige Musik und eine "fantastische" Inszenierung genügten völlig,
um den Erfolg des Werkes zu garantieren.
Das
Ehepaar Jérôme DESCHAMPS und Mascha MAKAEÏEF hatte "Les Brigands" bereits
1993 in der Bastille in einer umwerfenden Inszenierung (mit Michel Sénéchal)
gespielt. Diese neue Inszenierung des Direktoren-Paars der Opéra comique
wurde mit den Opernhäusern von Luxembourg, Toulon und Bordeaux co-produziert.
Das ziemlich verrückte Bühnenbild von Françoise DARNE zeigte eine Gebirgslandschaft
aus Pappe mit einem Matterhorn-ähnlichen Berg, der sich am Schluß als
Vulkan entpuppt und zum "happy end" Feuer speit! Mascha Makaeïef zeichnete
auch für die ebenso prächtigen (für die Noblen) oder schäbigen (für die
Räuber und das Volk) verrückten Kostüme. Marie-Christine SOMA und Marc
PINEAU beleuchteten äußerst passend.
Es
krachte viel, und jedes Mal, wenn einer der Banditen in die Luft schoß,
fielen ein paar Hühner, Hasen oder anderes Gevieh vom Himmel. Sonst ging's
auch recht "tierisch" zu: ein Elchkopf dräute bisweilen aus einer Papp-Felsschlucht;
ein echter, braver Esel stand stoisch den ganzen 2. Akt in einer Ecke,
während vier lebende Hühner sich der Bröseln des von den zwei blinden
Bettlern (Falsacappa und Pietro) zerstörten Hochzeitskuchen annahmen und
aufpickten.
Der
Abend begann bereits mit einem Witz. Ein älterer Herr mit Liszt-Frisur
verbeugte sich und begann zu dirigieren, aber die Ouvertüre zu …. "Guillaume
Tell", eine andere Gebirgs-Oper. Nach etwa zwanzig Takten wurde er vom
wirklichen Dirigenten Emmanuel JOEL-HORNAK vom Pult verjagt und "Les Brigands"
konnten beginnen. Dieser leitete das ORCHESTRE BORDEAUX-AQUITAINE Aquitaine
mit fester Hand durch die verrückte Partitur. Der CHOR DER OPER VON BORDEAUX
unter der Leitung von Jacques BLANC und Philippe MOULINIÉ sang prächtigst
die schmissigen Melodien und blödelte sich durch die Partitur und die
vielfachen Berg-Schluchten.
Die
Sänger waren durchwegs gut und oft ausgezeichnet. Den Räuberhauptmann
Falsacappa sang Eric HUCHET, einer der besten Spieltenöre Frankreichs,
der stimmlich und darstellerisch die Szene völlig beherrschte, zumal er
alle anderen der Besetzung um einen Kopf überragte. Pietro, sein Vize
in Sachen Räuberei, war mit Frank LEGUÉRINEL, einem alten Hasen, ausgezeichnet
besetzt. Daphné TOUCHAIS als Falsacappas Räuber-Töchterlein haben wir
auch schon öfters gehört. Sie sang die Fiorella mit Bravour und hübschem
Sopran, außerdem kann sie mit einer antiken Pistole umgehen!
Ebenso
wie ihr Liebhaber Fragoletto, der einen Kopf kleiner als sie war, den
aber Marie LENORMAND mit angenehmer Stimme sang und sehr temperamentvoll
spielte. Die weiteren Räuber waren sehr gut: Leonard PEZZINO (Carmagnola),
Antoine GARCIN (Barbavano) und Antoine NORMAND (Domino). Szenenapplaus
ernteten die drei Kumpane, als sie je ein Huhn in Rekordzeit rupften.
Zum Glück war dann große Pause, um die Bühne frei zu kehren!
Ausgezeichnete
Typen waren die verschiedenen verkommenen Adeligen für die nicht sonderlich
anstrengenden Rollen. Eine Überbesetzung war Michèle LAGRANGE als Prinzessin
von Grenada. Umwerfend komisch! Als vertrottelter Baron de Campo-Tasso
war Francis DIDZIAK sehr treffend, der Graf de Gloria-Cassis von Philippe
TALBOT stand ihm nicht nach, ebenso wie der Finanzminister Antonio von
Loïc FELIX, der die drei Millionen verpfuscht hatte. Als Herzog von Mantua
war Martial DEFONTAINE passend degeneriert und snobisch.
Bei
jedem Aufritt von Graf Adolphe de Valladolid, dem Humberto AYERBE-PINO
alle Attribute eines spanischen Granden gab und dauernd auf seine spanische
Ehre pochte, lachte das ganze Haus. Als Hauptmann der Carabinieri, der
den Schlager des Stücks "Nous sommes les carabiniers et nous sommes toujours
en retard." zu singen hatte, war Fernand BERNADI perfekt, was ihm natürlich
Szenenapplaus einbrachte. Zahlreiche Sänger und Schauspieler in kleineren
Rollen waren auch noch auf der Bühne, von denen François TOUMARKINE besonders
zu nennen ist, der dauernd mit Falsacappa stritt und Krach schlug.
Das
ganze Spektakel war ein großer Spaß, und das Publikum des ausverkauften
Hauses war vollends begeistert und spendete tobenden Applaus. wig.
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